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Erfinder der Zukunft

Die Kultur der permanenten Innovation – die sucht Daniel Borel, Gründer von Logitech, an der EPFL. Darum hat sich seine Firma auf dem Campus angesiedelt. Dass er da auch auf Konkurrenten trifft, stört ihn nicht. Hauptsache, er hilft, die Zukunft neu zu erfinden.

Erfinder der Zukunft

Herr Borel, die Computermaus ist einst in einer Scheune bei Morges entwickelt worden. Weshalb braucht Logitech heute Einrichtungen wie das Daniel Borel Innovation Center auf dem Campus der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, um neue Erfindungen zu machen?

Na ja, also vorab: die Idee zu dem Namen kam natürlich nicht von mir, den hat das Logitech-Management kreiert! Ich aber habe mich von Anfang an dafür eingesetzt, unser Entwicklungscenter in das «Quartier de l’innovation» der EPFL zu verlegen, denn Präsenz auf dem Campus ist für ein Unternehmen wie das unsrige eine hervorragende Sache. Nicht nur, weil wir ohnehin sehr viele Leute von dieser Hochschule engagieren, sondern auch, weil die dauernde Interaktion mit der Forschung höchst stimulierend ist.

 

Es geht also darum, Innovation zu institutionalisieren. Sind die Zeiten spontaner Erfindungen durch freie kreative Geister vorbei?

Wenn man jung ist, führt der einzige Weg zu unternehmerischer Existenz über das überraschende Hervorbringen eines neuen, innovativen Produkts. Man muss anders sein als alles, was bisher da war – schafft man das als Erfinder nicht, wird man als Unternehmer gar nicht erst existieren. Das Problem ist aber, dass man auch als bewährter Unternehmer kein garantiertes Existenzrecht hat. Ist man gut im Geschäft, vergisst man das allzu leicht. Man glaubt, der Erfolg sei automatisch und auf ewig da; man vernachlässigt die permanente Weiterentwicklung, und irgendwann kommt der Kollaps. Erfolg ist des Unternehmers schlimmster Feind! Für eine etablierte Firma gibt es deshalb nur eine Überlebensstrategie: innovate, innovate, innovate!

 

Ziel ist es also, innerhalb eines Unternehmens eine Kultur der permanenten Innovation zu pflegen. Weshalb gelingt das auf dem Campus besser als im firmeneigenen Labor?

Das hat natürlich einerseits pragmatische Gründe: wir können nicht die ganze Forschung der Welt selber durchführen, dazu haben wir schlicht das Geld nicht. Andererseits bietet der Campus vor allem auch eine Denkfrische, die einem Unternehmen intern bisweilen verlorengeht: je länger dieselben Köpfe um die gleichen Fragen kreisen, desto weniger kreativ werden die Antworten. Unvoreingenommene Ideen von aussen sind deshalb unverzichtbar. Der entscheidende Vorteil des Standorts «Campus» aber ist die mentale Stimmung, die dort herrscht. Denn um die technologische Zukunft zu erfinden, braucht es eine Umgebung, die die fähigen Leute dazu ermuntert, genau dies zu tun.

 

Wodurch charakterisiert sich denn diese zukunftsträchtige Umgebung – entsteht die automatisch, wenn man Wissenschafter und Unternehmer gemeinsam in einem «Quartier de l’innovation» ansiedelt?

Die wichtigsten Bestandteile eines wahrhaft innovativen Umfelds sind Vertrauen und Anerkennung. In der Schweiz und in Europa im allgemeinen stehen die Ingenieure in der sozialen Hierarchie weit tiefer als Anwälte oder Ärzte. Man sieht sie als simple Techniker an – und nicht als die grossartigen Träger der Zukunft, die sie potentiell tatsächlich sind. Um dieses Potential zu entfalten, brauchen die jungen Wissenschafter Vertrauen, Respekt und Wertschätzung. Und genau das können wir im «Quartier de l’innovation» vermitteln: auf dem Campus der EPFL stehen die Ingenieure im Zentrum des Interesses und erfahren dort jene Anerkennung, die ihren erfinderischen Trieb beflügelt.

