Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem
Bruno Meier (Hrsg.): «Das Unbehagen im Kleinstaat Schweiz. Der Germanist und politische Denker Karl Schmid (1907–1974)». Zürich: Verlag NZZ, 2007.
33 Jahre nach seinem Tod hat Karl Schmid einige Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt dank dem von Bruno Meier herausgegebenen Sammelband «Das Unbehagen im Kleinstaat Schweiz», dessen Untertitel bereits deutlich macht, dass es hier um mehr geht als um ein Gelehrtenleben im Elfenbeinturm der Wissenschaft: «Der Germanist und politische Denker Karl Schmid (1907–1974)».
Dass sich der fast schon legendäre Professor, Generalstabsoberst und aktive Staatsbürger für eine Auseinandersetzung mit der Schweiz in der Zeit der «Geistigen Landesverteidigung» und des «Kalten Krieges» geradezu exemplarisch anbiete, stellt der Herausgeber schon im ersten Satz seiner Einleitung fest. Die dann folgende biographische Skizze von Thomas Sprecher verweist nicht nur auf das mit grosser Leidenschaft und Energie betriebene Nebeneinander von Studium, frühem publizistischen Schaffen und Militärdienst, sondern auch auf eine andere prägende Erfahrung: Karl Schmids Auslandaufenthalte, vor allem im Land Friedrich Schillers, über dessen «Gestaltungsweise» er seine Dissertation schrieb. In den dreissiger Jahren, in denen Schmid seine Vortragstätigkeit begann, reiste er mehrmals ins Deutsche Reich. «Sicher ist die wissenschaftliche Richtung Schmids und ihre starke moralische Wurzel auch die Folge der politischen Vorgänge in Deutschland. Schon der Aufsatz ‹Über das Idyllische› von 1937 richtete sich klar gegen die Ideologie und die Literaturpolitik des Nationalsozialismus.»
In die Zeit seines Aktivdienstes fällt die Eheschliessung Schmids mit der Kabarettistin und vielseitigen Künstlerin Elsie Attenhofer. Im Jahr 1943 wurde er zum ausserordentlichen Professor für deutsche Sprache und Literatur an der ETH Zürich gewählt. Als Schmid 1950 den Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe einleiten konnte und seine Arbeiten über Hermann Hesse und Thomas Mann auf breites Interesse gestossen waren, war er endgültig im geisteswissenschaftlichen und literarischen Leben der Schweiz etabliert. Ja, auch und gerade im literarischen, auf das er als Kritiker und Publizist, vor allem aber als Sekretär des Charles-Veillon-Preises bald einen schwer zu überschätzenden Einfluss gewann.
Erst in Schmids sechstem Lebensjahrzehnt entstanden die drei Bücher, die ihn über den wissenschaftlichen Bereich hinaus bekannt machten: «Hochmut und Angst» (1958), «Unbehagen im Kleinstaat» (1963) und «Europa zwischen Ideologie und Verwirklichung» (1966). Seine Ansichten zur Integration Europas und seine Beiträge zur Diskussion um die Atombewaffnung der Schweiz in der 1960er Jahren gehörten zu den wichtigsten über sein eigentliches Metier hinausweisenden Beiträgen. Der um die Frage des Verhältnisses des Bürgers zum Kleinstaat kreisende Essay von 1963, dessen nicht von allen Zeitgenossen und Nachgeborenen gebilligtes Ziel es war, die Kritik am Staat in staatserhaltende Kritik zu verwandeln, blieb Schmids bekanntestes Werk und spielte noch 1974 eine Rolle, als es zum Bruch mit dem einst geschätzten Max Frisch kam, der Schmid in seiner Dankrede zum Grossen Schillerpreis im Zürcher Schauspielhaus persönlich attackiert hatte.
«Er war ein Bildungsbürger im besten Sinn, geprägt durch die Auseinandersetzung mit Kant, Schiller und Goethe, getragen von einem staatsbürgerlichen Pflichtbewusstsein, typisch schweizerisch und zugleich sehr weltoffen und kritisch», schreibt Thomas Feitknecht, der sich in seinem Beitrag der Förderung der seinerzeit jungen Schweizer Literatur widmet. «Schmids literarischer Kanon war gewiss nicht progressiv, aber Schmid war durchaus zugänglich für neue Stimmen und Themen.» Nicht nur Schriftsteller wie Meinrad Inglin, Kurt Guggenheim, Albert Ehrismann oder Hermann Hiltbrunner hat Schmid protegiert und propagiert, sondern auch zahlreiche jüngere Autoren, Hermann Burger vor allem, Adolf Muschg, Peter Bichsel, Hans Boesch, Erika Burkart, Clemens Mettler, Jörg Steiner und viele andere.
vorgestellt von Klaus Hübner, München