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«Es gab keinen offensichtlichen Grund, haufenweise Geld zu drucken»
Bild: Mervyn King, Keystone/Camera Press/Andrew Crowley/Telegraph.

«Es gab keinen offensichtlichen Grund, haufenweise Geld zu drucken»

 

Lord King, wir haben kürzlich die Rückkehr des Inflations­gespenstes erlebt. Was geht hier vor?

In den letzten zehn Jahren hatten sich die Zentralbanken an den Gedanken gewöhnt, dass es angesichts des langsamen, aber stetigen Wirtschaftswachstums und der recht stabilen Inflation geldpolitisch nicht viel zu tun gebe. Als dann die pandemiebedingte Krise ausbrach, glaubten die Zentralbanken, dass sie nun endlich etwas tun müssten – sie griffen ein und druckten eine grosse Menge zusätzliches Geld. Das war ein Fehler. Die Pandemie verursachte einen starken Rückgang des Angebots in der Wirtschaft. Es war kaum über­raschend, dass auch die Nachfrage und die Ausgaben kleiner wurden. Angebot und Nachfrage fielen gemeinsam. Während die Regierungen berechtigterweise die Unternehmen mit Notkrediten unterstützen mussten, um so die Beschäftigung aufrechtzuerhalten, gab es für die Zentral­banken keinen offensichtlichen Grund, haufenweise zusätzliches Geld zu drucken. Sie taten es trotzdem. Wenn aber zu viel Geld zu wenig Waren gegenübersteht, führt das zu Inflation. Das ist es, was wir gegenwärtig erleben. Deshalb hält die Inflation auch länger an, als die meisten Zentralbanken im letzten Jahr zunächst glaubten.

Können die Zentralbanken die brenzlige Situation mit den ­erwarteten Zinserhöhungen bereinigen?

Die Zentralbanken werden eine Aufholjagd starten müssen – bei den Zinssätzen liegen sie nämlich weit hinter dem ­Niveau zurück, wo die Geldpolitik idealerweise sein sollte. Das bringt sie in ein echtes Dilemma: Es ist für die Zentralbanken ziemlich schwierig, die Fehler der letzten Jahre einzugestehen, namentlich das Ausmass von Quantitative Easing (QE) und die rekordhohe Ausweitung der Geldmenge. Wir werden nun eine Reihe kleinerer Zinserhöhungen sehen, die womöglich jedoch zu spät kommen. Es ist zu befürchten, dass die Inflation einen Punkt erreicht, an dem die Zentralbanken einen Abschwung in der Wirtschaft in Kauf nehmen müssen, um die Inflation wieder auf ihre Zielwerte zu bringen.

Unmittelbar nach der Finanzkrise von 2008 waren Sie bei der Bank of England für die Ausarbeitung des QE-Programms ­zuständig. Sie glaubten damals, dass die Geldspritze ­funktionieren würde. Hat sie das?

Ja, sie hat funktioniert. Der Grund für QE war damals folgender: Die Geschäftsbanken, die den grössten Teil der Geldmenge in der Wirtschaft in Form von Bankeinlagen bereitstellen, schrumpften ihre Bilanzen, indem sie weniger Kredite vergaben – sie schränkten so jedoch die breite Geldmenge ein. Die Herausforderung, mit der sich die Zentralbanken konfrontiert sahen, war somit ein tatsächliches Schrumpfen der gehaltenen Geldmenge in der Wirtschaft. Das mussten wir ausgleichen, indem wir selbst mehr Geld schufen. Dank QE ist uns das gelungen. In den letzten beiden Jahren war die Situation jedoch eine andere: Die Geschäftsbanken haben ihre Kreditvergabe nicht eingeschränkt, die Geldmenge hat sich nicht wesentlich verringert. All dieses zusätzliche Geld, das die Zentralbanken durch das erneute QE geschaffen haben, hat einfach zu ­einem schnellen Anstieg der Geldmenge in der Wirtschaft geführt. Zentralbanken scheinen zu glauben, dass sie bei jeder schlechten Nachricht mehr Geld drucken müssten. In manchen Krisen besteht das Problem jedoch nicht darin, dass die Geldmenge zu gering ist. Die Vorstellung, dass jede schlechte Wirtschaftsnachricht QE rechtfertige, ist ein intellektueller Irrtum.

Welche Rolle spielten Sie bei diesem intellektuellen Irrtum? Sie waren daran beteiligt, QE auf den Tisch zu bringen. Fühlten Sie sich manchmal wie Frankenstein, der Schöpfer ­eines Monsters, das sich nicht bändigen lässt?

Nein, ganz und gar nicht. Die Zentralbanken mussten schon immer darüber entscheiden, wie viel Geld die Wirtschaft braucht. Im letzten Jahrzehnt haben einige Zentralbanker jedoch vergessen, dass der Zweck von ausser­ordentlichen Massnahmen wie QE darin besteht, die Geldmenge in der Wirtschaft zu regulieren – und nicht darin, eine politische Antwort auf eine Krise zu geben.

