«Es kann nicht zu viele
Menschen geben»
Samenspender Jonathan Jacob Meijer ist Vater von über 500 Kindern. Er glaubt, dass die Erschaffung neuen Lebens Gottes Wille ist – und der Fortschritt eine Krankheit.
Read the English version here.
Jonathan Jacob Meijer wird am 17. Dezember 2024 gemeinsam mit Marc P. Bernegger an unserem Podiumsgespräch über Demografie teilnehmen.
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Jonathan Jacob Meijer, Sie sind der biologische Vater von über 500 Kindern. Wie sind Sie selbst aufgewachsen?
Ich komme aus einer sehr traditionellen, religiösen Familie; wir waren acht Kinder zu Hause. Ich bin in einer Kirche mit anderen Grossfamilien aufgewachsen, sodass ich die Freude an der Familie immer kannte. Ich habe dabei aber auch mitbekommen, dass es für manche Menschen schwierig ist, Kinder zu bekommen. Es gab Paare in der Kirche, die nicht schwanger werden konnten, und ich habe schon in sehr jungen Jahren gemerkt, wie schmerzhaft das sein kann.
Deshalb sind Sie Samenspender geworden?
Im Studium wurde ich zum ersten Mal mit Samenspenden konfrontiert. Ein Studienfreund erzählte mir, dass er herausgefunden habe, dass er unfruchtbar sei. Ich fühlte mich schlecht, weil er ein sehr netter Mensch war, der eine grossartige Beziehung zu seiner Freundin hatte. Das brachte mich dazu, darüber nachzudenken, Spender zu werden.
Und dann?
Ich ging in eine Klinik und meldete mich dort an. Später entdeckte ich, dass es Websites gibt, auf denen man sich registrieren und privat spenden kann. Die Nachfrage war zu dieser Zeit in den Niederlanden hoch, weil die Regierung keine anonymen Spenden mehr zuliess. Für mich war das kein Problem, weil ich sowieso nicht anonym spenden wollte. Ich habe noch nie jemandem anonym geholfen.
Wie viele Ihrer Kinder wissen, dass Sie ihr genetischer Vater sind?
Ungefähr 95 Prozent wissen es; einige sind Babys und verstehen das noch nicht. Anonyme Samenspenden sind nicht gut für die Kinder, nicht für die Eltern und nicht für den Spender. Zumindest sollte es die Möglichkeit geben, Kontakt aufzunehmen.
Es fing mit ein paar Spenden an, nehme ich an. Aber wie kam es dazu, dass Sie der biologische Vater von so vielen Kindern wurden?
Das ging ziemlich schnell. Ich war nicht vorbereitet auf die enorme Nachfrage. Wer eine Anzeige auf der Website veröffentlicht, erhält sofort Reaktionen. Ich hatte mit vielleicht zwei oder drei Anfragen pro Jahr gerechnet – aber es waren etwa zehn pro Tag! Ich hatte nicht wirklich eine bestimmte Anzahl geplant, ich wollte einfach nur Menschen helfen.
«Ich hatte mit vielleicht zwei oder drei Anfragen pro Jahr gerechnet – aber es waren etwa zehn pro Tag!»
Die Netflix-Miniserie über Sie heisst «Der Mann mit 1000 Kindern». Wie hoch ist die genaue Zahl?
550 sind es mit Sicherheit. Rund 100 Kinder wurden in sechs niederländischen Kliniken gezeugt, denen ich gespendet habe, der Rest – also 450 – stammt aus weltweiten privaten Spenden. Zahlen darüber hinaus sind reine Spekulation.
Nach Schweizer Recht darf ein Spender sein Sperma nur an einer einzigen Stelle zur Verfügung stellen. Ausserdem darf er nicht dafür bezahlt werden. Das Sperma eines Spenders darf zur Zeugung von maximal acht Kindern verwendet werden. Wenn Sie in der Schweiz leben würden, wären es acht Kinder und nicht 550.
In anderen Ländern ist eine grössere Anzahl erlaubt. Ich habe auch in der Schweiz geholfen, aber weniger als acht Familien. Diese Regeln sind extrem streng und veraltet; sie basieren hauptsächlich auf anonymen Spenden. Deshalb kommt es im derzeitigen System immer wieder zu einem Mangel an Spendern.
Wurden Sie als Samenspender jemals bezahlt?
Nein, ich habe nie Geld für Spenden verlangt, weil ich der Meinung bin, dass man nicht helfen sollte, neues Leben zu erschaffen, um Geld zu verdienen. Das wäre für mich unmoralisch. Die Leute bezahlen mir die Reisekosten, bei Bedarf ein Hotel, die medizinischen und genetischen Untersuchungen. Einige Leute geben mir ein zusätzliches Honorar, weil sie ihre Wertschätzung zeigen wollen; aber ich verlange es nicht. Diese Gesetze sind in Ordnung: Wenn man Spender bezahlt, kann das die falschen Leute anziehen.
Einige Empfänger Ihres Samens kritisieren Sie dafür, dass Sie nicht transparent über den Umfang Ihrer Spenden berichten. Welche Fehler haben Sie gemacht?
