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Interview Teil 3:
Worauf Erfolg gründet

Über seine akademische Laufbahn und darüber, was Erfolg ausmacht, spricht Anthony de Jasay im dritten Teil unserer Interview-Reihe.

Teil 2 finden Sie hier.

Mitte der 1950er Jahre ging es von Australien zurück nach Europa. Können Sie etwas zu den Umständen sagen?

Jährlich vergab die University of Western Australia ein Stipendium; der jeweilige Nutzniesser konnte frei wählen, wo er studieren wollte. 1955 erhielt ich dieses Hackett Scholarship zugesprochen und wählte Oxford. Die Überfahrt war lang, aber abwechslungsreich. Ich erinnere mich gut an die Passage des Suezkanals, an farbenfrohe Märkte und gerissene Händler in Bur Said. Einer von ihnen legte mich mit einer vermeintlich goldenen Armbanduhr aufs Kreuz; allerdings konnte ich das edle Stück noch vor dem Ablegen weiterverkaufen.

In Oxford wurden wir gut aufgenommen. Als Stipendiat und Doktorand begann ich zunächst beim Ökonomen Roy Harrod, der in früheren Jahren mit John Maynard Keynes zusammengearbeitet und 1951 auch dessen offizielle Biographie zur Veröffentlichung gebracht hatte. Nach einigen Monaten wechselte ich zu John Hicks, der mit seinen Arbeiten ebenfalls wesentlich zur Verbreitung und Weiterentwicklung keynesianischer Theorien beigetragen hatte. Die Zusammenarbeit mit Harrod wie auch mit Hicks war gut, obschon ich Keynes in der Sache kritisch gegenüberstand.

Sachlichen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz wurde ich bald ans Nuffield College gewählt; das war eine postgraduale Ausbildungsstätte im Bereich Forschung. Die Arbeit machte rundum Freude, und ich hatte einen gewissen Erfolg. In kurzen Abständen konnte ich mehrere wissenschaftliche Beiträge in den besten und angesehensten Zeitschriften des Faches publizieren, in der «Review of Economic Studies», in den «Oxford Economic Papers», im «Journal of Political Economy», schliesslich zweimal im «Economic Journal».

Wissenschaftlich waren solche Publikationen zweifellos wertvoller als eine Dissertation. Dass auch meine Betreuer diesen Unterschied explizit betonten, mag mit dazu beigetragen haben, dass ich die Doktorarbeit vernachlässigte und schliesslich nicht formell einreichte: warum noch Zeit damit verlieren?

War die akademische Laufbahn eine Option, die Sie damals ernsthaft in Erwägung zogen?

Ja. Zweimal versuchte ich in jenen Jahren, in Oxford eine dauerhafte Anstellung zu bekommen; zweimal aber fand ich mich am Ende des Berufungsverfahrens auf dem zweiten Platz. Im Lichte meiner akademischen Vorleistungen und insbesondere der Publikationsliste wurde diese doppelte Nichtwahl auch innerhalb der Fakultät nicht nur von positiven Reaktionen begleitet.

Verliessen Sie Oxford mit Wut im Bauch?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Es gab auch andere konkrete Gründe, die gegen Oxford sprachen. Einer davon lag in der faktischen Unmöglichkeit, über eine wissenschaftliche Karriere so etwas wie materielle Unabhängigkeit zu erreichen. Ein zweiter Grund lag darin, dass meine erste Frau in jenen Jahren häufig zum Ausdruck brachte, dass sie lieber in Frankreich leben würde. Also zogen wir nach Frankreich.

Ein Wort noch zu Oxford: waren Sie dort auch in der Lehre tätig?

Oh ja. Ich forschte am Nuffield College und lehrte gleichzeitig am University College. Wie gut ich als Lehrer und Betreuer war, sollen andere beurteilen; jedenfalls gab ich mir grosse Mühe, empfand das Herunterbrechen komplexer Zusammenhänge aber stets als echte Knochenarbeit.

Regelmässig gab es auch Tutorien. Zur Vorbereitung mussten die Studierenden jeweils kurze Essays schreiben. Einer dieser Abende ist mir in lebendiger Erinnerung geblieben. Ein indischer Student hatte die Feinheiten des natürlichen Zinssatzes ganz offensichtlich nicht verinnerlicht. Also begann ich mit Erklärungen und setzte mehrfach neu an; ich redete und zeichnete; ich gab mir alle erdenkliche Mühe. Zuletzt war ich selbst am meisten erschöpft und wartete zumindest auf ein Wort des Dankes. «Na ja», sagte der junge Inder, «eigentlich bin ich nicht nach Oxford gekommen, um diese Dinge so vereinfacht zu hören.»

Heutige Studierende finden Ihre Bücher und Artikel durchwegs anspruchsvoll.

Tun sie das? Ich habe immer versucht, klar und verständlich zu schreiben; Disziplin und Widerspruchslosigkeit eines Gedankengangs sind mir wichtig. Wenn ich also höre, meine Texte seien schwere Kost, dann tut das ein bisschen weh, und ich muss annehmen, in diesem Punkt versagt zu haben. Auch und gerade der nicht spezialisierte Leser soll verstehen, was ich sagen will.

«Anspruchsvoll» bedeutet ja nicht schwere Kost! Auf Oxford folgte Frankreich und dieser Umzug war gleichbedeutend mit dem Wechsel in die Privatwirtschaft.

