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Eine Ode an Soorsi

Wer von Zürich in eine Luzerner Kleinstadt zieht, fühlt sich wie neugeboren. Der Dichtestress verfliegt, die Menschen sind zuvorkommender. Doch Kriminalität gibt es auch in Sursee.

Eine Ode an Soorsi
Blick von Sursee aus auf den Sempachersee. Bild: pixabay/SusanneStoeckli.

Es war eine Veränderung, von der ich nicht wusste, dass ich sie brauche: Vor einem Jahr bin ich von der Stadt Zürich mit über 447 000 Einwohnern nach Sursee mit 10 000 Einwohnern gezogen. Eine Mischung aus beruflichen und privaten Gründen hat mich hierhergeführt. Bei der Wahl der neuen Wohnung spielte zunächst nur die Nähe zum neuen Arbeitsort eine Rolle. Bis dahin konnte ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders in der Schweiz als in Zürich zu leben. Die Erinnerungen an meine Jugend, an Familie und Freunde, aber auch an die Faszination der Grossstadt hielten mich lange zurück. Auch der Fahrplan der ZVV. Wer kennt das nicht? Nichts ist schöner, als maximal acht Minuten auf ein Tram zu warten. Vorausgesetzt, man findet noch Platz und wird nicht von einer Kebab-Duftwolke («mit allem») umhüllt.

Das dichte städtische ÖV-Netz war auch der Grund, weshalb ich und andere illustre Gestalten aus meinem Bekanntenkreis noch keinen Führerschein hatten. Wir waren fast ein bisschen stolz auf diese Nichtleistung: Wer hält es am längsten ohne Führerschein aus? Der Abbau von Parkplätzen, Tempo-30-Zonen und was es sonst noch an Anti-Auto-Massnahmen des Zürcher Gemeinderates gibt, hat uns bestätigt in unserer Haltung. Aber irgendwie wurden die Busse und Trams immer voller. Nicht nur in den Stosszeiten, sondern auch an ruhigen Sonntagnachmittagen im Aussenquartier. Abschalten war nicht mehr möglich. Die Stadt war zu voll.

Den Höhepunkt meiner Frustration erlebte ich am Sechseläuten 2023. Ich blieb am Bahnhof Stadelhofen stecken. Zu viele Menschen. Die Stimmung stand kurz vor einer Massenpanik. Der Weg zum Böögg wurde von der Polizei versperrt – ich sah das Ding gar nicht brennen! Dann nahm mich eine Freundin, die ich per Zufall antraf, mit auf eine nahe gelegene Dachterrasse, um das Spektakel zu beobachten. Oben erfuhren wir, dass es sich um subventionierte Stadtwohnungen in bester Lage mit Seeblick handelte. Von da an wusste ich, dass ich mich nur selbst betrüge, wenn ich in einer Privatwohnung in einem Aussenquartier zum vollen Preis wohnen bleibe. Entweder wird die Regierung ausgewechselt, sagte ich mir, oder ich gehe. Ersteres liegt nicht in meinen Händen, sondern jenen der Zürcher Stimmbürger. Also habe ich Zweiteres umgesetzt.

Niemand schubst, alle lachen

Ende September 2023 in Sursee angekommen, erlebte ich noch den wunderschönen Herbstmarkt in der Altstadt. Überall regionale Produkte, viele Familien und, man staune, sehr viele Schweizer. Überall war Schweizerdeutsch zu hören, Lozärnerdeutsch aus dem Hinterland. Ich war mir das nicht mehr gewohnt und fühlte mich wie in den Ferien. Wie ein Tourist in der Schweiz mit Schweizer Pass.

Niemand schubste, alle sagten Grüezi, alle lachten. Es war wie in einer anderen Welt. Am nächsten Tag spazierte ich zum Strandbad Sursee, direkt am Sempachersee. Was für eine schöne Aussicht: die Rigi und der Pilatus direkt vor mir.

«Niemand schubste, alle sagten Grüezi, alle lachten. Es war wie in einer anderen Welt.»

Am Abend wollte ich einkaufen, immer noch in der Gewohnheit, dass ich in Zürich auch sonntags bis 23 Uhr etwas bekomme. Nun musste ich hier zur Tankstelle. Weil alles etwas kleiner ist, war es etwas eng zwischen den Regalen. Eine Frau berührte mich ungewollt. Sie entschuldigte sich aufrichtig und mit vielen Worten. Mir kamen fast die Tränen. Bin ich schon im Himmel oder einfach so zürichverseucht, dass mir jede menschliche Freundlichkeit so brutal auffällt?

Bei einer anderen Gelegenheit verlor ich während der Fahrt den Deckel des Akkus meines E-Bikes. Ein aufmerksamer E-Biker – gefühlt jeder zweite Mensch fährt hier E-Bike – sah das, raste mir damit hinterher. Er ist Besitzer eines E-Bike-Geschäfts und bat mich, so schnell wie möglich vorbeizukommen, sodass er mir das Ding wieder festmachen konnte. Nach Feierabend ging ich vorbei, er schenkte mir diesen kleinen Service. Wieder kam ich aus dem Staunen nicht heraus.

Und so ging mein neues Leben hier weiter. Wenn ich am Hauptbahnhof in Zürich ankam, zog sich mein Herz zusammen: die Menschen, das Verhalten, das Nichtgrüssen. Manchmal fragte ich mich, wo Zürich seine Grazie verloren hat.

«Manchmal fragte ich mich, wo Zürich seine Grazie verloren hat.»

Aus den Träumen erwacht

Nur eines Morgens erschrak ich gewaltig in Sursee. «Pumm, pumm, pumm, pumm», polterte es um 5 Uhr morgens am «schmotzigen Donnschtig». Ich dachte, jemand sei eingebrochen! Doch dann kam mir in den Sinn, dass ich ja im Kanton Luzern wohne, es war der Beginn der Fasnacht.

Schlecht erwacht aus meinen Träumen bin ich nur einmal: Als ich mein E-Bike am Bahnhof Sursee abholte, fehlte der Sattel. Er wurde samt Stange geklaut. Bis dahin träumte ich davon, es gäbe keine schlechte «Soorser», wie sie sich hier nennen. Ignoriert habe ich auch einen Frauenmord nicht weit von meiner Wohnung und den Überfall auf eine Bankfiliale vor ein paar Wochen. Es muss die Kriminalitätsrate um 100 Prozent erhöht haben! Der Ernst des Lebens hat mich wieder eingeholt.

«Schlecht erwacht aus meinen Träumen bin ich nur einmal: Als ich mein E-Bike am Bahnhof Sursee abholte, fehlte der Sattel.
Er wurde samt Stange geklaut.»

Aber noch nie war ein Sommer so schön. Rendezvous im Caribbean Village in Nottwil, einer Terrassengastronomie im karibischen Stil. Verweilen in der Badi Schenkon mit dem schönsten Sonnenuntergang am Sempachersee. Altstadtfeste. Neue Bekanntschaften. Wie könnte ich mich je für dieses Jahr in Sursee revanchieren?

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