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Einkaufen, Wolf anrufen

Marie streift unstet durchs Unterholz der Grossstadt und kann nicht ruhen. Doch im Unterschied zu ihrer Namensverwandten bei Georg Büchner, die es nicht länger aushält, kommt sie mit dem Leben durchaus zurecht, auch wenn sie dafür eine Unzahl täglich neu erstellter Listen und Aufzählungen benötigt. Kaffee kaufen steht zuoberst, und Wolf anrufen. Wolf, ihr Freund, […]

Marie streift unstet durchs Unterholz der Grossstadt und kann nicht ruhen. Doch im Unterschied zu ihrer Namensverwandten bei Georg Büchner, die es nicht länger aushält, kommt sie mit dem Leben durchaus zurecht, auch wenn sie dafür eine Unzahl täglich neu erstellter Listen und Aufzählungen benötigt. Kaffee kaufen steht zuoberst, und Wolf anrufen. Wolf, ihr Freund, ist ein einsamer Streuner, ein Kammerjäger auf der Suche nach digitalen «Käfern» und «Rumpelstilzchen»: Computerprogrammen, die im Hintergrund arbeiten. Auch Marie hat ein solches «Rumpelstilzchen» am Laufen. Auf der Strasse oder im Bus begegnet ihr immer wieder ihre Mutter, die zerzaust wirkt wie die gehässige Märchenfigur. Doch Mutter ist längst gestorben und begraben. Dennoch läuft das Programm gespenstisch weiter. Lange vor ihrem Tod hatte Mutter alles Reden aufgegeben und nur noch ihr Staubflockenmeer unter dem Bett gepflegt. Vater durfte es nicht wegputzen. Wie gegen unsichtbare Widerstände sucht Marie mit diesen Erinnerungen klar zu kommen. Rituelle Gewohnheiten verleihen ihrem Alltag Halt und schützen sie vor dem leichten Irrwerden.

Simona Ryser begleitet Marie bei ihren Versuchen zur Ordnung mit einer streng rhythmisierten, zwischen poetisch zerdehnter Langeweile und gehetzter Ungeduld subtil wechselnden Sprache, die im Kern die Rauheit und Ungebärdigkeit von Büchners «Woyzeck» in sich birgt. Diskret und gewieft lässt die Autorin Motive und Sätze daraus in ihren Text einfliessen, um an Schlüsselstellen, wie dem Tod der Mutter, dem Büchnerschen Drama verblüffend nahe zu kommen: «Ihr Körper war ein lustig verdrehtes Gestell, die grauen Haarzotten standen weitab vom Kopf, wie bei Rumpelstilzchen.» Simona Ryser erzeugt ein kompaktes Erzählstakkato, worin eingebettet die Heldin durch Konsumparadiese und die urbane Wildnis geistert, auf der Suche nach Wolf und sich selbst, um – vielleicht – doch zu einer Ordnung zu finden. Am Ende mischt sie «die Zahlen neu». Mit «Maries Gespenster» ist der Zürcher Autorin Simona Ryser ein bemerkenswertes Romandebüt gelungen.

vorgestellt von Beat Mazenauer, Luzern

Simona Ryser: «Maries Gespenster». Zürich: Limmat Verlag, 2007.

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