Erinnerung an den
stalinistischen Terror
Olga Lawrentjewa: Surwilo. Eine russische Familiengeschichte.
Im November 1937 wird der Werftarbeiter Wikenti Kasimirowitsch Surwilo aus heiterem Himmel in Leningrad verhaftet. Der überzeugte Kommunist, Mitglied der KPdSU, wird bezichtigt, Teil einer konterrevolutionären Spionage- und Sabotageaktion gegen die UdSSR zu sein. Unvermittelt reisst Stalins «grosser Terror» Surwilos Familie auseinander und zerstört ihr junges Glück. Seine Ehefrau und die beiden Töchter Ljalja und Walja werden nach Baschkortostan verbannt, wo sie in einem kleinen Dorf in prekären Umständen unterkommen.
Bei der zu diesem Zeitpunkt zwölfjährigen Walja hinterliess dieses Ereignis ein Trauma, welches ihre Enkelin, die russische Künstlerin Olga Lawrentjewa, in einer Graphic Novel aufgearbeitet hat. Basierend auf den Erinnerungen ihrer Grossmutter widmet sie sich auf rund 300 Seiten deren Jugendjahren. Als Tochter eines «Volksverräters» war sie gesellschaftlich ausgegrenzt, hinzu kam bald die Invasion der Deutschen im Zweiten Weltkrieg und dessen brutaler Verlauf.
Die Zeichnungen sind durchwegs schwarz-weiss gehalten, ein düsterer wie melancholischer Ton zieht sich durch die gesamte Geschichte. Angst und Unsicherheit sind als Motive allgegenwärtig. Bemerkenswert ist, wie Lawrentjewa mit den Konturen und der Schriftgestaltung spielt: Mal sind die Umrisse der dargestellten Objekte und Personen klar ersichtlich, mal verwischt und verläuft die schwarze Zeichentusche, zerfliesst gleichsam zu wirren, skizzenhaften Bildkompositionen, die Sinneseindrücken in einem Traum oder bruchstückhaften Erinnerungen gleichen. Gleichwohl geht der rote Faden nicht verloren.
2019 publiziert, fand das Werk grossen Anklang in Russland. Die Greueltaten der Sowjetunion gegen die eigene Bevölkerung und deren Aufarbeitung sind nach wie vor von hoher Aktualität: Staatliche Repression ist auch in der Gegenwart die Methode, die Regeln eines autoritären Regimes durchzusetzen.