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Es gibt nur noch eines: Das Ausland. Die Schweiz

Zur Neuausgabe der Briefe des Dadaisten Hugo Ball Zu guter Letzt fühlte er sich ganz wohl in der Schweiz. Den Krieg und Deutschland fliehend, fand
Hugo Ball 1915 in Zürich sein Exil, wurde Dadaist und kehrte nicht mehr zurück. Von seinem Leben
in der Schweiz erzählen seine Briefe, die vom Wallstein Verlag neu herausgegeben worden sind.

«Einen Schriftsteller», so geht die Erzählung, soll die Zürcher Polizei im August des Jahres 1915 verhaftet haben. Laut Protokoll wurde er «wegen wiederholtem wissentlichen Gebrauch eines auf einen andern Namen lautenden Ausweispapieres zu einer Woche Gefängnis verurteilt». Genauer heisst es, der Beschuldigte habe sich als den Kunstmaler John Höxter ausgegeben, unter dem falschen Namen eine Schreibmaschine gemietet und seine Photographie in den Pass Höxter geklebt. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung befand sich der Angeklagte bereits 14 Tage in Haft, so dass die Haftstrafe längst abgegolten und er am 30. August wieder auf freiem Fuss war.

An diesem Tag schreibt Hugo Ball an seine Schwester Maria Hildebrand: «Liebe Maria! Deinen letzten Brief erhielt ich in sehr ‹drückenden› Verhältnissen (Zürich-Selnau). Du hast vielleicht inzwischen gehört, was für ein ‹Verbrechen› ich begangen habe. Ich bin ein schrecklicher Mensch, nahezu ein Raubmörder. Mit zwei Polizeihunden wurde ich eingeliefert.»

Dabei hatte Balls Aufenthalt in der Schweiz, in die er Ende Mai 1915 emigriert war, hoffnungsvoll begonnen. Bevor er Deutschland verliess, musste er seine Karriere als Dramaturg bei den Münchener Kammerspielen aufgeben: «Kunst? Das ist nun alles aus und lächerlich geworden … Mir graust vor der Zukunft. Der Krieg ist das Einzige was mich noch reizt.» Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, arbeitete er vor-übergehend in Berlin als Redaktor bei einer illustrierten Wochenschrift. Am 8. März 1915 schreibt er aus Berlin an seine Schwester: «Noch etwas: In Zürich soll viel internationales Leben sein.» Vier Tage darauf fährt er fort: «Ich sehne mich sehr hinaus, aus Deutschland, nach der Schweiz … Ich entwerfe die abenteuerlichsten Pläne, wie ich dorthin kommen kann.» Und Anfang April stellt er gegenüber seiner Gönnerin Käthe Brodnitz fest: «Es gibt nur noch eines: Das Ausland. Die Schweiz.» Hugo Ball ist in diesem zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nicht der einzige, den die deutschen Kriegszustände ins Exil treiben. Zwar gab sich vorerst ein Teil der künstlerisch-literarischen Avantgarde der Illusion hin, der Weltkrieg könnte durchaus positive Folgen haben, indem er Land und Leute läutere. Selbst Ball hatte sich zunächst als Kriegsfreiwilliger gemeldet, war allerdings aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt worden. Doch sehr bald wurde er, so wie die meisten Intellektuellen, von der Wirklichkeit des Krieges eingeholt. Ernüchtert gingen viele ins Ausland. Zentren bildeten sich in der Schweiz etwa in Zürich, wo sie sowohl eine bürgerliche wie internationale Stadt antrafen, in der es allerdings heftige Ressentiments gegen Zugereiste gab. Kein Wunder also, dass sich die Emigranten zusammen taten, beispielsweise in der Halb- und Unterwelt, in den «Apachen»-Vierteln des Zürcher Amüsierbetriebs. Ball fand Gleichgesinnte: «Hier in Zürich haben wir das leibhaftige Café des Westens (Berlin). Man sieht so recht, wie krank die ganze deutsche Intelligenz ist. Fast alle sind beurlaubt in die Schweiz (und empfinden den Aufenthalt hier als Exil).»

Jodeln: ja, Kubismus: nein

Nur bedingt kann demgemäss die Moderne in der Schweiz als eine Schweizer Moderne gelten. Schweizer Künstler wie Friedrich Glauser oder Sophie Taeuber taten sich mit den Gruppen emigrierter Autoren, Musiker und Maler zusammen. Gemeinsam brachen sie in die avantgardistische Moderne auf. Im Zuge der Überprüfung der Einhaltung der Gesetze und des rechtmässigen Aufenthalts der Fremden durch die Behörden kam Ball 1919 als literarischer Leiter des Verlags der «Freien Zeitung» in Bern ein weiteres Mal in Konflikt mit der Staatsgewalt. Diesmal beabsichtigte die Polizei, ihn mit der Begründung auszuweisen, dass seine politische Haltung die bolschewistische Agita-tion begünstige.

Hugo Ball machte schlechte Erfahrungen nicht nur mit der Schweizer Obrigkeit. Auch Kontakt und Umgang mit den Einheimischen behagten ihm nicht allzusehr. So berichtet er in einem Brief vom 1. März 1916 über das Publikum des dadaistischen «Cabaret Voltaire»: «Schweizer kommen wenige zu uns.» Selbst bei der dort eigens veranstalteten «Schweiz-Soirée» enttäuscht ihn der dürftige Zuspruch. Er notiert: «Den Sonntag hatten wir den Schweizern eingeräumt. Die Schweizer Jugend aber ist zu bedächtig für ein Kabarett.» Verärgert schreibt er dann am 2. Juni an seinen Jugendfreund August Hofmann: «Die Schweizer sind sehr untalentiert … die Schweiz ist das Land der Heilsarmee … Die Schweizer neigen mehr zum Jodeln als zum Cubismus.»

