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Einmal im Jahr sind Ökonomen die Helden

Diesmal also Thomas Sargent und Christopher Sims. Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ging an zwei Forscher, die den heutigen Instrumentenkasten der Makroökonomik wesentlich geprägt haben. Zwar mäkeln Kritiker: angesichts der globalen Finanzkrise hätte man die Demontage des keynesianischen Ansatzes durch die Theorie der rationalen Erwartungen, an der sich seinerzeit die beiden Amerikaner beteiligt hatten, nicht derart […]

Diesmal also Thomas Sargent und Christopher Sims. Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ging an zwei Forscher, die den heutigen Instrumentenkasten der Makroökonomik wesentlich geprägt haben. Zwar mäkeln Kritiker: angesichts der globalen Finanzkrise hätte man die Demontage des keynesianischen Ansatzes durch die Theorie der rationalen Erwartungen, an der sich seinerzeit die beiden Amerikaner beteiligt hatten, nicht derart adeln sollen. Denn diese Theorie sei mittlerweile durch die irrationale Wirklichkeit widerlegt. Tatsächlich haben die beiden Wissenschafter ihre Auszeichnung nicht dafür, sondern für eine Technik erhalten, die heute auch die Keynesianer verwenden – in der Makroökonomik haben sich die Lager eben längst vermischt. Vorwerfen könnte man den beiden Amerikanern, dass ihr Instrumentarium noch mehr Menschen verführt hat, die Wirtschaft als ein hydraulisches, ausrechenbares und entsprechend zu steuerndes System miss-zuverstehen.

Mit jedem Tag der Nobel-Woche steigt alljährlich die Spannung – als letzte sind stets die Wirtschaftswissenschafter an der Reihe. Nicht weil sie die Krönung des Reigens sind, sondern weil es eigentlich gar kein Nobelpreis ist, der in Stockholm für ökonomische Forschung vergeben wird. Der Industrielle Alfred Nobel, der von schlechtem Gewissen gegenüber der Menschheit geplagte Erfinder des Dynamits, wäre im Traum nicht darauf gekommen, einen solchen Preis zu finanzieren. Er konnte die Wirtschaftswissenschaften nicht leiden. Gut siebzig Jahre nach seinem Tod beging jedoch die Schwedische Reichsbank einen so generösen wie gegenüber dem Namensgeber ziemlich respektlosen Akt des «corriger la fortune». Sie stiftete jenen Zusatzpreis, der korrekt «Preis für Wirtschaftswissenschaften der Schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel» heisst.

Natürlich gibt es an diesem Preis viel zu kritisieren. Er wird letztlich mit Steuerzahlergeld finanziert. Es gab Fehlentscheidungen; gelegentlich hat sich gar ein politischer Proporz eingeschlichen. Zumeist kommt der Preis im Leben der Forscher zu spät, um ihnen in ihrer Arbeit noch den Rücken zu stärken. Das Auswahlverfahren, das auf den Einschätzungen der Zunft beruht, befördert den «Matthew-Effekt»: wer reich ist, dem wird gegeben; auch deshalb kommen so selten Ansätze jenseits des Mainstreams zum Zuge. Nach mehr als vierzig Jahren scheint sich zudem auch die Liste der naheliegenden Kandidaten auszudünnen. Und schliesslich ist zu bezweifeln, dass sich in einer weichen Sozialwissenschaft wie der Ökonomik klar bestimmen lässt, ob eine Forschungsarbeit von eminenter Bedeutung für die Menschheit ist.

Und doch war es ein Geniestreich der schwedischen Notenbank, ausgerechnet 1968, im Jahr der Studentenrevolten, ein Instru-ment in die Welt zu setzen, das den Blick der Menschen in positiver Weise auf die Wirtschaftswissenschaften lenkt – aller Kritik zum Trotz. Der Preis schenkt den Ökonomen kurzfristig Glamour. Den haben sie auch bitter nötig. Die Wirtschaftswissenschaften tragen seit jeher das Stigma einer ungeliebten Wissenschaft, gedrückt vom atavistischen Affekt gegenüber allem, was irgendwie mit Geld zu tun hat. Wie der «ungesteuerte», «entfesselte» Markt in der überwiegenden Wahrnehmung als das hässliche Gegenstück zum angeblich «menschlicheren» Staat herhalten muss, so haftet den Ökonomen der Ruf der rationalen Kälte an. Sie sind klassische Sündenböcke. Ihnen nimmt man es übel, wenn sie nicht erkennen, dass sich Krisen anbahnen. Wer indes vor Fehlentwicklungen warnt, wird als ideologisch oder betulich abgestempelt.

Aber einmal im Jahr, wenn der Preis verliehen wird, sind die Ökonomen Helden. Als Ansporn und Anreiz ist der Preis trotz allem ein Segen. Man muss den Nobelpreis ja nicht so überhöhen, dass man von ihm ewige Wahrheiten verlangt. Er ist eine Anerkennung, mehr nicht. Auch Nobel-Juroren können irren. Und es gibt auch Fortschritt ohne den Preis aus Stockholm.

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