Das ist richtig. 1962 kamen wir nach Paris, wo ich als Analytiker in einem Konsortium begann, das von zwölf Banken aus zwölf verschiedenen Ländern gegründet worden war. Arbeitssprache war Englisch. Unsere operative Tätigkeit bestand darin, Unternehmungen nach verschiedensten Seiten hin zu durchleuchten. Das Konsortium wurde schnell grösser und beschäftigte bald über hundert Personen. Die Arbeit war interessant und abwechslungsreich; ich war häufig unterwegs, kam auch intern rasch voran und wurde bald die Nummer Zwei.

Über mehrere Jahre hinweg ging alles gut. Dann kam es vermehrt zu persönlichen Spannungen mit der Nummer Eins, einem Franzosen. Zuletzt spitzte sich die Situation so zu, dass ich die Geldgeber vor die Wahl stellen musste: er oder ich. Nun, die Geldgeber entschieden sich für meinen französischen Chef. Anzumerken bleibt, dass wenige Monate später auch das Konsortium aufgelöst wurde.

Und was machten Sie?

Ich wurde ohne Verzug selbständig und arbeitete mit einigem Erfolg als franc-tireur. Zwischen 1972 und 1974 gelang dieser Ein-Mann-Unternehmung ein Husarenstück, das heute in dieser Form schlicht undenkbar wäre, nämlich die Fusion zweier grosser Firmen aus der europäischen Versicherungsbranche. Ich verdiente gutes Geld und hatte zum erstenmal in meinem Leben eine solide finanzielle Basis.

Folgten weitere Geschäfte dieser Art?

Nein. Ab 1974 war ich als selbständiger Investor an der Börse tätig und gewann auf diese Weise ein nicht unwesentliches Vermögen. So angenehm das war, meinen Lebensstil mochte ich deswegen nicht ändern von einer Ausnahme abgesehen. Diese Ausnahme war ein schönes Jaguar-Daimler-Coupé. Diese Art von Limousine wurde auf Bestellung handgefertigt. Selbst eine kostspielige Anschaffung solcher Art fiel damals nicht wirklich ins Gewicht.

Das tönt nach guten Zeiten!

Gute Zeiten in der Tat. Die Wende kam in den frühen 1980er Jahren mit Investitionen in die Entwicklung eines grösseren Erdgasfeldes in Oklahoma. Das Projekt hatte vielversprechend begonnen, stiess dann auf geologisch bedingte Schwierigkeiten, blieb stecken und wurde schliesslich zum Fiasko. In finanzieller Hinsicht waren die Folgen gravierend; der grösste Teil meines Vermögens war verloren.

Vermögen und Unvermögen oder einfach Glück und Pech? Wie beurteilen Sie jene wechselvollen Jahre aus heutiger Sicht?

Erfolg gründet wohl zu 80 Prozent auf Zufall oder günstigen Umständen. In meinem Leben waren es stets 80 Prozent günstige Umstände und 20 Prozent eigenes Vermögen. Man tendiert dazu, diese Proportionen falsch zu sehen und dem eigenen Können und Schaffen zuviel Gewicht zu geben. Wenn ich damals viel Geld verlor, dann jedenfalls nicht darum, weil ich plötzlich dümmer gewesen wäre als zuvor. Vielleicht haben ja Zufall und Umstände in meinem Fall eine grössere Rolle gespielt als für andere; jedenfalls bin ich überzeugt davon, dass solche Unwägbarkeiten in den meisten Fällen entscheidend sind und dass alle Versuche, sie zu kontrollieren, grandios scheitern müssen.

Hatte der Verlust Ihres Vermögens einschneidende Auswirkungen auf die äusseren Lebensumstände?

Handgefertigte Limousinen habe ich seither nicht mehr gekauft; ansonsten hat sich erfreulich wenig geändert. Noch in den späten 1970er Jahren war ich zusammen mit meiner zweiten Frau hinaus in die Normandie gezogen – und hier leben wir noch immer. Die Wahl dieses Wohnorts hing damit zusammen, dass meine Frau aus dieser Gegend stammt und hier eine kleine Erbschaft antreten konnte.

Haus und Garten bilden eine wunderbare, fast schon idyllische Einheit; seit 30 Jahren leben Sie hier. Fühlen Sie sich heute verwurzelt?

Paris zu verlassen, fiel jedenfalls nicht schwer. Selber auf einem Landgut aufgewachsen, habe ich die Grossstadt zu keinem Zeitpunkt geliebt. Und ja, was die persönlichen Lebensumstände betrifft, fühle ich mich sehr wohl hier. Ob ich aber verwurzelt bin? Soweit würde ich nicht gehen, der Begriff des Weltbürgers trifft die eigene Wahrnehmung besser. Wenn ich überhaupt so etwas wie politische Zugehörigkeit spüre, dann gehört diese Loyalität bis heute Grossbritan-nien. Noch immer bin ich englischer Staatsbürger und habe nicht vor, daran etwas zu ändern. Ausser Frage steht aber auch eine Rückkehr nach England. Hier in Janville besitzen und geniessen wir eine Hektare hübsches Parkland; es wäre undenkbar, drüben eine vergleichbare Existenz zu führen.

Hier gelangen Sie zum letzten Teil dieser Interview-Reihe mit Anthony de Jasay.

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