 

Es geht also darum, in dem Biotop an der EPFL eine Mentalität zu kultivieren, die den Keim zur Innovation trägt?

Man muss hier nichts Neues erfinden, anderswo steht dieser Keim ja schon in voller Blüte. Schauen Sie sich das Silicon Valley an. Meine drei Kinder, allesamt Ingenieure, leben und lieben es dort. Weshalb? Weil sie mit ihrem Beruf dort die Welt bedeuten. Das Silicon Valley ist deshalb so ungemein innovativ, weil es den Ingenieuren zu verstehen gibt, dass sie der Schlüssel zur Zukunft sind. Hier in der Schweiz liegt das Einstiegsgehalt eines Ingenieurs unanständig tief. Drüben in den USA aber kann man als Ingenieur schon direkt nach der Uni viel mehr Geld verdienen als ein Manager mit MBA, ein Arzt oder ein Anwalt. Ich will nicht sagen, dass Geld alles ist im Leben. Aber Ansehen und Vertrauen spiegeln sich natürlich im Salär.

 

Wie erlebten Sie die beiden Welten, als Sie zuerst an der EPFL und später in Stanford studierten?

Meine Eltern unterstützten mich mit vollen Kräften. Zugleich spürte ich jedoch: sie hätten es lieber gehabt, ich wäre Arzt geworden. Die Studienkollegen, die klüger waren als ich, haben sich von der Forschung verabschiedet, um ihr gutes Geld als Manager zu machen. Wenn aber alle Ingenieure zu Managern werden, haben wir plötzlich niemanden mehr, der uns die Zukunft erfindet! Deshalb gibt es nur eines: man muss den jungen Technikern auf jede Weise das Gefühl geben, dass sie etwas Grossartiges sind. Denn wenn die Gesellschaft sie wie Götter behandelt, werden sie für die Gesellschaft auch als Götter handeln.

 

Die Umtopfung dieser Silicon-Valley-Mentalität in die Schweiz dürfte nicht ganz einfach sein. Wo der Durchschnitt das Richtmass ist, haben Götter einen schweren Stand.

Das ist in unserer Gesellschaft tatsächlich ein Problem. Ich habe deshalb Patrick Aebischer immer wieder gesagt: wenn du hier ein Silicon- oder Biotech-Valley aufbauen willst, dann musst du zuallererst daran arbeiten, den Spirit der Leute zu ändern. Du musst deren Mindset neu prägen.

 

Kaum etwas ist Träger als eine Mentalität. Wie helfen Sie, den Kulturwechsel an der EPFL voranzutreiben?

Mit jener Sache, die immer die beste ist im Leben: Competition, Wettbewerb. Man muss Leute von aussen bringen, die einem durch ihren Erfolg die Augen öffnen. Genau das hat Aebischer getan. Zum richtigen Zeitpunkt – nach 9/11, als die USA so dumm waren, ihre Immigrationspolitik dauernd zu verschärfen – hat er begonnen, massenweise kluge Köpfe nach Lausanne zu holen. Wenn dadurch an der EPFL unterdessen mehr Start-ups von Ausländern gegründet werden als von Schweizern und wenn es jedes Jahr ausländische Studenten sind, die die bestdotierten Preise garnieren, dann bringt das die Schweizer langsam, aber
sicher dazu, sich ein paar Fragen zu stellen. Die Einsicht, dass Ausländer vor unserer Haustür und basierend auf unserem Ausbildungssystem hervorragende Innovationen schaffen, wird uns irgendwann zu mehr Aktivität anstacheln.

 

Dennoch ist das insgesamt ein sehr langfristiges Projekt. Welche kurzfristigeren Interessen verfolgte Logitech mit der Einrichtung eines «Innovation Center» auf dem Campus einer Hochschule?

In einem Umfeld, in dem die Zukunft entsteht, profitiert jeder von jedem. Es geht auf dem Campus nicht um ein klassisches quid pro quo. Die ganze Investition ist ein langfristiger Plan – jeder Franken, den ich als Unternehmer in die Universität investiere, braucht mindestens 10 Jahre, bevor er mir irgendeinen messbaren Nutzen bringt. Wenn überhaupt. Vielleicht leuchten mir diese Zusammenhänge intuitiv ein, weil ich in Stanford gesehen habe, wie die Unterstützung von Start-ups und Spin-offs allenthalben nicht als unsichere Ausgabe, sondern als langfristige Investition verstanden wird, die auf indirekten Wegen dereinst allen  zugute kommt. Von einem höheren und produktiveren Forschungs- und Bildungsniveau profitiert letztlich die ganze Gesellschaft.

