«Es ist die Privatsammlung von meinem Vater und mir,
und unser Publikum muss dem folgen»
Angela Rosengart hat eine bedeutsame Kunstsammlung nach ihrem Geschmack geformt und daraus ein Museum gemacht. Beim Rundgang durch die Sammlung Rosengart spricht sie über Picasso, der sie einst porträtierte.
Das Museum Sammlung Rosengart ist eine der bedeutendsten privaten Kunsteinrichtungen der Schweiz. Angela Rosengart, Jahrgang 1932, begann ihre Karriere als Assistentin in der Kunsthandlung ihres Vaters Siegfried Rosengart (1894–1985), wurde mehrfach von Pablo Picasso porträtiert und eröffnete 2002 in einem neoklassizistischen Gebäude in der Innenstadt von Luzern ihr eigenes Museum. Während Picassos Werke dort im Erdgeschoss hängen, sind im Untergeschoss bei gedämpftem Licht die Zeichnungen und Aquarelle von Paul Klee zu bewundern. Im ersten Stockwerk wiederum finden sich Gemälde von Paul Cézanne, Claude Monet, Fernand Léger, Amedeo Modigliani, Chaim Soutine, Marc Chagall und zahlreichen weiteren weltberühmten Künstlern. Das Gespräch fand bei einer persönlichen Führung durch die Sammlung statt. Rosengart hat zu jeder einzelnen Arbeit die zugehörige Geschichte präsent.
Frau Rosengart, worin unterscheidet sich Ihre Privatsammlung von einem staatlichen Museum?
Genau genommen gibt es keinen Unterschied. Bei einem staatlichen Museum kann allerdings die Leitung eingesetzt werden, hier hingegen bestimme ich. Was gezeigt wird, ist meine Sammlung, wie ich sie übergeben habe. Es ist schriftlich festgehalten, dass weder etwas verkauft noch etwas angekauft werden darf. Öffentliche Kunsteinrichtungen haben aber den Vorteil, dass der Staat sie unterhält, während ich mit meinem Vermögen hafte und ausserdem schauen muss, wie ich zu Geld komme.
Gab es einen Moment, in dem Sie bewusst beschlossen, Ihre private Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Als die Kunst noch bei mir zu Hause hing, habe ich mit diesen Bildern sehr intensiv gelebt und sie mir immer wieder angeschaut. Sie waren wirklich ein Teil von mir. Im Wissen darum, dass ich nicht ewig leben werde, musste ich aber irgendwann etwas arrangieren, damit es weitergeht. Da ich bereits festgehalten hatte, dass die Sammlung nicht verkauft werden darf, war es nicht meine Absicht, sie in den Keller zu verlegen! Dann bot sich die Gelegenheit, das ehemalige Gebäude der Schweizerischen Nationalbank zu kaufen.
Wie denn?
Das war ein richtiger Glücksfall. Ich erfuhr zufällig, dass das Gebäude, 1924 erbaut, zum Verkauf stehe, und ich konnte es für die Sammlung Rosengart sichern. Im Untergeschoss, den früheren Tresorräumen der Bank mit niedrigen Decken, hängen heute 125 Werke von Paul Klee. Im Erdgeschoss und im ersten Stock befinden sich Werke von Picasso, Miró, Chagall und vielen anderen bedeutenden Künstlern.
Fasst das Ausgestellte Ihren persönlichen Geschmack zusammen?
Es ist die Privatsammlung von meinem Vater und von mir, und unsere Besucher müssen unserem Geschmack folgen. Wir hatten sie nicht einmal als Sammlung konzipiert. Die Zusammenstellung entsprang dem Herzen und nicht etwaigen Überlegungen, ob hier oder da etwas fehlt beziehungsweise geändert werden sollte. Entweder hat uns ein Gemälde sofort gepackt oder uns eher gleichgültig gelassen, und dann erfolgte auch kein Ankauf. So sind Maler, die wir zwar als grosse Künstler anerkannten, die aber unserem Geschmack nicht entsprochen haben – beispielsweise Mondrian – nicht vorhanden. Es sind alles Bilder, die uns etwas bedeuteten, genau genommen über 300 Lieblingsbilder. Es gibt keines, das mir nicht ans Herzen gewachsen wäre. In einem öffentlichen Museum kann ein Direktor nicht nach seinem Gefühl entscheiden, was er gern ankaufen würde. Ich konnte das. Und deshalb beschreibe ich meine Sammlung eben als Sammlung des Herzens.
