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Ein Sakrileg

Mit spitzen Fingern halten sie das verhasste Tuch, derweil ein älterer Kollege es mit dem Feuerzeug in Brand setzt. Die Herren tragen dunklen Anzug, weisses Hemd und Krawatte. Ruhig stehen sie beieinander – wie beim Barbecue frühabends, wenn der Grill entzündet wird. Die Fahne hat man günstig gekauft, da das teure Original auf dem Dach […]

Ein Sakrileg

Mit spitzen Fingern halten sie das verhasste Tuch, derweil ein älterer Kollege es mit dem Feuerzeug in Brand setzt. Die Herren tragen dunklen Anzug, weisses Hemd und Krawatte. Ruhig stehen sie beieinander – wie beim Barbecue frühabends, wenn der Grill entzündet wird. Die Fahne hat man günstig gekauft, da das teure Original auf dem Dach der Gesandtschaft nicht zu erobern war. Einige Mitstreiter hatten sich weitere Ersatzfahnen um die Füsse gewickelt, um mit jedem Schritt das Sternenbanner in den Staub zu treten. Imitate der US-Flagge wurden an diesem Tag in Islamabad mehrfach verbrannt, neben Puppen des Präsidenten, ein paar Autos und einigen Gummireifen. Zwei Dutzend Tote und hunderte Verletzte kostete der Aufruhr innerhalb einer Woche. Doch niemand hat die Geste der Empörung so lässig inszeniert wie die feinen Herren des pakistanischen Anwaltsverbands.

Ganz so gleichmütig, wie es das Photo suggeriert, waren die Advokaten nicht. Zu Hunderten rückten gegen das Botschaftsviertel vor, durchbrachen die Aussentore und wurden schliesslich von bewaffneter Polizei abgedrängt. Sie schwenkten die schwarzen Fahnen des radikalen Islams und trugen Kopfbänder, auf denen sie die Freunde Amerikas als Verräter brandmarkten. Ihre Kampfrufe waren ebenso rabiat wie die des Mobs aus den Unterklassen. Zur Ehre des Propheten wollten sie sich selbst opfern; für Blasphemie forderten sie die Todesstrafe. Bildung, Wohlstand und Rechtsverstand bewahren offenbar weder vor Fanatismus noch vor religiösem Selbstmitleid.

Leichtgläubige Gemüter im Westen haben die Proteste zwischen Khartum und Jakarta auf die Schmähbilder eines Videos zurückgeführt, auf fehlende Bildung oder auf die Hetztiraden erboster Prediger. Aber Propaganda ist nur wirksam, wenn die Bereitschaft zum Irrglauben bereits grassiert. Bildung schützt vor Torheit und Brutalität nicht. Und Provokationen verpuffen sofort, wenn sich niemand gereizt fühlt. Der Impuls, der die Menge antreibt, ist viel älter als die akuten Umstände. Die Protestmasse, die sich in der Aktion selbst aufwiegelt, will der Ungläubigen habhaft werden, will sie lynchen und verbrennen.

Auf Gotteslästerung ist die Empörung nicht zurückzuführen. Das leichtfertige Gerede von der «Verletzung religiöser Gefühle», das im verschreckten Europa so manchen zur Aufgabe der Meinungsfreiheit verleitet, verkennt die Essenz religiösen Glaubens. Die inbrünstige Verehrung eines heiligen Idols lässt sich von übler Nachrede ebenso wenig beeindrucken wie von blasphemischen Videos oder Karikaturen. Dass Menschen glauben, ihrem Gott beispringen zu müssen, ist eine Anmassung. Götter oder Propheten können durch Bilder gar nicht verunglimpft werden. Nur wer seine Götter bereits zu Menschen degradiert hat, kann überhaupt auf die Idee kommen, sie beschützen zu müssen. Verspottet fühlen sich weniger die Frommen als die Halbgläubigen. Lehrsätze oder Tabus sind nur das Mausoleum einer Religion. Wahrer Glauben entspringt dem Sinn fürs Unendliche, fürs Unsichtbare und Übermächtige. Er hat seine Wurzel in der Erfahrung des Heiligen. Wem dessen Evidenz nicht zuteil wurde, der muss sich an Bigotterien aus zweiter Hand halten. Bedingungslos verteidigt er Bräuche und Meinungen, die er für verbürgt hält. Der halbgläubige Eiferer kann alles nur wortwörtlich nehmen. Für Doppelsinn fehlt ihm jegliches Sensorium. Er kennt keine Kompromisse und ist notorisch beleidigt. So brüchig ist sein unheiliger Glaube, dass er an ihn selbst nicht mehr recht zu glauben vermag. Da ihm die letzte Sicherheit fehlt, klammert er sich an alte Legenden, jubelt über lautstarke Schlachtrufe, über das Feuer, das alles vernichtet. Weil er des Erzfeindes nirgends habhaft werden kann, zerstört er dessen Symbole mit doppelter Wut. Er malträtiert Puppen, trampelt auf Stofffetzen herum, beschmiert Porträts oder rächt das Sakrileg mit der Nachäffung eines Sakrilegs. Er verbrennt die billige Kopie der Nationalflagge und vernichtet damit ein Symbol, von dem er hofft, dass es dem Feinde ebenso heilig sei wie ihm der Leumund des Propheten.

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