 

Für ein exzellentes Bildungsniveau setzen Sie sich auch mit einer eigenen Stiftung ein. Woran mangelt es der schweizerischen Bildungslandschaft?

An Weitsicht. Nirgends zeigt sich dies besser als beim Bundesrat. Immer, wenn dort über das Budget von ETH und EPFL diskutiert wird, sind die Magistraten am Schluss stolz, irgendwelche Streichungen präsentieren zu können. Unser politisches Gremium führt die technischen Hochschulen als Posten auf der Ausgabenseite, anstatt sie als das zu begreifen, was sie sind: eine Investition in die Zukunft. Es fehlt das Verständnis dafür, dass die Exzellenz einiger jetzt zu fördern ist, weil sie später das Lebens-niveau aller anheben wird. Wie das funktio-niert, sieht man wunderbar bei Apple, das mit seinen herausragenden Produkten Arbeit für das gesamte gesellschaftliche Spek-trum schafft: als Verkäufer in einem Apple Store erhält auch eine intellektuell weniger begünstigte Person die Chance, sich ein gutes Leben zu verdienen.

 

Ihrer Ansicht nach füllen die privaten Unternehmen mit ihrem Engagement an den Universitäten also eine Lücke, die der Staat unbesehen entstehen lässt?

Gewissermassen, ja. Viele Leute sind bei diesem Thema ja häufig sehr skeptisch, um nicht zu sagen emotional. Der freie Geist der Universitäten sei in Gefahr, weil sich die bösen Industriellen die Forschung mit Geschenken gefügig machten, wird hier immer wieder geschimpft. In Tat und Wahrheit sollte die Gesellschaft den privaten Investoren dankbar sein, denn von ihrer Regierung allein bekäme die Schweiz gewiss keine Vision für die langfristige Entwicklung ihres Bildungsplatzes.

 

Die Skepsis rührt von der Mühe, sich ein Geschäft ohne quid pro quo vorzustellen – schliesslich sprechen wir hier nicht von Philanthropen, sondern von Unternehmern. Wie läuft denn die Kooperation zwischen Uni und Firma auf dem Campus konkret ab?

Die Zusammenarbeit läuft hervorragend, und zwar im Sinne eines Gebens und Nehmens. In unserem Entwicklungscenter auf dem Campus, wo wir etwa 120 Mitarbeiter haben, stellen wir permanent fünf oder sechs Praktikumsplätze für Studenten zur Verfügung. So können die jungen Leute erste Erfahrungen in der realen Welt der praktischen Forschung sammeln, können dadurch entscheiden, ob ihnen das gefällt oder nicht. Wenn die Erfahrung gegenseitig positiv ist, liegt natürlich später auch eine Anstellung nahe; zentral ist aber, den Studenten Ein-blicke in die Arbeitswelt zu bieten…

 

…und Ihrerseits Zugang zu hellen Köpfen mit unverbrauchten Ideen zu bekommen. So weit leuchtet der Tausch ein. Gibt es Vereinbarungen, die den Transfer zwischen Firmen und Hochschule inhaltlich regeln?

Natürlich gibt es überall dort Regeln, wo es um die Nutzung von geistigem Eigentum und Patenten geht. Wenn wir Wissen verwenden, das der EPFL gehört, bezahlen wir dafür. Abgesehen davon bestehen aber
weder Vereinbarungen, die die Forschungsinhalte betreffen, noch bürokratische Prozesse, die den Austausch mit den Studenten regeln. Es liegt alleine an uns, die Studenten für unsere Produkte und unsere Arbeit zu begeistern. Um das studentische Interesse zu wecken, veranstalten wir beispielsweise ab und zu eine «Thank God it’s Friday»-Feier, wo die Studenten Gelegenheit haben, uns bei einem Drink kennenzulernen…

 

Sie stehen im «Quartier de l’innovation» in einem veritablen Wettbewerb nicht nur um Studenten, sondern auch um Ideen, denn auf dem Campus leben Sie Tür an Tür mit Konkurrenzfirmen wie Cisco. Ist das unternehmerisch klug?