Lange schienen die Zentralbanken ihre Inflationsziele nicht zu überschreiten, nun schnellen die Teuerungsraten vielerorts in die Höhe. Wie kam es, dass viele Ökonomen davon überrascht wurden?

Die Disziplin ist in eine Falle getappt: Viele glauben, dass die Inflation bei stabilen Erwartungen ebenfalls robust bleibe. Dadurch werden jedoch die Entscheidungen der Zentralbanken fast vollständig von der tatsächlichen Entwicklung der Inflation abgekoppelt. Der Glaube, dass die Inflationserwartungen unabhängig von den Zentral­banken seien, ist ein logischer Trugschluss: Wenn die Zentralbanken so viel Geld drucken wie in den letzten beiden Jahren, dann wird die Inflation ansteigen und – wenig über­raschend – auch die Inflationserwartungen nach oben drücken. Man kann nicht einfach sagen, dass die Inflation niedrig bleiben wird, nur weil die Zentralbanker das wiederholt in ihren Zielen behaupten.

«Die Vorstellung, dass jede

schlechte Wirtschaftsnachricht

Quantitative Easing rechtfertige,

ist ein intellektueller Irrtum.»

In den letzten Jahren wurden massenhaft Staatsanleihen aufgekauft. Gefährdet das die Unabhängigkeit der ­Zentralbanken?

Eine unabhängige Geldpolitik bedeutet, dass die Zentralbanker in der Lage sind, geldpolitische Entscheidungen ohne übermässigen Druck seitens der Politiker zu treffen. Die Zentralbanken werden in Zukunft tatsächlich mit ­einer Schwierigkeit konfrontiert sein: Hören sie nämlich damit auf, in grossem Umfang Staatsanleihen zu kaufen, so könnte es für die Regierungen sehr viel schwieriger werden, ihr Haushaltsdefizit zu finanzieren. Dies könnte zu mehr politischem Druck führen. Diese Gefahr ist geringer, wenn eine Zentralbank sich an ein sehr begrenztes Mandat zu halten hat: Wenn sie sich lediglich auf die Geldwert­stabilität konzentriert, ist es viel unwahrscheinlicher, dass das Politpersonal sich einmischt.

Was halten Sie von der Forderung, dass die Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik die Klimawende unterstützen sollten?

Ich halte das für einen schrecklichen Fehler. Die Zentralbanken müssen mehrere finanzielle Risiken berücksichtigen, nicht nur in bezug auf das Klima. Es ist heuchlerisch von den Regierungen, die Zentralbanken ans Steuerrad der Bekämpfung des Klimawandels zu befördern. Weder in den USA noch im Vereinigten Königreich gibt es eine explizite CO2-Steuer, die von den meisten Ökonomen empfohlen wird. Die Regierungen selbst könnten enorm viel tun, um den Klimawandel zu bekämpfen. Warum in aller Welt weigern sie sich, es selbst zu tun?

Lassen Sie uns allgemeiner darüber sprechen: Was kann eine Zentralbank leisten? Und was nicht?

Die Zentralbanken können Geldwertstabilität erreichen, die Schweiz ist hierfür das beste Beispiel. Sie können sich um die Stabilität des Zahlungsverkehrs und des Finanzsystems kümmern. Diese Aufgaben sind mehr als genug – es ergibt keinen Sinn, die Energie der Zentralbanker auf andere Ziele zu lenken.

In den letzten Jahren haben sich die Finanztransaktionen ­dramatisch verändert. In Grossbritannien wurden im Jahr 2020 nur noch 17 Prozent aller Zahlungen in bar ­abgewickelt. Ist das ein Problem?

Nein, das glaube ich nicht. Die Zentralbanken stellen so viel Bargeld bereit, wie der private Sektor nachfragt. Wenn die Menschen weniger Bargeld wollen, so stellen die Zentralbanken halt weniger Bargeld bereit. Tatsächlich ist nur die verwendete Menge von Bargeld bei Transaktionen zurückgegangen – die gehaltene Menge an Bargeld ist stabil geblieben. Das moderne Zahlungssystem hat viele andere Dimensionen als das von den Zentralbanken ausgegebene Bargeld: Die meisten Zahlungen werden digital mit den Mitteln des privaten Sektors abgewickelt. Das funktioniert sehr gut: Mit ein paar Klicks kann ich meine Rechnungen bezahlen oder Geld in die ganze Welt überweisen. Für inländische Transaktionen ist dies bereits fast kostenlos und geschieht beinahe blitzartig.

Also kein Grund für Zentralbanken, ihr eigenes digitales Geld herauszugeben?

