Es gibt kein Menschenrecht auf ein sicheres Klima
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erfindet neue Rechte ohne Grundlage. Seine Argumentation steckt voller Widersprüche und ignoriert die klimawissenschaftlichen Fakten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am Dienstag einer Gruppe älterer Schweizerinnen gegen ihre Regierung in einem wegweisenden Urteil rechtgegeben, das Auswirkungen auf den ganzen Kontinent haben könnte. Das Gericht entschied, dass die Schweiz «ihren Pflichten» zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Einhaltung der Emissionsziele nicht nachgekommen sei.
Der Verein «KlimaSeniorinnen Schweiz» hatte argumentiert, dass sie besonders betroffen seien, weil ältere Frauen am stärksten von der immer häufiger auftretenden extremen Hitze betroffen seien. «Das Gericht hat unser Grundrecht auf ein gesundes Klima anerkannt und unser Land aufgefordert, das zu tun, was es bisher versäumt hat: nämlich ehrgeizige Massnahmen zum Schutz unserer Gesundheit und zum Schutz der Zukunft aller zu ergreifen», sagte Anne Mahrer, Mitglied der Gruppe.
Das Urteil ist jedoch kein Sieg für die Menschenrechte, sondern droht uns in eine neue Klimahölle voller Gerichtsverfahren zu führen.
Bestrebungen für ein neues Grundrecht
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, in der 30 Menschenrechte aufgezählt werden, findet international breite Zustimmung. Das Wort «Klima» oder das Wort «Umwelt» wird in der Erklärung nicht erwähnt. Dies gilt auch für die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
In Europa gibt es Bestrebungen, ein neues Menschenrecht auf ein sicheres, stabiles Klima zu schaffen. In einer Entscheidung des UNO-Menschenrechtsausschusses (UNHRC) heisst es:
«Umweltschäden, Klimawandel und eine nicht nachhaltige Entwicklung gehören zu den dringlichsten und schwerwiegendsten Bedrohungen für die Fähigkeit heutiger und künftiger Generationen, das Recht auf Leben zu geniessen.»1
Der UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte schreibt in einem Bericht von 2019:
«Es besteht inzwischen weltweit Einigkeit darüber, dass die Menschenrechtsnormen für das gesamte Spektrum von Umweltfragen, einschliesslich des Klimawandels, gelten.»2
Ableitungen, die auf einem Beschluss des UNHRC und einem Bericht des UNO-Sonderberichterstatters für Menschenrechte beruhen, schaffen kein neues «Menschenrecht» auf Schutz vor den gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels. Die UNO hat keinen Versuch unternommen, internationale Unterstützung für ein neues Menschenrecht auf Schutz vor dem Klimawandel zu schaffen. Ein solches Recht ist im Pariser Klimaabkommen weder implizit noch explizit enthalten.
Selbst wenn die Netto-Null-Ziele weltweit bis 2050 erreicht würden, würde sich das Klima aufgrund natürlicher Wetter- und Klimavariabilität weiter verändern: Vulkanausbrüche, Sonneneffekte, grossräumige Schwankungen der Ozeanzirkulationen und andere geologische Prozesse. Ausserdem würde es aufgrund der Trägheit des Klimasystems (insbesondere der Ozeane und Eisschilde) viele Jahrzehnte dauern, bis nach Erreichen des Netto-Null-Ziels eine spürbare Veränderung bei extremen Wetter-/Klimaereignissen und dem Anstieg des Meeresspiegels eintreten würde.
«Selbst wenn die Netto-Null-Ziele weltweit bis 2050 erreicht würden, würde sich das Klima aufgrund natürlicher Wetter- und Klimavariabilität weiter verändern.»
Die Übertreibung der Risiken des vom Menschen verursachten Klimawandels führt zu schwerwiegenden Widersprüchen im Zusammenhang mit der Vorstellung, «dass die Menschenrechte Schutz vor den Auswirkungen eines gefährlichen Klimawandels bieten».
Insbesondere was das Recht auf Leben betrifft, ist die weltweite Sterblichkeit (pro 100 000 Menschen) aufgrund von extremen Wetter- und Klimaereignissen seit 1920 um 99 Prozent zurückgegangen.3 Zwischen 1980 und 2016 ist die weltweite Sterblichkeit (pro 100 000 Menschen) aufgrund von extremen Wetter- und Klimaereignissen um das 6,5fache gesunken.4 Die Sterblichkeitsstatistiken seit 1980 zeigen einen klaren negativen Zusammenhang zwischen Verwundbarkeit und Wohlstand.5 Ein Anstieg des Wohlstands bietet also einen viel grösseren und sichereren Schutz vor klimabedingten Risiken als eine Emissionsreduktion.
Der Trend in den Sterblichkeitsstatistiken bedeutet nicht, dass Wetter- und Klimakatastrophen seltener oder schwächer geworden sind. Der Trend bedeutet, dass die Welt heute viel besser in der Lage ist, Todesfälle durch extreme Wetter- und Klimaereignisse zu verhindern als in der Vergangenheit. Erreicht wurde dies durch den zunehmenden Wohlstand (angetrieben durch Energie aus fossilen Brennstoffen), der eine bessere Infrastruktur, grössere Reserven, Vorwarnungen und eine verbesserte Erholungskapazität ermöglicht.
