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Ende der Schonzeit?

Der Dollar verliert an Sexappeal Über Jahre hinweg haben europäische, asiatische und australische Anleger die
Defizite der amerikanischen Leistungsbilanz mit ihren Kapitalzuschüssen ausgeglichen. Manches deutet darauf hin, dass diese Ströme bald versiegen könnten.

Der schwache Dollar – noch vor wenigen Monaten der Sündenbock für alles, was in der Wirtschaft nicht wunschgemäss lief – ist nun ein Segen für die Europäer. Da Öl in Dollar verrechnet wird, bedeutet ein fallender Dollar auch weniger drückende Ölpreise. Dank dem schwachen Dollar ist Öl in Euroland preiswerter als im Dollarraum und der Ölpreisboom für Euroländer leichter zu verkraften als für Dollarländer. Auch Chinesen, Inder und Japaner und alle jene, deren Währungen an den Dollar gebunden sind, sind stärker von der Verteuerung des Öls betroffen.

Groteskerweise sind jedoch gerade die asiatischen Staaten wegen ihres rasanten Wachstums und des damit verbundenen, vermehrten Energieverbrauchs für den steigenden Ölpreis mitverantwortlich. Der Wachstumsschub in China und die generell gestiegene Nachfrage nach Energie und Rohstoffen in Asien hat die Preissteigerung am Ölmarkt ausgelöst. Das asiatische Wachstum wird nun durch die Ölpreissteigerung gebremst. Dadurch könnten Dollar und amerikanische Finanzmärkte in die Bredouille kommen.

Es ist kein Geheimnis, dass die US-Bürger zu wenig sparen, zu viel importieren und zu wenig exportieren; deshalb ist ihre Zahlungsbilanz ja auch im Ungleichgewicht. Dieses Ungleichgewicht ist einer der wesentlichen Gründe für die Dollar-Schwäche. Auch Alan Greenspan sieht das Problem. «Das Defizit in der Leistungsbilanz der USA – im wesentlichen Nettoimporte von Gütern und Dienstleistungen – hat sich in den letzten Jahren vergrössert. Das Zahlungsbilanzdefizit ging in der milden Rezession von 2001 leicht zurück und ist dann zu Beginn des Jahres 2003 auf die Rekordhöhe von 5 Prozent des Brutto-Inlandprodukts eskaliert. Unser gegenwärtiges Leistungsbilanzdefizit gibt Anlass zu wachsender Sorge, weil es zu der extrem hohen Auslandsverschuldung hinzukommt, die immer schwerer zu finanzieren ist.»

Bis zum Ende des Jahres 2002 blieben Weltwirtschaft und internationale Finanzströme relativ stabil. Der asiatische Kontinent exportierte Waren und Dienstleistungen in die USA, asiatische Zentralbanken kauften amerikanische Schuldverschreibungen, häuften Dollarreserven an und finanzierten dadurch die amerikanischen Staatsausgaben. In Europa, Australien und Südamerika kauften Privatleute amerikanische Wertpapiere und finanzierten amerikanische – zumeist private – Investitionen. Auf diese Weise konnten der amerikanische Staat und die US-Wirtschaft ihre Ausgaben problemlos finanzieren. Die amerikanische Verschuldung aber wuchs und mit ihr die Defizite in der Leistungs- und Zahlungsbilanz. Der Wechselkurs des Dollars blieb bis zum Beginn des Jahres 2003 relativ stabil.

Dann änderte sich die Situation. Die Europäer investierten weniger in den USA, weil ihnen die wachsende US-Verschuldung unheimlich wurde. Der Wechselkurs des Dollars sank gegenüber dem Euro um über 30 Prozent, gegenüber dem Yen um 17 Prozent. Hätten die Kräfte des Marktes gewirkt, wäre der Wechselkurs des Dollars noch stärker gesunken, und der amerikanische Staat hätte die Zinsen und Renditen erhöhen müssen, um weiter Kapital aus dem Ausland anzulocken. Doch das war nicht nötig; denn die asiatischen Staaten sprangen in die Bresche.

Der Dollar wird abhängig

Die rasant wachsenden asiatischen Staaten setzten für ihre billigen Exporte auf den amerikanischen Markt. Dazu brauchten sie einen starken Dollar. Deshalb investierten die chinesische und die japanische Zentralbank Milliarden, um den schwächelnden Dollar zu stützen. Sie investierten trotz niedrigen amerikanischen Zinsen und geringen Renditen verstärkt in US Papiere, da sie keine Gewinne machen mussten. Vier asiatische Zentralbanken kauften allein im Jahre 2003 mehr als 300 Milliarden Dollar. Bis Ende 2003 hatten sie die astronomische Summe von 1.44 Billionen Dollar als Reserven angehäuft. Experten gehen davon aus, dass alle asiatischen Zentralbanken zusammen inzwischen mehr als 2 Billionen Dollarreserven halten. Dadurch gerieten die Kapitalmärkte immer mehr in Schieflage. Die Wechselkurse sind manipuliert, Kapitalströme werden fehlgeleitet, und der Dollar wird abhängig von den Käufen der Japaner, Chinesen und anderer asiatischer Staaten.

