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Ein normales, souveränes Deutschland

Die deutsche Aussenpolitik ist ins Gerede gekommen, weil sie sich anmasste, 2002 auf die Weltbühne zurückzukehren. Seit dem Überfall der USA auf den Irak (zusammen mit einer «Koalition der Willigen») und der Weigerung Bundeskanzler Gerhard Schröders, sich an diesem Abenteuer zu beteiligen, findet eine heftige, kontroverse Debatte über die Ziele deutscher Aussenpolitik statt. Ein Krieg […]

Die deutsche Aussenpolitik ist ins Gerede gekommen, weil sie sich anmasste, 2002 auf die Weltbühne zurückzukehren. Seit dem Überfall der USA auf den Irak (zusammen mit einer «Koalition der Willigen») und der Weigerung Bundeskanzler Gerhard Schröders, sich an diesem Abenteuer zu beteiligen, findet eine heftige, kontroverse Debatte über die Ziele deutscher Aussenpolitik statt. Ein Krieg bringe Dinge ans Licht, die sonst verborgen geblieben wären, konstatierte einst der französische Staatspräsident Charles De Gaulle. Dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen den Irak führte auf zwei zentralen Feldern zu schweren Zerwürfnissen zwischen den Nato-Partnern: in den transatlantischen Beziehungen und im Bereich der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat ein deutscher Bundeskanzler öffentlich erklärt, dass über die deutsche Aussenpolitik allein in Berlin entschieden werde. Deutschland brauche seine nationalen Interessen nicht zu verstecken; dies sei der «deutsche Weg» und dafür kämpfe und arbeite er, so der Kanzler. Diese Weg-Metapher hat innerhalb der aussenpolitischen Elite des Landes zu geradezu hysterischen Reaktionen geführt, die psychologisch mehr über die Kritiker der Metapher als über deren Erfinder aussagen. Einige dieser Kritiker erwecken den Eindruck, als bedauerten sie die gewonnene Souveränität und sehnten sich zurück in die Gartenzwerg-Idylle der Vorwendezeit, in der ein dauerfliegender Aussenminister den Deutschen in blumigen, nichtssagenden Erklärungen die grosse Welt erklärte und dies für Aussenpolitik hielt.

Zwei aussenpolitische Experten unterschiedlichster Provenienz interpretierten Schröders Worte jedoch anders; sie bürsteten gegen den Strich und wurden dafür heftig gescholten: Egon Bahr, aussenpolitischer Vordenker Willy Brandtscher Ostpolitik und einer der wenigen aussenpolitisch-strategischen Köpfe der SPD, sowie der Zeithistoriker Gregor Schöllgen von der Universität Nürnberg-Erlangen.

Beide haben je auf ihre eigene Weise aus den Vorgängen von 1989/90 die einzig richtigen Konsequenzen gezogen, die die deutsche Politik erst 2002 vollzogen hat. Bahr, indem er eine eigene, selbstbewusste, interessengeleitete deutsche Aussenpolitik – eingebettet in Europa – fordert, die nicht gegen Amerika handeln soll, sondern nur ein Überlebensprogramm gegenüber dem Sendungsbewusstsein der USA präsentiert und sich zu den Werten des «alten Europa» bekennen soll. Eine gemeinsame Wertegemeinschaft sei ein Irrglaube, so Bahr. Spätestens seit dem Überfall auf den Irak und mit der Machtübernahme und der damit verbundenen Hybris der Neokonservativen, die von einer mächtigen Allianz religiös-fundamentalistischer Wiedergeborener getragen wird, sei die Basis dafür verloren gegangen. Europas Zukunft sei die Positionierung als Zivilmacht. Nicht Konfrontation, sondern «Arbeitsteilung» ist nach Bahr angesagt. «Wir haben nicht zwischen Unterwerfung und Feindschaft zu wählen.»

Ähnlich Schöllgen, aber auf eine professoralere Art: «Die transatlantische Epoche geht zu Ende.» Deutschland habe seinen Platz an der Seite einer Grossmacht des alten Kontinents gefunden, nämlich Frankreich. Ob dies wirklich schon das letzte Wort der Geschichte ist, darf in Anbetracht der Wendigkeit von Aussenminister Joschka Fischer, der servilen Haltung der Oppositionsführerin Merkel und des FDP-Dandys Westerwelle bezweifelt werden. Deutschland könnte aussenpolitisch kein grösseres aussenpolitisches Unglück ins Haus stehen als eine Regierung Merkel mit einem Aussenminister Westerwelle und einem Staatsminister Friedbert Pflüger. Merkels Anbiederung an den Kriegskurs von George W. Bush vor Ausbruch des Irakkrieges entsprach einem Vasallentum.