Der Wirtschaftsausschuss des britischen Oberhauses, dem ich angehöre, hat kürzlich einen Bericht zu diesem Thema erstellt. Wir nannten ihn: «Central Bank Digital Currencies: Eine Lösung, die ein Problem sucht?» Es ist ganz klar, dass keine Zentralbank ein digitales Bankkonto für jeden Bürger des Landes eröffnen will. Es ist eine absurde Vorstellung, dass mein Freund Thomas Jordan bald schon ­Telefonanrufe von verärgerten Haushalten in der Schweiz entgegenzunehmen hat, weil die nicht in der Lage sind, ­ihren Computer mit der digitalen Brieftasche zu verbinden. Ein anderer Vorschlag sieht vor, dass die Zentral­banken grundsätzlich für digitale Geldbörsen garantieren, die aber nach wie vor von Geschäftsbanken und anderen privaten Zahlungsdienstleistern bereitgestellt werden. Doch wäre das überhaupt eine Verbesserung gegenüber dem Status quo? Die Zentralbanken garantieren bereits heute implizit Bankkonten bei Geschäftsbanken – einerseits durch die Einlagensicherung, anderseits durch Interventionen im Falle eines drohenden Zusammenbruchs des Bankensystems, wie es 2008 der Fall war. Es mag stimmen, dass man die Regulierung der Funktionsweise des Bankensystems noch verbessern kann. Und es mag sein, dass wir Wege finden können, um das Zahlungssystem noch effizienter zu machen. Aber der Gedanke, dass man die Effizienz steigern könne, indem man einen staatlichen Konkurrenten für die privaten Banken schaffe, erschliesst sich mir nicht. CBDC scheinen ein Projekt zu sein, für das sich die Leute einfach deshalb interessieren, weil die dahinter­liegende Technologie aufregend ist.

Was halten Sie von Kryptowährungen?

Kryptowährungen sind ein Versuch, völlig neue Währungssysteme zu schaffen. Dafür gibt es zwei offensicht­liche Gründe: Der eine ist, dass man das Vertrauen in die eigene Regierung verliert, die Währung zu verwalten, wie das beispielsweise in Venezuela geschehen ist. Auch dort verwendet die Mehrheit der Menschen jedoch keine Kryptowährungen, sondern steigt auf eine ausländische Papierwährung wie den US-Dollar um. Der zweite Grund ist spekulativer Natur: Wenn ich Sie dazu bringen kann, einen Coin zu einem hohen Preis von mir zu kaufen, dann verdiene ich Geld daran. Weshalb würden Sie das tun? Weil Sie daran glauben, dass Sie die Kryptowährung zu einem noch höheren Preis an die nächste Person verkaufen können. Es ist sehr schwer zu erkennen, welchen Wert eine dieser Kryptowährungen tatsächlich hat: Sie sind nicht ­gedeckt, es gibt keine Garantien wie bei einer staatlichen Papierwährung. Es gibt auch kein Edelmetall oder einen Rohstoff, der den Wert stützt – es ist da nur der Glaube, dass jemand anders bereit sein werde, Ihren Bitcoin zu ­einem höheren Preis zu kaufen, als Sie selbst für ihn bezahlt haben. Irgendwann wird dies ein Ende haben. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Kryptowährungen für alltägliche Transaktionen verwendet werden. Selbst wenn dies der Fall wäre, würde sofort eine strenge Regulierung eingeführt, um ihre Funktionsweise zu kontrollieren, denn wir können uns einen Zusammenbruch des Zahlungs­systems nicht leisten. Das Zahlungssystem ist in wirtschaftlicher Hinsicht das Äquivalent zur Elektrizitäts­versorgung: Es muss reguliert werden, weil unsere Wirtschaft und Gesellschaft ohne es zusammenbrechen würden.

Glauben Sie, dass es physisches Bargeld in 10 Jahren noch geben wird?

Ja. Es gibt Ökonomen, die für das Ende von Bargeld plädieren, weil so Negativzinsen auf Privatkundeneinlagen möglich würden. Die vollständige Abschaffung des Bargelds würde jedoch enorme politische Empörung hervorrufen. Ausserdem würden die Menschen eher auf Fremdwährungen zurückgreifen, als negative Zinsen auf ihren eigenen Konten hinzunehmen. Die Zentralbanken haben sich schon immer bereit erklärt, das von den Menschen nach­gefragte Bargeld bereitzustellen. Wenn diese Nachfrage auf ein sehr niedriges Niveau sinkt, ist das kein Problem. Aber warum sollte man die Menschen davon abhalten, Bargeld zu halten? Die Technologie des Zahlungsverkehrs ­ändert sich ständig: Wenn man im späten 19. Jahrhundert durch Europa reiste, hatte man einen Beutel mit Goldmünzen dabei. Wo immer man hinging, bezahlte man mit Gold. Heutzutage verwenden wir digitale Mittel wie Kreditkarten oder direkte Banktransfers. Das kann der Privatsektor liefern, dafür braucht es keinen Zentralbankmechanismus.

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