Inzwischen sieht man aber auch in Peking und Tokio, dass diese Entwicklung nicht so weitergehen und dass der boomende asiatische Raum auch Produkte «made in China» und Japan brauchen kann. Die Asean-Staaten diskutieren nun, wie sie im eigenen Kontinent investieren können. Die chinesische Love-Affair mit dem Dollar kühlt sich merklich ab, und es sieht so aus, als ob die Asiaten sich mehr auf ihren eigenen Kontinent konzentrieren und deshalb weniger Dollar kaufen und ihre Währungsreserven umwandeln wollten.

Aber auch die USA spüren die Kehrseite der Medaille. Amerikanische Produzenten leiden unter der asiatischen Konkurrenz. Der heimische Markt ist überschwemmt mit Textilien, Spielzeug und technischen Artikeln – «made in China». Amerikanische Arbeitsplätze werden nach China und Indien verlagert, die Beschäftigung steigt nicht in dem Mass wie das amerikanische Wirtschaftswachstum. US-Produzenten rufen nach Importrestriktionen für asiatische Waren. Im Wahlkampf hat die Regierung Bush verständlicherweise ein offenes Ohr für solche Beschwerden, und sie zeigte sich auch bereit, die Importe zu stoppen. Wenn jedoch die Importe aus Fernost gestoppt werden, haben die Asiaten weniger Geld, um in den USA zu investieren, und das Defizit in der US-Zahlungsbilanz wird zum unlösbaren Problem. Die amerikanische Finanzwelt rechnet weiterhin mit den Kapitalströmen aus Fernost. Fragt sich nur, wie lange das US-Defizit noch finanziert werden und Pokerface Alan Greenspan die Welt beruhigen kann.

Das stärkere Wachstum der eigenen Wirtschaft soll das amerikanische Wunder vollbringen. Die Frage bleibt nach wie vor: Wer bezahlt das Wachstum? Die konsumfreudigen Amerikaner haben nur mit zwei Dritteln dazu beigetragen, dass das reale Brutto-Inlandsprodukt um 3,1 Prozent gewachsen ist. Doch Staat und Bürger leben nach wie vor auf Pump. Das geht nur gut, solange Japan und China nicht das Vertrauen in US-Papiere verlieren.

Greenspan setzt auf Globalisierung und internationale Flexibilität. «Je grösser die internationale Flexibilität, desto geringer das Risiko einer Krise. Das zeigt die amerikanische Erfahrung der letzten drei Jahre deutlich. Die offensichtliche Fähigkeit unserer Wirtschaft, zahlreichen ernsthaften Schocks seit dem Jahr 2000 mit nur geringem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts standzuhalten, belegt die steigende Flexibilität unserer Wirtschaft.» Der Monetarist Allan Meltzer setzt ebenfalls auf Wachstum, aber er geht davon aus, dass sich der Dollar wieder erholt. Der wichtigste Faktor für ihn ist «das stärkere Wachstum der Produktivität in den USA. Es ist weit höher als das in Japan und Europa. Dieses stärkere Wachstum muss privates Kapital in entsprechender Höhe aus dem Ausland anziehen. Genauso wichtig ist es, dass das Risiko der Inflation niedrig bleibt.» Das würde bedeuten, dass in den USA Zinsen und Renditen steigen müssen, damit die Europäer den US-Finanzmärkten wieder vertrauen. Am 30. Juni war es soweit. Die Federal Reserve hat zum erstenmal in vier Jahren die Leitzinsen auf 1,25 Prozent erhöht, um die Preisstabilität in einem gesunden wirtschaftlichen Umfeld zu gewährleisten.

Damit hofft Greenspan, die Inflation unter Kontrolle zu halten. Aber auch er weiss, dass sich in den USA einiges verändern muss. «Die günstigen kurzfristigen Aussichten für die US-Wirtschaft spielen sich vor dem Hintergrund einer wachsenden Besorgnis über die Zukunft des Bundeshaushalts ab», sagte er vor einigen Monaten vor dem Repräsentantenhaus. Die künftigen Verpflichtungen bei der Verteidigung und vor allem im Renten- und Gesundheitswesen sind auch ihm ein Dorn im Auge, und er fordert im Hinblick auf die Alterung der Bevölkerung und die steigenden Gesundheitskosten in den USA so eindringlich wie selten eine neue Politik. «Der dramatische demographische Wandel wird sicherlich enorme Anforderungen an die Ressourcen unserer Nation stellen – Forderungen, die wir so gut wie sicher nicht erfüllen können, wenn wir nicht etwas unternehmen. Aus vielen Gründen sollten wir so bald wie möglich etwas tun.»

Trotzdem sieht er die Zukunft optimistisch: «Die Geschichte lehrt uns, dass das gegenwärtig gestörte Gleichgewicht ohne grössere Störungen entschärft werden kann, wenn die Globalisierung weiter fortschreiten und ein noch flexibleres Finanzsystem schaffen kann. Wenn andere Währungen wie der Euro sich hinzugesellen und die Rolle des Dollars als globaler Reservewährung mittragen, dann dürfte sich dieser Prozess positiv entwickeln.»

Isabel Mühlfenzl promovierte nach dem Studium an den Universitäten München und Nürnberg in Ökonomie. Von 1962 bis 1992 war sie in der Wirtschaftsredaktion des Bayrischen Rundfunks tätig und arbeitet heute als freie Wirtschafts-

journalistin.

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