Was haben Bahr und Schöllgen Verwerfliches geschrieben, dass sie von fast der gesamten aussenpolitischen Elite unisono verurteilt werden? Egon Bahr, alles andere als ein des Nationalismus verdächtiger Eiferer, hat an einem alt-bundesrepublikanischen Tabu gerüttelt. Er hat für Deutschland eine Selbstverständlichkeit eingefordert: die Normalität. «Normal ist, dass jeder Staat seine Interessen vertritt und versucht, seine Ziele durchzusetzen, ohne sich von seiner Vergangenheit lähmen zu lassen. Man darf ihr nicht entkommen wollen, aber auch nicht ihr Gefangener werden. Die Deutschen müssen endlich die Anomalität abschütteln, bei vielen Problemen von heute auf gestern zurückzuschauen und damit Lösungen für morgen zu erschweren. … Wir müssen uns von der fast psychopathischen Last heilen, psychopathisches Leid zu kultivieren.» Bahr hat völlig recht, wenn er verlangt, dass Europa erwarten kann, dass Deutschland endlich normal werde. Ohne eine Normalität in aussenpolitischen Fragen wird Deutschland immer Spielball anderer Mächte bleiben; dies kann kein verantwortungsbewusster Politiker wollen. Es geht ihm also um nationale «Würde», wie altmodisch dieses Wort auch klingen mag.

Diese selbstbewusste Haltung hat erst-mals Kanzler Schröder gegenüber der «hemdsärmeligen Brachialdiplomatie» der USA an den Tag gelegt, wie Schöllgen betont. Dass über deutsche Interessen in Berlin und nicht in Washington entschieden werde, hinter diese Haltung könne kein zukünftiger Bundeskanzler mehr zurückfallen. «Respektlose Bevormundungsversuche» oder unverhohlene Drohungen wie Bush sie gegen die «Unwilligen» und die Uno ausgestossen habe, «sind in einer Gemeinschaft souveräner Staaten nicht akzeptabel». «Gleiche Augenhöhe» sei das Gebot der Stunde. Wenn jetzt die Bush-Regierung droht, Verbände aus Deutschland nach Osteuropa zu verlegen, sei dies nach Schöllgen «nicht unbedingt eine schlechte Nachricht». Ist nicht die Grundlage für Besatzungstruppen seit 1990 entfallen? Hat sich nicht nach Ansicht der Pentagon-Strategen die Grenze der Konfrontation nach Osten verschoben? Geht jetzt der Westen von einer Antikommunismus-Phobie in eine Islamismus-Phobie über, ohne nach seinem eigenen Zutun zu diesem Phänomen zu fragen?

Mitunter mutete die Kritik an beiden Autoren geradezu grotesk an. Man warf ihnen vor, Deutschland schon wieder und auf leisen Sohlen unterwegs zur Weltpolitik zu wähnen; andere sprachen von «Gleichgewichtsstörungen», «Wilhelminismus», vom «deutschen Weg» als weltpolitischem Geltungsdrang oder von einem aussenpolitischen «Abseits» sowie vom Machtverfall Deutschlands. Von völliger aussenpolitischer Ahnungslosigkeit und politisch durchsichtig war das Argument von Oppositionsführerin Merkel, dass Schröder zum Krieg beigetragen habe, weil er aus der aufgebauten Drohkulisse ausgebrochen sei. Als ob sich die Bush-Regierung um irgendeine deutsche Meinung geschert hätte.

Beide Autoren beschreiben auch die historische Entwicklung der alten Bundesrepublik und des neuen Deutschland. Bahr in seiner schnörkellosen und stringenten Art und Weise; Schöllgen nüchtern engagiert, aber zukunftsweisend. Aussenminister Fischer meinte bei der Vorstellung des Schöllgen-Buches, dieses auf einen europäischen Massstab zurechtstutzen zu müssen. Der Autor hatte aber niemals einen anderen Rahmen anvisiert als den europäischen. Wie konnte Fischer als Laudator sich da so irren? Was Schöllgen zu Recht gefordert hat, ist die Annahme einer führenden Rolle in Europa und der Welt, weil dies ein «nationales Interesse» sei. Diese Rolle habe Deutschland seit der Wiedervereinigung und erst recht nach dem Irakkrieg mit Selbstbewusstein, aber Augenmass auszufüllen. Für die «gleiche Augenhöhe», wie der Kanzler sie gefordert hat, muss das Land im Verbund mit den anderen EU-Staaten allerdings mehr investieren. Der deutsche Bundeskanzler ist jedenfalls dazu bereit. Warum zieht er nicht stärker aussenpolitische Kompetenzen ins Kanzleramt, wie weiland Kanzler Kohl?

besprochen von Ludwig Watzal. Er ist Redaktor und Publizist in Bonn.

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