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Eine Investition in Integration
George Sheldon, zvg.

Eine Investition in Integration

Die Nachfrage nach Arbeitskräften mit hoher Qualifikation wächst seit Jahrzehnten. Asylsuchende aus Nordafrika und dem Nahen Osten werden sie kaum befriedigen können.

Die arbeitsmarktliche Integration von Immigranten und deren Auswirkung auf den Arbeitsmarkt des Ziellandes hängen von der Art der Zuwanderung ab. Das zeigen sowohl die Arbeitsmarktforschung wie auch die Erfahrungen im In- und Ausland. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Einwanderung arbeitsmarktgesteuert ist oder nicht. Arbeitsmarktgesteuert heisst, dass die Stärke der Zuwanderung durch die im Zielland vorherrschenden Knappheitsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt bestimmt wird. In diesem Fall zieht Arbeitskräfteknappheit im Zielland Arbeitswillige an, während Stellenknappheit sie weghält. Man bezeichnet diese Art von Zuwanderung als endogen. In jenen Fällen, bei denen dies nicht zutrifft, spricht man hingegen von exogener Zuwanderung. Dabei wandern auch Menschen zu, wenn dies aufgrund der aktuellen Knappheitsverhältnisse auf dem heimischen Arbeitsmarkt nicht angezeigt ist. In diese Kategorie fallen Wirtschaftsflüchtlinge oder Zuwanderer in das Sozialsystem.

Beispiele für exogene Zuwanderung bieten die klassischen Einwanderungsländer wie die USA, Kanada und Australien, wo Zuwanderer von vornherein und in erster Linie mit dem Vorsatz immigrieren, sich in dem neuen Land niederzulassen und sich einbürgern zu lassen. Aus Sicht des Ziellandes kommen diese Menschen «ungerufen» und müssen vom heimischen Arbeitsmarkt absorbiert werden. Die arbeitsmarktliche Integration der Immigranten und deren Auswirkung auf den Arbeitsmarkt hängen in diesem Fall davon ab, ob es in den für die Zuwanderer in Frage kommenden Beschäftigungsfeldern ausreichende offene Stellen gibt. Trifft dies nicht zu, kann die Zuwanderung zu einem Gedränge um knappe Arbeitsplätze führen, was einen Lohnverfall und/oder einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge hat.

In Ländern wie der Schweiz, die traditionell auf Gastarbeiter setzten, ist die Zuwanderung hingegen endogen. In solchen Ländern werden Ausländer meistens gezielt von den einheimischen Firmen rekrutiert, um Arbeitsplätze zu besetzen, die keine Abnehmer unter der inländischen Erwerbsbevölkerung finden. In diesem Fall wirkt die Zuwanderung nicht disruptiv. Vielmehr schliesst sie bestehende Lücken auf dem Arbeitsmarkt und unterbindet dadurch knappheitsbedingte Lohnerhöhungen. Das Lohnniveau im Zielland kann steigen, fallen oder unverändert bleiben, je nachdem, ob zu wenig, zu viel oder gerade genügend ausländische Arbeitskräfte angezogen werden. Entsprechendes gilt auch für die Arbeitslosigkeit, die je nach der Stärke der Zuwanderung ebenfalls zunehmen, abnehmen oder konstant bleiben kann. Es ist also keineswegs ausgemacht, dass sich die Arbeitsmarktlage der heimischen Erwerbsbevölkerung durch die Zuwanderung verschlechtert.

In der Schweiz weisen bisherige empirische Studien im allgemeinen denn auch auf positive Effekte hin.1 Die Ergebnisse sind allerdings nicht durchwegs einheitlich. Doch findet keine Untersuchung einen quantitativ bedeutenden negativen Effekt der Zuwanderung auf die Beschäftigung oder die Löhne ansässiger Arbeitskräfte.

Bei Flüchtlingen ist das anders. Ihre Zuwanderung ist nicht arbeitsmarktgesteuert beziehungsweise endogen, sondern vielmehr eine Folge der Verhältnisse im Ursprungsland, also exogen. Inwiefern sich Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt des aufnehmenden Landes erfolgreich integrieren, hängt von den Bedürfnissen des jeweiligen ­Arbeitsmarktes ab.

Bessere Qualifikationen

Der Bedarf an Arbeitskräften in hochmodernen Industrienationen wie der Schweiz oder den USA wird seit den 1970er-Jahren durch drei Trendentwicklungen gesteuert:

  • die wachsende Internationalisierung der Arbeitsteilung (Stichwort: Globalisierung, Offshoring), die dazu führt, dass immer mehr einfache, repetitive Tätigkeiten in der Produktion in Niedriglohnländer abwandern und einen wachsenden Anteil an anspruchsvolleren Beschäftigungen zurücklassen, die höhere Qualifikationen erfordern;
  • den in den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien eingebetteten bildungsintensiven technischen Fortschritt, der eine steigende Nachfrage nach Höherqualifizierten zulasten von An- und Ungelernten auslöst;
  • die Verlagerung der Beschäftigung von gewerblich-industriellen Tätigkeiten hin zu Dienstleistungsberufen, bei denen die Produktivität des einzelnen stärker von seinem Qualifikationsniveau statt vom Mechanisierungsgrad seines Arbeitsplatzes abhängt.