Die rückläufigen Sterblichkeitsstatistiken werfen mehrere Fragen und Widersprüche bezüglich der Behauptung auf, dass «die Menschenrechte Schutz vor den Auswirkungen des gefährlichen Klimawandels bieten». Was ist mit den «Rechten» der Menschen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts (oder früher) durch extreme Wetter- und Klimaereignisse starben, die nur durch natürliche Wetter- und Klimaschwankungen verursacht wurden? Wie sollten diese Todesfälle damals verhindert werden? Zählen die Todesfälle nur, wenn sie auf die vom Menschen verursachte Erwärmung zurückzuführen sind, nicht aber z. B. durch die Einschränkung des Zugangs zu sicheren Brennstoffen zum Kochen?6 Zählen die Todesfälle nur, wenn sie durch die vom Menschen verursachte Erwärmung hervorgerufen werden, nicht aber durch natürliche Wetter- und Klimaschwankungen? Wie sollen die Kosten für die Verhinderung von Todesfällen im Zusammenhang mit extremen Wetter- und Klimaereignissen (unabhängig davon, ob sie natürlich oder menschengemacht sind) gegen die Kosten abgewogen werden, die durch Bemühungen entstehen, die weitaus grössere Zahl von Todesfällen aufgrund unzähliger anderer Ursachen zu verhindern?
Die Argumente, die das vermeintliche Recht auf ein sicheres Klima stützen, werden erheblich geschwächt, wenn man die nachteiligen Auswirkungen klimapolitischer Massnahmen auf die Nahrungsmittelproduktion versteht. Darüber hinaus hat die Klima- und Energiepolitik erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und verursacht Umweltschäden. So führt beispielsweise die Nutzung von Biomasse als Brennstoff zur Abholzung von Wäldern, während On- und Offshore-Windturbinen und Solarparks das soziale Gefüge, die Immobilienpreise, die Natur, die biologische Vielfalt, die Landschaft und die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können (und das auch tun). Der Abbau und die Herstellung von Batterien und anderen mit erneuerbaren Energien verbundenen Gütern und Infrastrukturen haben negative Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit, und erneuerbare Energien verursachen auch CO2-Emissionen. Da der EGMR die Auffassung vertritt, dass das Recht auf Leben auch vor Umweltschäden und daran geknüpfte Gesundheitsrisiken schütze, müssen diese nachteiligen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit bei allen politischen Massnahmen, die auf das Urteil des Gerichtshofs reagieren, berücksichtigt werden.
«Die Klima- und Energiepolitik hat erhebliche
Auswirkungen auf die Umwelt und verursacht Umweltschäden.»
Widerspruch zu Nachhaltigkeitszielen
Der Bedarf an fossilen Brennstoffen wird weiter bestehen. Eine rasche Beschränkung fossiler Brennstoffe, bevor sauberere Energie zur Verfügung steht, steht im Widerspruch zu höherrangigen Nachhaltigkeitszielen – keine Armut, kein Hunger, erschwingliche und saubere Energie sowie Industrie, Innovation und Infrastruktur. Es gibt kein Menschenrecht auf ein sicheres oder stabiles Klima. Abgesehen davon, dass es kein internationales Abkommen gibt, enthält ein solches «Recht» zu viele Widersprüche, um sinnvoll zu sein.
Der Artikel erschien zuerst auf dem Blog Climate etc. Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Seaman.
«CCPR/C/127/D/2728/2016», United Nations Official Documents, 23. September 2020, https://www.un.org/en/delegate/page/un-official-documents. ↩
UNO-Umweltprogramm: Safe Climate: A Report of the Special Rapporteur on Human Rights and the Environment, 1. Oktober 2019, https://www.unep.org/resources/report/safe-climate-report-special-rapporteur-human-rights-and-environment. ↩
Bjørn Lomborg: Welfare in the 21st Century: Increasing Development, Reducing Inequality, the Impact of Climate Change, and the Cost of Climate Policies. In: Technological Forecasting and Social Change 156, Juli 2020, https://doi.org/10.1016/j.techfore.2020.119981. ↩
Giuseppe Formetta und Luc Feyen: Empirical Evidence of Declining Global Vulnerability to Climate-Related Hazards. In: Global Environmental Change 57, Juli 2019, https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2019.05.004. ↩
Bjørn Lomborg: False Alarm: How Climate Change Panic Costs Us Trillions, Hurts the Poor, and Fails to Fix the Planet. New York: Basic Books, 2020, S. 218. ↩
Kirk R. Smith und Ajay Pillarisetti: Household Air Pollution from Solid Cookfuels and Its Effects on Health. In: Disease Control Priorities, Third Edition: Injury Prevention and Environmental Health 7. Hrsg. von Charles N. Mock et al. 2017, S. 133–52, https://doi.org/10.1596/978-1-4648-0522-6_ch7. ↩