Dennoch ist seine Beziehung zur Schweiz nicht zwangsläufig eine schlechte. Deutlich wird diese Einschätzung anhand eines Berner Briefwechsels mit Emmy Hennings im Frühjahr 1918. Zunächst rät er dieser, sich vertraglich mit dem Verlag Erich Reiss Berlin zu binden und dort ihren Roman «Gefängnis» zu veröffentlichen: «Denn in Deutschland müssen wir wirken, nicht in der Schweiz. Solange es möglich ist, und soweit es möglich ist, immer in Deutschland.» Kurz darauf vertritt er jedoch die entgegengesetzte Meinung und plädiert: «Es ist jetzt von Deutschland nicht viel zu erwarten und es ist die Frage, ob man nicht gut daran tut, ganz darauf zu verzichten, sich irgend Hoffnungen von dieser Seite zu machen.» Am 7. April hat er sich in dieser Angelegenheit endgültig für den Verlag Max Rascher Zürich entschieden: «Zu Reiss rate ich Dir nicht mehr … Es wäre sehr gut, wenn Rascher das Buch bringt. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir in der Schweiz sind und mit denen zusammenarbeiten, die in unserer Nähe sind.»

Glück im Exil

Obgleich Emmy Hennings’ «Gefängnis»-Roman, trotz Balls Einwänden, letzten Endes bei Reiss erschienen ist, wird an diesen Briefstellen die Bedeutung sichtlich, die die Schweiz als schriftstellerische Werkstätte für Hugo Ball besitzt. Er arrangiert sich im Laufe der Zeit mit der Eidgenossenschaft, er akzeptiert sein dortiges Leben. So heisst es Ende April 1916 in einem Brief: «Hier in der Schweiz wollen wir zunächst einmal unser eigenes Heil finden.» Dem Bauingenieur und Astrologen Joseph Englert berichtet er am 5. November 1923, als er eine kurze Deutschlandreise in die Pfälzer Heimat, nach Berlin und München beendet hat: «Ich war sehr glücklich wieder in der Schweiz zu sein und grüsste Ihnen nach Zug hinüber.»

In der Schweiz hat Hugo Ball schliesslich seine wichtigsten Bücher verfasst, «Flametti oder Vom Dandysmus der Armen», «Tenderenda der Phantast», die «Kritik der deutschen Intelligenz», das «Byzantinische Christentum», die «Flucht aus der Zeit» sowie «Hermann Hesse. Sein Leben und sein Werk». Indem er im Schweizer Exil künstlerisch-intellektuelle Freunde finden konnte, war es ihm möglich, sich in Freiheit literarisch zu verwirklichen. Nur deshalb ist es ihm gelungen, den Dadaismus zu begründen. Andererseits konnte auch aufgrund der Entbehrungen der Schweizer Jahre und des gemeinsam durchlebten Schicksals die Bindung zu Emmy Hennings reifen: Am 21. Februar 1920 heirateten sie in Bern.

Im Tessin, in «dieser paradiesischen Landschaft» lernte Hugo Ball am 2. Dezember 1920 Hermann Hesse kennen. Sie lebten eine zeitlang in den benachbarten Dörfern Agnuzzo und Montagnola. Schnell entwickelte sich aus der Bekanntschaft eine innige Freundschaft. Ohne das Schweizer Exil hätte Ball Hermann Hesse vermutlich nie getroffen. Am 29. Dezember 1925 schreibt Ball an Hesse aus dem italienischen Vietri sul Mare: «Aber gestern … da sagte ich zu Emmy: ich weiss nicht, ich habe ein schlechtes Gewissen, so wie als Junge, wenn ich zulange ausgestreunt war; wir müssen schauen, dass wir nachhause, in die Schweiz kommen.» Der Italienaufenthalt der Balls endete im Mai 1926 mit der Heimkehr ins tessinische Lugano-Sorengo.

Der Schweiz war Ball immerhin dermassen verbunden, dass er des öfteren das Gefühl hatte, sich in Deutschland «nicht mehr zurechtzufinden» und durch die Schweiz «den deutschen Verhältnissen doch sehr entwöhnt zu sein». Das belegen seine zahlreichen Briefe, die jetzt in einer dreibändigen, kommentierten Edition neu erschienen sind. In den Jahren bis zu seinem Tod in S. Abbondio am 14. September 1927 ist dieser expressionistische Theatermacher und Dada-Gründer, dieser Kritiker und erste Hesse-Biograph nie endgültig nach Deutschland zurückgekehrt und hat einen grossen Teil seines Lebens in der Schweiz verbracht. Ein für Hugo Ball nicht immer einfacher Umstand: «Es war nicht leicht, als Deutscher in der Schweiz auszuhalten, und gar für Literaten».

Hugo Ball, Briefe 1904-1927. 3 Bde. Hrsg. und kommentiert von Gerhard Schaub

und Ernst Teubner. Wallstein, Göttingen 2003.

Oliver Ruf, geboren 1978, studiert Germanistik und Politikwissenschaften. Demnächst erscheint sein Essay: «Jedem Lyriker sein Kabarett» im «Hugo Ball Almanach» 2004 (Hrsg. Pirmasenser Zeitung, verlag@pz-pirmasens.de). (tenderenda@aol.com)

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