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Eine Ketzerin für den Frieden
Gertrud Woker am Mikroskop. Bild: Privatarchiv RM Woker.

Eine Ketzerin für den Frieden

Die Berner Naturwissenschafterin Gertrud Woker glaubte wenig und hinterfragte alles. Das brachte ihr nicht nur finanzielle Probleme ein.

Die Berner Naturwissenschafterin Gertrud Woker (1878–1968) bewies Zivilcourage, indem sie als Frau den Beruf einer Wissenschafterin ausüben und ihre Wissenschaft für den Frieden einsetzen wollte. Mit beidem eckte sie an. Ermahnungen aber schlug sie freudig in den Wind, «in der Meinung, dass der Kampf um eine gute Sache mehr Wert ist als ungezählte ‹Karrieren›».

Gertrud Woker, Tochter des Berner Geschichtsprofessors Philipp Woker, war hochbegabt.1 Sie absolvierte die Matura mit Bestnoten in allen Fächern und wurde 1906 in Bern die dritte habilitierte Frau. Doch sie hatte ungeheuer Mühe, eine höhere Stellung als die einer Privatdozentin mit einem winzigen biochemischen Labor zu erreichen. Nach jahrelangem Insistieren und Vorhaltungen ausländischer Gelehrter bei der Berner Erziehungsdirektion wurde sie erst 1933 als bereits 55-Jährige zur Extraordinaria für physikalisch-chemische Biologie ernannt. Die Beförderung befreite sie nicht von täglichen finanziellen Sorgen.

Als Wissenschafterin erregte sie Anstoss, denn sie interessierte sich für die Natur in all ihren Verästelungen, hatte in Bern im Dreieck Chemie, Biologie und Physik studiert. Woker glaubte wenig und hinterfragte alles. Sie sah sich als Ketzerin.

Hohn, Spott und Verleumdung

Als verantwortungsbewusste Gelehrte nahm sie kein Blatt vor den Mund, wenn sie schreckliche Auswüchse ihrer Wissenschaft erkannte. Vor allem bekämpfte sie öffentlich atomare und biologische Waffen. Den Einsatz von Giftgas attackierte sie als den unmenschlichsten aller Kriegsgräuel. Sie hatte sich die praktischen Auswirkungen vorzeigen lassen und war tief erschüttert.

In ihren Friedensbemühungen fand sie Gleichgesinnte in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF). Sie besuchte deren Kongresse und betrachtete die Mitstreiterinnen als «eine Familie». Die Friedensarbeit wurde ihr zusehends wichtiger, wurde ihr mehr zur Berufung als die kaum unterstützte Dozentinnenstelle an der Universität. Sich in das «engumkapselte Gebiet eines wissenschaftlichen Fachgelehrtentums» zu verkriechen, hielt Woker sowieso für unmoralisch, solange der Frieden als fundamentalste Grundlage für ein lebenswertes Leben, für Kultur und Wissenschaft nicht gesicherter war «als irgendein losgerissenes Blatt, das im Sturme treibt».

Der Pazifismus brachte ihr Hohn, Spott und Verleumdung ein. Sie wurde als Idealistin mit «Seelennöten» lächerlich gemacht. Ihre Aussagen wurden als «eher amüsant» beurteilt. «Obwohl» Leiterin des Labors für physikalisch-chemische Biologie, sei ihr, der Emotionalen, der «naturwissenschaftliche Blick abhandengekommen» und sie habe übertreibend den kommenden aero-chemischen Krieg in den düstersten Farben gemalt. In der Schweiz, die in den 1930er- und 1940er-Jahren auf die geistige Landesverteidigung und die bewaffnete Neutralität setzte, wurde sie als Kommunistin und Landesverräterin verdächtigt.

Traumatisch waren für sie 1924/25 ihr Studienaufenthalt und ihre Reise mit den IFFF-Aktivistinnen in den USA gewesen, wo Politiker gegen alles Unamerikanische und Linke mobilisierten. Die Auftritte der IFFF wurden politisch verfolgt. «Auch mich», wusste Woker, «haben sie drüben in Amerika für immer zum Schweigen bringen wollen.» Ganz so schlimm kam es nicht, aber Gertrud Woker bezahlte für ihre Zivilcourage prestigemässig, finanziell und psychisch einen hohen Preis.

  1. Franziska Rogger: Der Doktorhut im Besenschrank. Das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen – am Beispiel der Universität Bern. Bern, 2002.

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