Ein Zeichen gegen Stagnation
Gewitterstimmung ums Steuerpaket
Erneut steht die Schweiz vor einer Volksabstimmung, die zum Scherbengericht für Bundesrat und Parlament werden könnte. Sowohl bei der durch ein Referendum angefochtenen Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) als auch beim Steuerpaket drohen bunt gemischte Gegenkräfte aus ideologischen und finanziellen Gründen am 16. Mai mit einem Staatsbegräbnis, das sich nahtlos an die unselige Avanti-Abstimmung anschliessen würde. Vor allem zum Steuerpaket hat frühzeitig eine Diskussion eingesetzt, bei der es schwierig ist, die Lager nach gewohnten Kriterien zu unterscheiden. Dafür haben nicht zuletzt die Kantone gesorgt, die zum ersten Mal in der Geschichte des Bundesstaates vom verfassungsmässigen Recht des Kantonsreferendums Gebrauch gemacht haben. Die Tatsache, dass sich selbst bürgerliche Regierungsräte nicht nur gegen die Übergriffe in die materielle Steuerharmonisierung wehren, sondern auch gegen Steuererleichterungen argumentieren, setzt die bürgerlichen Parteien unter Druck. Will man den Meinungsumfragen Glauben schenken, ist nicht mehr auszuschliessen, dass eine derart zerredete Vorlage schliesslich in ein Misstrauensvotum mündet.
Die bürgerlichen Parlamentsfraktionen werden sich fragen müssen, ob sie ihr mutiges Eintreten für einen Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik mit der gebotenen Umsicht in Szene gesetzt haben. Wenn sogar der neue Finanzminister einräumt, er habe der Teilvorlage über die Wohneigentumsbesteuerung nur mit Zähneknirschen zugestimmt, gibt dies seinem ansonsten engagierten Plädoyer für die Vorteile der Vorlage einen unguten Beigeschmack. Gerade bei diesem Systemwechsel finden sich Ungereimtheiten und Inkonsequenzen, die nun ausgeschlachtet werden können. Und dass man die Kantone auf die Barrikaden getrieben hat, dürfte einem Parlament mit gleichberechtigter Ständekammer eigentlich gar nicht passieren.
Trotz allem würden verkehrte Zeichen gesetzt, wenn der Versuch misslänge, die stetig wachsende Steuerbelastung endlich einmal einzudämmen. Es kommt dabei nicht primär darauf an, wie viele Franken und Rappen die Steuerzahler im einzelnen einsparen – die Belastungen bei den direkten Bundessteuern sind bereits so unterschiedlich, dass alle Prozentrechnungen manipulationsanfällig sind. Entscheidend ist, dass der Staat – und da werden nun eben Kantone und Gemeinden mit ins Boot geholt – insgesamt eine Steuersumme von rund vier Milliarden Franken erlässt. Das ist erklecklich, macht aber weniger als zwei Prozent der Gesamtausgaben der öffentlichen Haushalte aus. Und so viel Sparanstrengung ist auch dem Staat zumutbar; Private und Unternehmungen müssen den Gürtel oft wesentlich enger schnallen, um in schwierigen Zeiten überhaupt überleben zu können.
Nun aber erhebt sich ein Wehklagen, das den Sinn für Proportionen gänzlich vermissen lässt. Jede Einsparung beim Service Public wird als «Steuergeschenk an die Reichen» denunziert. In Wahlgängen setzt man hemdsärmelig auf «Weniger Staat»-Parolen; wenn es aber konkret ans Portemonnaie geht, wird aus dem Volk der Steuerzahler plötzlich ein Volk von Staatsdienern, Subventionsempfängern und Besitzstandwahrern. Würde die Steuervorlage abgelehnt – und würde gar die Mehrwertsteuererhöhung ohne gleichzeitige AHV-Revision gutgeheissen –, so fielen zukunftsgerichtete Reformen wohl für einige Zeit ausser Abschied und Traktanden. Ein Impuls für eine wirtschaftliche Belebung wäre verloren, die derzeitige politische Malaise bliebe bestehen. Und die öffentliche Hand käme trotzdem nicht darum herum, ihre Haushalte zu sanieren. Wohl sind Steuerermässigungen keine einfachen Patentrezepte; aber sie erzeugen einen politisch-psychologischen Effekt, der nicht zu unterschätzen ist: Bürgerinnen und Bürger werden aufgerufen und bekommen die Möglichkeit zu handeln, statt nur zu dulden und zu leiden.
Ulrich Pfister, geb. 1941, ist Publizist in Zürich.