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Victor Santa Cruz

Ein Stadtspaziergang der aussergewöhnlichen Art

Unser Autor wandert einmal quer durch Mexiko-Stadt – und wird ausgerechnet im Reichenviertel ausgeraubt.

Eine Stadt kennt man erst richtig, wenn man sie gehend entdeckt hat. Und weil ohnehin fast alle Kulturinstitutionen geschlossen sind, ergreifen wir die Gelegenheit, auf einem Spaziergang durch Mexiko-Stadt die Alltagskultur zu erfahren oder eben: zu erwandern. Wir, ein Schweizer Journalist und ein mexikanischer Fotograf, brechen bei Sonnenaufgang vom Flughafen am östlichen Stadtrand auf. Das Ziel: das westliche Ende der Stadt. Wobei die Bezeichnung Stadt der Metropole kaum gerecht wird. Diese Ansammlung von 12 Millionen Menschen allein innerhalb der eigentlichen Stadtgrenze (und weiteren 10 Millionen im Ballungsgebiet) umfasst eigentlich mehrere gänzlich unterschiedliche Städte. Das Gebiet um den Flughafen gehört zu den ärmsten Vierteln. Wir haben nur die nötigsten Wertsachen dabei und tragen die teure Fotokamera möglichst unauffällig bei uns. Der Betreiber eines Tacos-Stands kocht in der Morgensonne Schweinehäute und klagt über den schleppenden Geschäftsgang in der Pandemie. Ein Müllmann zieht seinen Karren durch die Strassen, sammelt und sortiert den Abfall, den die Metropole hinterlässt.

Victor Santa Cruz

Das historische Zentrum ist von kolonialer Architektur geprägt. Totenschädel starren uns von Figuren und Wandgemälden entgegen. Der Tod ist allgegenwärtig in der mexikanischen Kultur. Wir stossen auf eine Konditorei mit dem Namen «Pasteleria Suiza». Sie wurde 1947 von einem genferisch-katalanischen Einwanderer gegründet, wie uns der Mann der Besitzerin erklärt. Die Kunden, die in der Schlange vor dem Laden anstehen, betonen übereinstimmend, die Dreikönigskuchen hier seien die besten Mexikos (auch wenn sie mit Schweizer Dreikönigskuchen wenig gemeinsam haben). Jenseits des weitläufigen Chapultepec-Parks erheben sich die wohlhabenderen Viertel der Stadt. Herrschaftliche Villen reihen sich an pompöse Botschaften, alle hinter hohen Mauern, Stacheldraht oder gleich in einer abgesperrten Privatsiedlung. Plötzlich hält ein Polizeiauto neben uns. Die Beamten durchsuchen uns von Kopf bis Fuss. Es sei nicht erlaubt, hier Fotos zu machen, behaupten sie, und verlangen 8000 Pesos (rund 350 Franken) Busse. Als wir erklären, nur 500 Pesos bei uns zu haben, geben sie sich damit zufrieden und stecken das Geld ein. Nachdem wir die Armenviertel schadlos durchquert haben, werden wir kurz vor unserem Ziel inmitten von Luxusvillen von der Staatsmacht ausgeraubt. (lz)

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