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Empörungsstürme und geistige Profitmaximierung

Digitale Empörungsstürme – sogenannte «Shitstorms» – ziehen durchs Land. Jüngstes Beispiel: an der Pädagogischen Hochschule (PH) Bern wurde ein prominenter Vortragsredner kurzfristig ausgeladen, weil Freunde der neuen Empörungskultur erfolgreich den Aufstand probten. Nicht Studenten, nein, diesmal war es ein Professor. Man sollte meinen: Die Dozenten der PH Bern sind es gewohnt, heterogene Klassen zu führen […]

Digitale Empörungsstürme – sogenannte «Shitstorms» – ziehen durchs Land. Jüngstes Beispiel: an der Pädagogischen Hochschule (PH) Bern wurde ein prominenter Vortragsredner kurzfristig ausgeladen, weil Freunde der neuen Empörungskultur erfolgreich den Aufstand probten.

Nicht Studenten, nein, diesmal war es ein Professor. Man sollte meinen: Die Dozenten der PH Bern sind es gewohnt, heterogene Klassen zu führen und widerständigen Schülern zu begegnen. Denn dieses Wissen geben sie künftigen Lehrern in Form von Kursen über den «Umgang mit heterogenen Klassen» oder über «Klassenführung und Klassenklima» weiter.

Dieses Klassenklima wurde nun gestört, als der Nestlé-Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck im Oktober an einem institutionalisierten Weiterbildungsanlass einen Vortrag über das Thema «Innovation umsetzen» halten wollte. Ein PH-Professor mit dokumentierter Abneigung gegen Nestlé schrieb einen offen-entrüsteten Brief an das Rektorat und forderte dieses mit Unterstützung von «Globalisierungsgegnern» dazu auf, Brabecks Auftritt zu unterbinden. Dem «Profitmacher» Brabeck dürfe keine Plattform geboten werden, hiess es. Schnell war eine Facebook-Gruppe gegründet, die Empörung fand ihren Weg in und durch die Medien. Der persönliche Einsatz der Protestfreudigen war letztlich gering, Aufmerksamkeit und Effekt ihrer Aktion überproportional gross: Die PH-Führung sagte Brabecks Auftritt tatsächlich ab, mit der tautologischen Begründung, dass der Anlass nicht wie geplant habe durchgeführt werden können.

Es ist verlockend, dies als alberne Episode des nicht mehr so neuen Wutbürgertums abzutun. Aber Gleichgültigkeit gegenüber einem Meinungsverbot an einer Hochschule – dem Ort des Wissens und offenen Austauschs – wäre ein pädagogischer Missgriff, der sogar dem oberkorrekten Oberlehrer Habermas die Haare zu Berge hätte stehen lassen. Es wird das Verhalten jener gebilligt, die Personen niederschreien, weil ihnen deren Ansichten nicht passen. Was tun? Sich über die Empörung empören? Voltaire-Nachhilfekurse anbieten? Vielleicht genügt ein einfacher Hinweis: Das Zulassen und das Bedenken eines offenen Diskurses (Sie wissen schon: These und Gegenthese) bedeuten eine geistige Profitmaximierung, die keine Konzernbilanz der Welt abbilden kann. Nicht mal jene von Nestlé.

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