Mein Fehler war, dass ich mich bei der Auswahl der Personen, denen ich geholfen habe, nicht immer auf mein Bauchgefühl verlassen habe. In der Dokumentation kommen Menschen vor, bei denen ich ein schlechtes Bauchgefühl hatte. Ich bedaure, dass ich zu nachsichtig bei der Auswahl der Personen war, denen ich geholfen habe. Und das rächt sich jetzt.
In welchen Punkten liegen Ihre Kritiker falsch?
Erstens liegen sie falsch, wenn sie behaupten, dass 550 eine extrem hohe Zahl für einen Spender sei. Die Richtlinien in den Vereinigten Staaten legen beispielsweise ein Maximum von 25 Kindern pro 800 000 Einwohner fest. Wenn es diese Regel in den Niederlanden gäbe, könnte ein Spender etwa 530 Kinder zeugen. Deshalb haben sie die Serie in den Niederlanden gedreht. In den USA wäre das nicht möglich gewesen, weil es dort völlig normal ist, dass es Tausende von Kindern pro Spender gibt.
Und weiter?
Der zweite Fehler ist, dass sie mich als den schlechtesten Spender überhaupt darstellen. Aber eigentlich bin ich einer der besten, weil ich offen bin und die volle Verantwortung übernehme. Viele Menschen, die Spermien bei internationalen Kliniken bestellen, haben wahrscheinlich ebenfalls Kinder mit Hunderten von Halbgeschwistern. Aber wenn man die Kliniken fragt, sagen sie: «Wir geben diese Daten nicht heraus.» Die Leute scheinen damit einverstanden zu sein, werfen mir aber vor, Informationen nicht korrekt weiterzugeben. Dabei wissen sie, dass ich nicht exklusiv bin und schon anderen Familien gespendet habe. Sie können davon ausgehen, dass ich noch mehr spenden werde. Im Grunde genommen haben sie bei mir den besten Service bekommen: Ich habe kein Geld verlangt, und ich war persönlich erreichbar. Bei einem persönlichen Treffen erfährt man viel mehr als durch ein paar Sätze und Fakten zum Lesen.
Spenden Sie heute noch Sperma?
Ich habe mit 26 Jahren angefangen zu spenden und spende immer noch, aber nur für Familien, denen ich schon früher gespendet habe. Seit 2019 spende ich nicht mehr an neue Empfänger.
Was machen Sie sonst in Ihrem Leben? Ihre YouTube-Videos vermitteln den Eindruck, dass Sie sich in einem endlosen Urlaub befinden.
Das täuscht (lacht). Wenn ich an einem Ort bin, mache ich etwa 20 Videos, sodass ich genug Material habe, um es über Monate hinweg hochzuladen; ich verdiene etwas Geld mit YouTube. Im Moment arbeite ich auf einem Grundstück meiner Familie in den Niederlanden. Ich kümmere mich um die Neubepflanzung und das Nachwachsen dieses Grundstücks; mein Ziel ist es, es zugänglicher zu machen.
Was ist Ihre ideologische Weltanschauung? Sie scheinen eine Mischung aus einem Konservativen und einem Hippie zu sein …
Vielleicht erwecke ich den Eindruck eines Hippies, weil ich mich darauf konzentriere, näher an der Natur zu leben, mehr wie traditionelle Menschen. In den Schweizer Alpen zum Beispiel lebten Menschen autark mit einigen Ziegen und Kühen – sie hatten den Käse, die Milch, das Fleisch. Das ist mein Ideal der Welt: Menschen, die bescheiden, naturnah und in einem kleinen, erweiterten Familienverband leben. So wie es immer war.
Und wo stehen Sie politisch?
Ich habe keine wirkliche politische Haltung. Ich stütze meine Überzeugungen auf Gott, die Natur und unsere Ahnen. Mein Glaube basiert auf einer Mischung aus östlich-orthodoxem Christentum, orthodoxem Katholizismus und vorchristlicher Ahnen- und Naturverehrung. Ich glaube, dass Gott den Ort, an dem wir leben, als einen vorübergehenden Ort geschaffen hat, an dem wir an unseren Seelen arbeiten und uns selbst beweisen können. Unsere Aufgabe ist es, für uns selbst, unsere Familie und die Natur zu sorgen. Wir müssen neues Leben schaffen und uns darauf konzentrieren, uns selbst zu erhalten.
Unterscheidet sich Ihr Sperma von dem anderer Männer? Haben Sie eine genetische Analyse durchführen lassen?
Ich stamme aus einer Familie ohne Fruchtbarkeitsprobleme und ohne bekannte genetische Krankheiten. Bei der Analyse meines Spermas wurde festgestellt, dass es von guter Qualität ist und den Einfrierprozess überleben kann. Deshalb habe ich mich entschieden, Spender zu werden. Alle meine Kinder sind gesund. Ein Kind hat das Downsyndrom und eines ein Wachstumsproblem – beide hängen mit einem genetischen Marker auf der Seite der Mutter zusammen.