Na ja, das ist gelebter Wettbewerb. Man hat Cisco und Nokia nebenan, man ist mal Freund, mal Konkurrent, und immer gibt es einen grossen Umschlag von Ideen. Das ist die Realität der offenen Welt, und das ist gut: Competition ist immer sehr gesund. Zwar können die Leute in einer solch konzentrierten Anlage schnell von einem Job zum nächsten wechseln. Für eine Firma können solche raschen Bewegungen aber insofern von Nutzen sein, als sie ein klares Zeichen dafür sind, dass die eigene Attraktivität schrumpft. Von solchen Weckrufen muss man als Unternehmen profitieren und rasch wieder mehr in die Innovation investieren.

 

Arbeitserfahrungen und Drinks auf der einen, Ideen und Weckrufe auf der andern Seite – Studenten und Firmen profitieren offensichtlich auf vielfältige Weise vom angestrebten Transfer. Was aber hat die Universität als Institution davon?

Kaum war das «Quartier de l’innovation» fertig gebaut – kürzlich erst hat Nestlé ein letztes Gebäude bezogen –, sind schon Pläne für ein zweites Quartier auf der andern Seite des Campus aufgetaucht. Und dies nur, weil die ganze Sache gerade auch für die Universität selber ein riesiger Gewinn ist. Denn für schulische Institutionen, die Recherche betreiben, ist es von immenser Wichtigkeit, den Leuten konkrete Zukunftsmöglichkeiten anbieten zu können. Als ich 1973 mein Studium abschloss, gab es keinen einzigen Ort, an dem ich hätte arbeiten und forschen können. Dass man den Studenten heute schon während der Ausbildung zeigen kann, dass ihr Studium zu einem existenzsichernden Job führt, ist sehr viel wert.

 

Andererseits war es doch gerade auch der Mangel an Optionen, der Sie dazu gezwungen hat, Eigeninitiative zu entwickeln und unternehmerisch aktiv zu werden. Wenn man den Studenten die Zukunft fixfertig auf dem Campus serviert, ist das dem
Pioniergeist nicht unbedingt zuträglich.

Mit dem EPFL-eigenen «Parc scientifique» in Ecublens gibt es auch eine Einrichtung, die Start-ups fördert; etwa 100 kleine Firmen versuchen dort, Uni-Forschungen auf den Markt zu bringen. Das ist zwar von der Idee her und im Hinblick auf die Förderung des Unternehmergeists eine sehr positive Sache. Tatsächlich aber hat der behütete Rahmen der Universität zur Folge, dass die wenigsten dieser Kleinstfirmen eine Motivation haben, das lokale Umfeld zu verlassen. Für Wachstum und Erfolg wäre das aber zentral. Mit Logitech bin ich von Anfang an in die Welt hinausgezwungen worden – die Maus hätte meine Familie nie ernähren können, wenn ich sie nur in der Schweiz verkauft hätte.

 

Wie löst das amerikanische Vorbild das Problem des Verharrens der Jungunternehmer in der universitären Komfortzone?

Es gibt dort nichts, was dem Kokon gleicht, den die EPFL um ihre Studenten spinnt. Im Silicon Valley ist die reale Welt der Prüfstein für alle Ideen. So erhalten Studienabgänger beispielsweise die Gelegenheit, ihre Projekte vor interessierten Risikokapitalisten zu präsentieren – die dann sogleich die Spreu vom Weizen trennen: von 100 Kandidaten wird in nicht mehr als 5 oder 6 tatsächlich investiert. Die restlichen 95 werden nicht weitergeschleppt. So läuft das dort: man ist drinnen oder draussen, und zwar nicht in fünf Jahren, sondern sofort. Das ist sehr viel realitätsnäher als das, was wir hier zurzeit praktizieren. Aber vermutlich wird die EPFL eines Tages auch in dieser Sache auf die richtige Lösung kommen.

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