Die Folge für die Schweiz ist am Wandel des Bildungsstands der hiesigen Erwerbsbevölkerung zu erkennen. Wiesen vor 20 Jahren knapp 60 Prozent aller inländischen Erwerbspersonen eine Lehre und fast 25 Prozent ein Hochschulstudium als höchsten Bildungsabschluss auf, liegen die Anteile heute beinahe gleichauf bei rund 44 Prozent. Im gleichen Zeitraum fiel der Anteil an Erwerbspersonen, die weder eine abgeschlossene Berufsbildung noch einen Hochschulabschluss haben, von 18 auf 12 Prozent.

In dieser veränderten ­Arbeitswelt haben niedrigqualifizierte Asylsuchende, die Mitte der 2010er-Jahre vor allem aus Nordafrika und dem Nahen Osten in die Schweiz einreisten, naturgemäss Probleme, Anschluss auf dem Schweizer Arbeitsmarkt zu finden. Die Statistik zeigt, dass hierzulande in dieser Zeit 80 Prozent der arbeitsfähigen Asylsuchenden keine abgeschlossene Berufsausbildung hatten. 12 Prozent wiesen einen Abschluss vergleichbar mit einer Lehre und 8 Prozent einen akademischen Abschluss auf. Acht Jahre nach ihrer Einreise gingen denn auch erst 48 Prozent der Flüchtlinge einer bezahlten Arbeit nach.

Der Bildungsstand der Flüchtlinge aus der Ukraine ist wesentlich höher. Doch hier besteht das Problem, dass die Dauer des Aufenthalts aufgrund der unklaren Verhältnisse im Heimatland ungewiss ist. Dementsprechend sind diese Personen unsicher, ob es sich lohnt, ihre Berufsqualifikationen oder Sprachkenntnisse den hiesigen Anforderungen anzupassen. Umgekehrt wissen Arbeitgeber aus dem gleichen Grund nicht, wie lange ein ein­gegangenes Arbeitsverhältnis andauern wird. Dies erschwert trotz der Arbeitskräfteknappheit hierzulande die arbeitsmarktliche Integration.

«Acht Jahre nach ihrer Einreise gingen erst 48 Prozent der Flüchtlinge

einer bezahlten Arbeit nach.»

Der Erfolg der USA

Die USA vermögen Flüchtlinge im allgemeinen schneller in den Erwerbsprozess zu integrieren, als dies in anderen ­modernen Industrienationen geschieht. Nach zehn Jahren gehen fast 75 Prozent einer Flüchtlingskohorte einer bezahlten Arbeit nach. Die Beschäftigungsquote ist damit gleich hoch wie bei sonstigen Einwanderern und wie auch bei Eingeborenen. Wie ist der Erfolg zu erklären?

Ein Grund ist, dass die USA ein Land von Zuwanderern sind. Es wird folglich generell erwartet, dass Flüchtlinge und Immigranten vor allem selber aktiv in ihren Anschluss investieren. Entsprechend spartanisch ist auch das Sozialsystem aufgestellt. Einen weiteren Faktor bildet das bei ausgeglichener Konjunktur gleichsam unendliche Angebot an Stellen im Niedriglohnbereich, wo viele Einwanderer zunächst Anschluss finden. Mitverantwortlich für das grosse Angebot sind zum einen die niedrigen Mindestlöhne. Der nationale Mindestlohn, der von 20 der 50 Gliedstaaten nicht überboten wird, beträgt derzeit rund 6.50 Franken pro Stunde. Zum anderen ist eine zunehmende Anzahl von Arbeitskräften im Niedriglohnbereich als freie Mitarbeiter tätig (Stichwort: Gig Economy); sie haben keinen Anspruch auf Mindestlöhne und müssen für ihre Sozialbeiträge selber aufkommen. Beide Faktoren fördern natürlich die Beschäftigung, aber zugleich auch die Erwerbsarmut. Um letztere zu vermeiden, bietet der Staat Steuergutschriften (Earned Income Tax Credit oder EITC), die wie eine negative Einkommenssteuer wirken und für einen ausreichenden Ausgleich sorgen sollen.

Lösungen wie in den USA kommen für die Schweiz vermutlich nicht in Frage. Als Konsequenz muss sie wesentlich mehr in die Integration von Flüchtlingen investieren, etwa in Aus- und Weiterbildung. Das kann kostspielig sein, dürfte sich unter dem Strich aber lohnen.2

  1. Ensar Can: «Verdrängungseffekte des Freizügigkeitsabkommens Schweiz–EU auf dem Schweizer Arbeitsmarkt». Dissertation, Universität Basel, 2016.

  2. George Sheldon: «Was kostet die Zuwanderung?» In: Schweizer Monat 1049, September 2017, S. 12–17.

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