Die Spermienqualität nimmt ab. Was ist der Grund dafür?
Ich denke, es hängt mit der Ernährung zusammen. Die Menschen essen viel zu viel und bevorzugen eine Ernährung auf Getreide- und Pflanzenbasis. Meistens essen sie nur sehr wenig Fleisch und Fisch aus Wildfang. Ich ernähre mich seit 15 Jahren vorwiegend von Fleisch. Ein weiterer Grund ist die Umwelt: Es gibt viel zu viele synthetische Materialien um uns herum. Der dritte Grund ist Alkohol: Das habe ich selbst bemerkt, als ich während drei Monaten viel Alkohol getrunken habe. Als ich danach auf die Spermienzahl getestet wurde, war sie um 50 Prozent niedriger als sonst.
Sollte es mehr oder weniger Menschen auf der Erde geben?
Es kann nicht zu viele Menschen geben, weil es so viele Tiere gibt, die wir essen können. In einer uneingeschränkten natürlichen Umgebung würde jeder mindestens vier oder fünf Kinder haben. Das sieht man bei Naturvölkern. Die Massai sind ein gutes Beispiel, sie betreiben keine Landwirtschaft; wir dagegen betreiben viel zu viel davon. Es ist in Ordnung, ein paar Obstbäume zu haben, aber die Menge an Getreide, die angebaut wird, ist wirklich verrückt. Da viele von uns in Städten leben, sind wir auf Nahrungsketten angewiesen. Und die sind hauptsächlich pflanzen- und getreidebasiert.
Niger ist das Land mit der höchsten Geburtenrate der Welt, mit etwa sechs Kindern pro Frau. Es ist auch das ärmste Land. Ist es nicht ein Zeichen des Fortschritts, weniger Kinder zu haben?
Fortschritt ist mir egal, denn ich sehe Fortschritt als etwas Schlechtes an. Er zerstört die Kultur und die Menschen, er bringt Krieg, Umweltverschmutzung und Stress. Fortschritt ist eine Krankheit.
Aber Sie profitieren sehr vom Fortschritt. Sie leben nicht in Niger in einer kleinen Hütte, sondern in den Niederlanden in einer schönen Wohnung. Sie nutzen auch Strom und zum Beispiel Bitcoin. Der Fortschritt bietet Ihnen viele Dinge, die Sie im Leben mögen.
Nein, ich fühle mich in der Zivilisation sehr unglücklich, ich bin gezwungen, all diese Dinge zu tun. Wenn ich in den Niederlanden ein Kaninchen jage, lande ich im Gefängnis. Ich suche nach einem abgelegenen Ort in Deutschland oder Frankreich, wo der Boden günstig ist und wo ich eine einfache Holzhütte bauen und ein paar Tiere halten kann. Aber das ist nicht einfach. Wir alle wurden einer Gehirnwäsche unterzogen, um zu glauben, dass wir Strom, einen Rasierapparat und ein Deodorant brauchen. Man braucht all diese Dinge, die man im Grunde nicht braucht. Ich denke, man muss das allmählich aufgeben. Man muss aus der Zivilisation aussteigen.
«Wir alle wurden einer Gehirnwäsche unterzogen, um zu glauben, dass wir Strom, einen Rasierapparat und ein Deodorant brauchen.»
Sie können ja nach Niger oder Indonesien ziehen, sich dort ein grosses Grundstück kaufen und so leben, wie Sie wollen.
Nein, denn ich respektiere die Kultur. Ich würde ihre Kultur stören, wenn ich mit meinem Geld oder meinem Wissen dorthin käme. Ich wäre eine Konkurrenz für die Menschen, die dort leben. Es ist einfach, nach Indonesien zu gehen und sich dort wie ein König zu fühlen – aber das ist nicht wirklich gut. Ich denke, dass ich in der Gegend bleiben sollte, aus der meine Vorfahren stammen: Deutschland, die Niederlande, Frankreich oder vielleicht Dänemark – dort fühle ich mich zu Hause.
Europa hat einige demografische Probleme. Es wird immer älter und die Geburtenrate sinkt. Es scheint, als wollten die Politiker ihre demografischen Probleme durch Einwanderung lösen. Ist das eine gute Idee?
Die Einwanderer kommen, um zu arbeiten, aber sie fühlen sich an ihrem Arbeitsplatz nicht zu Hause. Nichts gegen die Einwanderer selbst. Sie kommen hierher, weil ihre Heimatländer jetzt auch zivilisiert sind. Sie müssen auch arbeiten, um zu existieren, weil sie Geld zum Leben brauchen.
Haben Sie selbst Kinder in einer klassischen Ehe?
Nein, und das war der Grund, warum ich 2019 aufgehört habe, neuen Empfängern zu helfen – ich war so sehr damit beschäftigt, als Spender zu helfen, dass ich meine eigenen Bedürfnisse im Leben vergessen habe. Mein Ideal ist es, eine Frau zu heiraten und für sie und die Kinder zu sorgen. Eine grosse Familie zu haben ist natürlich, gut und gesund.