«Die Zusammenstellung entsprang dem Herzen
und nicht etwaigen Überlegungen, ob hier oder da etwas fehlt.»
Sind das Kunstwerke über Stil- und Genregrenzen hinweg?
Das Schwergewicht liegt auf dem späten Picasso und bei Paul Klee. Bei Klee ist das ganze Œuvre vertreten, von den frühen Werken bis zum Ende 1940. Auch bei den anderen Malern handelt es sich um Bilder, die mein Vater und ich nicht weggeben wollten, obwohl wir Kunsthändler waren.
Mögen Sie keine alten Meister?
Doch, durchaus! In einem Museum schaue ich sie mir sehr gerne an. Ich hatte aber nie das Bedürfnis, sie zu besitzen. Bei den Werken meiner Sammlung hingegen war der Wunsch immer: «Das muss ich haben!» Meine Mutter mochte insbesondere das 19. Jahrhundert. Der Saal mit Cézanne und den anderen Impressionisten ist eigentlich ihr Wohnzimmer.
Wenn die Sammlung so bestehen wird, wie sie sich jetzt zusammensetzt – haben Sie sich Gedanken gemacht, wie es erblich weitergeht?
Da ich das Gebäude der Stiftung geschenkt habe, besteht keine Gefahr, dass jemand kommen kann und sagt: «Leider brauchen wir dieses Haus jetzt für einen anderen Zweck.» Wir haben bislang eine kleine Subvention von der Stadt und vom Kanton bekommen, die hoffentlich bestehen bleibt. Den Rest habe ich unterhalten. Für die Zukunft muss man sehen, dass dies weiterhin so bleibt.
Wer ist Ihr Publikum?
Das war von Anfang an sehr international. Unsere Besucher kommen vor allem aus Europa, USA und auch Asien. Sehr schön daran ist, dass die Sammlung nicht nur Menschen im mittleren Alter oder Ältere anzieht, sondern auch junge Leute. An deren Reaktionen merke ich, dass sie spüren: Hier ist etwas anders als in anderen Museen, da hier allein zwei Individuen etwas nach ihrem Geschmack geformt haben. Schulklassen aus der Region besuchen uns häufig. Kleine Kinder reagieren besonders gut auf Klee.
Machen Sie irgendetwas dezidiert anders als staatliche Institutionen?
Als ich das Museum eingerichtet habe, kam jemand aus meinem Stiftungsrat zu mir und meinte, dass die Kunstwerke in den Sammlungen heute nicht mehr chronologisch gehängt würden, sondern Gegensätze gebildet würden. Ich habe das verneint, und heute sagen mir viele Besucher, dass es wohltuend sei, Bilder einmal in ihrer Entstehungsreihenfolge betrachten zu können, weil sich so die Werkentwicklung nachvollziehen lässt.
Ihr Museum hat an jedem Tag geöffnet, auch ein Unterschied zu einer staatlichen Institution.
Ja, das Museum Sammlung Rosengart kann man jeden Tag besuchen, und es kommen auch täglich Leute – auch an Heiligabend und an Neujahr. Und jeden Sonntag gibt es eine öffentliche Führung.
Wie entstand Ihre Bindung zu Pablo Picasso?
