Eleganz ohne Penetranz
Sibylle Ryser/Isabel Zürcher (Hrsg.): Sans pareil.
Fragt man Zürcher nach ihrem innerstädtischen Lieblingsort, ist die Antwort häufig erwartbar: «Am See!» oder «an der Limmat!» schallt es einem zwar enthusiastisch, aber seltsam verallgemeinert entgegen. Manchmal heisst es etwas genauer «im Niederdorf», mitunter noch spezieller «an der Augustinergasse». Fragen nach den Lieblingsbars fallen schon präziser aus, drücken sie doch Habitus, Genussverständnis und Trinkvorlieben, präferierte Quartiere und individuelles Ausgehverhalten aus.
Wer Zürich gut kennt, weiss um einen Raum, der bei manchen zwar unter dem Rubrum «Lieblingsbar» firmieren dürfte, vielen jedoch als Lieblingsort gelten dürfte. Die «Kronenhalle»-Bar ist eine Institution, sicher auch eine Legende, auf jeden Fall aber eines der Zürcher Alleinstellungsmerkmale. Wer hier, am unteren Ende der Rämistrasse, eintritt, vergisst nicht nur den Trubel zwischen den ÖV-Knotenpunkten Bellevue und Bahnhof Stadelhofen, sondern auch seinen Alltag. Es ist, als sei man durch eine schmale Tür in eine andere Welt hinübergegangen, die einen durch sanfte, aber entschiedene Vorhänge vom Gewimmel, vom Stress und vom Lärm draussen abschirmt. Es gibt keine Beschallung von oben, dafür aber Kunst von Matisse und Picasso zu sehen, die ganz selbstverständlich an den Wänden hängt, ohne sich aufzudrängen. Gleiches gilt für die Beleuchtungskörper an der Bar, die von Diego Giacometti stammen. Der mit Mahagoniholz ausgekleidete Raum spielt mit der Illusion, man sässe in einer Schiffskajüte, und die Polster der Sitzgelegenheiten, in grünem Saffianleder gehalten, wirken wie das Beste einer vergangenen Ära, die dennoch die gegenwärtige ist. All dies bescherte der Bar früh den Ruf, zu den schönsten in ganz Europa zu zählen, vielleicht auch unübertroffen zu sein. Für Zürich wie für die Schweiz gilt dies zweifellos.
Nun liegt ein Bildband zu diesem unvergleichlichen Ort vor, der in seine Geschichte eintaucht und jenes Gefühl einfängt, das man hat, wenn man ihn zum ersten Mal aufsucht. Sibylle Ryser und Isabel Zürcher haben ihrer Publikation den Anspruch von Gründer Gustav Zumsteg, etwas noch nie Dagewesenes zu schaffen, als Titel vorangestellt: «Sans pareil» lautete 1965 die Devise, der bis heute die Treue gehalten wird. Zu erfahren ist, dass Zumsteg die Bar «zu seinem persönlichen Vergnügen» errichten liess und dass seine Mutter, Restaurantbetreiberin Hulda Zumsteg, regelrecht schockiert gewesen sei, als ihr Sohn ihr erklärt hatte, gleich neben der «Kronenhalle», die zu diesem Zeitpunkt längst einen hervorragenden Ruf genoss, Alkohol ausschenken zu wollen. Wie gut, dass sie sich nicht durchzusetzen vermochte.
Neben dem historischen Rückblick und Informativem über den 2021 verstorbenen Innenarchitekten Robert Haussmann, den Zumsteg mit dem Entwurf beauftragt hatte, alten Bildern aus den Räumlichkeiten und ansprechenden Detailaufnahmen besticht der Band vor allem dank der hier versammelten Cocktailrezepte – viele davon Kreationen von Christian Heiss, dem heutigen Chef de Bar –, die an Cocktailkarten aus dem Nachtleben angelehnt sind und im Buch nochmals ausfaltbar sind. Dass die beiden letzten Drinks die Namen «Symphonie» und «Nachtigall» tragen, spiegelt die beständige Aura dieses Ortes wider: Eleganz ohne Penetranz. Das macht selbstredend prompt Lust auf den nächsten Besuch – im Wissen darum, dass dieser Zürcher Lieblingsort bestehen bleiben wird. Und bis dahin gibt es nun ein Stück «Kronenhalle»-Bar für zu Hause.