Ein Sommer des Abschieds
Wie verabschiedet man sich von einer Mutter, die einen das ganze Leben lang kontrollierte? Diese Frage stellt sich bei der Lektüre des Debütromans «Im Garten meiner Mutter» von Schauspielerin Ariela Sarbacher. Im Zentrum der Geschichte steht die Beziehung von Ich-Erzählerin Francesca und ihrer Mutter, die sich entschlossen hat, mittels Sterbehilfe einem schmerzvollen und vielleicht unwürdigen Tod zu entgehen. Der Roman ist als Abschiedsbrief konzipiert, doch schreibt überraschend nicht die «Sterbende» an die Zurückbleibenden, sondern genau umgekehrt.
Francesca erzählt von ihrer Kindheit zwischen zwei Kulturen: vom Aufwachsen in einem Zürcher Vorstadtquartier und den unzähligen Reisen nach Italien, dem Herkunftsland der Mutter. Diese beiden Gegenpole finden sich auch in Sarbachers Erzählstil: mediterran, südlich, leidenschaftlich versus nüchtern, schweizerisch.
Die Beziehung von Mutter und Tochter ist nicht von italienischer Herzlichkeit geprägt: Francesca wächst mit dem Gefühl auf, unnütz und fehl am Platz zu sein. Die Mutter beherrscht jede Situation, so auch Francescas Leben, ist in ihren Handlungen und Äusserungen unvorhersehbar und ambivalent: «Dir fehlt die Konzentration auf der Bühne. Daran solltest Du arbeiten. Es gefällt mir nicht, wie du dich verbeugst! Du warst gut, ich weiss gar nicht, was du hast – du warst eine der Besten deines Jahrgangs!»
Es sind Stellen wie diese, die es so schwer machen, die unerschütterliche Liebe der Protagonistin zu verstehen, die ergeben an der Seite jener Frau bleibt, der sie ein Leben lang vergeblich zu genügen versuchte. Was als Abschied begann, entpuppt sich für Francesca als Neuanfang: Während der vier letzten gemeinsamen Wochen lernt sie ihre Mutter neu kennen, findet gute Eigenschaften, Erklärungen für ihr Verhalten und kann sie ohne Groll gehen lassen.
Die Geschichte des Romans mag ein wenig nach einem Klischee klingen, erst recht, wenn Protagonistin und Autorin einige Gemeinsamkeiten haben. Doch sie lässt die Leserin noch Tage nach der Lektüre berührt, aufgewühlt und zugleich friedlich zurück. Als wäre man mit Francesca und deren Leben weit über das Buch hinaus verbunden.
Ariela Sarbacher: Der Sommer im Garten meiner Mutter.
Zürich: bilgerverlag, 2020