Mein Vater hatte ihn 1914 kennengelernt, woraus sich eine Freundschaft entwickelte, die später auf mich übergegangen ist. Er war einfach ein lieber Freund. Dass er Porträts von mir gemacht hat, war ein Zufall – wobei man bei Picasso allerdings anmerken muss, dass er aus jedem Zufall etwas gemacht hat. Wir trafen ihn einmal im Dorf, in dem er lebte. Mein Vater unterhielt sich mit ihm, während ich danebenstand. Irgendwann schaute er mich an und sagte: «Kommen Sie morgen zu mir, ich mache ein Porträt von Ihnen.» Das war eine eindrückliche Erfahrung, denn diese Augen vergisst man nicht. Sie gingen durch einen hindurch, wirklich ein Röntgenblick. Obwohl Picasso ein äusserst liebenswürdiger Mann war, hatte ich beim Gezeichnetwerden den Eindruck, von diesen Augen durchbohrt und aufgefressen zu werden.
«Obwohl Picasso ein äusserst liebenswürdiger Mann war, hatte ich beim Gezeichnetwerden den Eindruck, von diesen Augen durchbohrt
und aufgefressen zu werden.»
Wie steht es um übrige Künstler in Ihrer Sammlung?
Klee ist genauso wichtig gewesen für mich – aber viele andere auch: Matisse, Chagall, Miró, Monet, Renoir, Cézanne. Mein Vater hat die Kunsthandlung 1920 in Luzern eröffnet. Ich kam 1948 zu ihm. Im Gegensatz zu anderen Kunsthandlungen hatten wir wirklich nur Bilder zum Weiterverkauf angekauft, bei denen wir nicht nur vom Verstand her reagiert haben, sondern wo auch das Herz mitgespielt hat. Das haben unsere Kunden auch gespürt.
Wer waren Ihre frühen Käufer?
Unsere Kunden kamen aus der ganzen Welt, aber nicht aus Luzern. Mein Vater sagte immer: «Wenn ich von den Luzernern hätte leben müssen, wäre ich längst verhungert.»
«Mein Vater sagte immer:
‹Wenn ich von den Luzernern hätte leben müssen, wäre ich längst verhungert.›»
Wie kommt es, dass es in Ihren Räumen kaum Sitzgelegenheiten gibt, um die grossformatigen Arbeiten in Ruhe zu betrachten?
Das liegt daran, dass ich den Basler Architekten Roger Diener mit der Neugestaltung der Räume für das Museum beauftragt habe, und der ist Purist! Er wollte keine Sitzgelegenheiten ausser in einigen wenigen Räumen. Wir haben bei Bedarf aber Klappstühle.
Haben Sie eigentlich zu jedem Bild die Erinnerung an den Ankauf?
Mehr oder weniger. Hier zum Beispiel.
(Wir stehen gerade vor «Paysage de Provence», einem 1965 entstandenen Gemälde von Picasso.)
Dieses Bild gehörte einer New Yorker Kunsthändlerin, die mir sagte, dass es ihr eigentlich nicht gefalle, und deshalb von mir wissen wollte, ob ich vielleicht etwas damit anfangen könnte. Im Gegensatz zu ihr war ich sofort begeistert davon. Also gab ich ihr andere Werke im Tausch, und sie war glücklich und ich auch. Sie sehen: Manchmal passieren Wunder.
Passierte so was öfters?
Nein, aber als ich bei meinem Vater in der Galerie zu arbeiten anfing, verliebte ich mich in eine Zeichnung von Klee, die noch im Besitze des Klee-Nachlasses war. Es war das berühmt gewordene «X-chen». Mein Vater riet mir, mit dem Nachlassverwalter zu sprechen. Ich nahm also mein Herz in beide Hände und trug dem Herrn vor, wie sehr ich das Bild liebte. Er fragte mich, wie viel ich denn im Monat verdiene. Das waren 50 Franken – der Lohn, den ein Lehrling damals bekam. Er fragte mich: «Wärst du bereit, einen ganzen Monat für dieses Bild zu arbeiten?» Natürlich war ich das, und er sagte nur: «Gut, du bekommst es für 50 Franken!» Das ist vielleicht die hübscheste Geschichte zu einem unserer Bilder.
Frau Rosengart, angesichts all dieser Kunstwerke stelle ich mir Sie als sehr glücklichen Menschen vor.
Da haben Sie richtig gefühlt.