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Ein Land, ein Volk, ein Rundfunk?

Über Her- und Zukunft unserer staatlichen Massenmedien.

Die neuen  Medien des 20. Jahrhunderts – Radio und Fernsehen – waren vom Geist und Ungeist der Massen, des Massenhaften durchtränkt. Die Idee der Masse faszinierte die Geister, von Gustave Le Bons «Psychologie des foules» (1895) über Ortegas «Aufstand der Massen» oder David Riesmans «Lonely Crowd» bis zu Canettis «Masse und Macht» von 1960. Dass die beiden grossen totalitären Systeme des Jahrhunderts Radio und Fernsehen für ihre Propaganda nutzten und sich zu diesem Zweck radikal unterordneten, wirkt in der europäischen Medienlandschaft bis heute nach. Doch die Zeit der Massenmedien geht zu Ende. Auch in der Schweiz.

Zur Rechtfertigung der heutigen staatsnahen Organisationsstruktur von Radio und Fernsehen in Europa werden an erster Stelle jeweils vor allem technische Zwänge genannt: die Knappheit an Frequenzen, auf denen gesendet werden könne, bedinge eine zentrale Vergabe der Sendemöglichkeiten. Als unabhängiger Schiedsrichter dieser Vergabe wurde seltsamerweise der Staat angesehen, der doch selber kein ganz uneigennütziger Akteur der Öffentlichkeit ist.

 

Der andere Weg der USA

In den USA war dieses Konzept seit jeher nicht mehrheitsfähig. Hier sind die Radio- und Fernsehsender mehrheitlich in der Hand privater Veranstalter. Das öffentlich-rechtliche Radio (National Public Radio, NPR) und Fernsehen (Public Broadcasting Service, PBS) sind als Teil unzähliger kleiner lokaler Programme als «Networks» organisiert, deren Nachrichtensendungen hohe Glaubwürdigkeit geniessen: «Morning Edition» etwa und am Abend «All Things Considered» – Konzentration auf die Essenz des Journalismus, heisst die Parole. Dies indes nicht ganz freiwillig, sondern vielmehr wegen der Finanzknappheit, mit der die Öffentlich-Rechtlichen hier seit jeher zu kämpfen haben.

Die Finanzknappheit des «Public Broadcasting» führt allerdings auch dazu, dass stets neue Konzepte zur Finanzierung durch die – vorwiegend nichtstaatliche – Öffentlichkeit ausprobiert werden müssen. Seitdem die Presse in den USA nun an schweren Finanznöten leidet, werden auch hier neue Ideen zur Finanzierung eines hochstehenden, unabhängigen Journalismus entwickelt. So wie es im Internet von Beginn weg notwendig war, nach Einnahmequellen zu suchen. Wobei jeder liberale Geist dem Schicksal danken wird, dass das «World Wide Web» in den USA und nicht in europäischen Gefilden entstanden ist. Denn wäre das Internet in Europa gross geworden, wäre es heute zweifellos von einem dichten Netz von – wie unsere Mediengesetzgebung zeigt: teilweise abstrusen – Regulierungen eingeschnürt…

 

Im Visier des Totalitarismus

Der Blick auf die USA zeigt, dass es nicht allein die Technik gewesen sein kann, welche Radio und Fernsehen in Europa zu zentralisierten, staatlichen oder staatsnahen Institutionen werden liessen. Grund war vielmehr die unheilvolle politische Entwicklung des 20. Jahrhunderts mit den beiden totalitären, auf das Bewusstsein jedes einzelnen Bürgers zielenden Ideologien, dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus. Vor allem die Nationalsozialisten erkannten die Möglichkeiten von Hörfunk und Film für ihre propagandistischen Zwecke und setzten sie konsequent und wirkungsvoll ein.

 

Alternative Visionen

So war in Europa der Weg zum zentralisierten, staatlichen Rundfunk nicht einfach durch die spezifischen Eigenschaften der neuen Medien vorgezeichnet, sondern durch die grosse Politik. Aber es gab auch andere Vorstellungen. Kurz vor dem Schicksalsjahr 1933 hatte Bertolt Brecht die Vision «Der Rundfunk als Kommunikationsapparat» entworfen. In seiner «Rede über die Funktion des Rundfunks» schlug er 1932 vor, den Rundfunk «aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln». Brecht zählt das Radio zwar zu den «Erfindungen, die nicht bestellt» waren: «Nicht die Öffentlichkeit hat auf den Rundfunk gewartet, sondern der Rundfunk wartete auf die Öffentlichkeit.» Man hatte «plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen». Das hatte nach Brecht mit der Funktion des Rundfunks als einseitigem «Distributionsapparat» zu tun. Er habe «eine Seite, wo er zwei haben müsste». Kurz, er müsste «aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren». Und, beispielsweise, «die Berichte der Regierenden in Antworten auf die Fragen der Regierten verwandeln».

Die Vision Brechts, der sich wohl der Linken, aber nicht deren kollektivistischer Spielart zugehörig fühlte, blieb für lange Zeit folgenlos. Aber nicht für immer. Denn nicht erst das Internet zeigte, dass aus dem elektronischen Distributionsapparat durchaus ein Kommunikationsapparat entstehen konnte. Heute wissen wir: sogar gigantischer, als es sich die Medientheoretiker des 20. Jahrhunderts vorgestellt hatten. Bereits 1972 nahm Hans Magnus Enzensberger den emanzipatorischen Ansatz Brechts auf in seiner Theorie des «Medienbaukastens», die fordert, dass der Empfänger auch Sender sein solle. Radikaler und pessimistischer zu Ende dachte Jean Baudrillard die Massenmedien in seiner Schrift «Requiem für die Medien» (1972). Weil nämlich Massenmedien Kommunikation nicht ermöglichten, sondern vielmehr grundsätzlich verhinderten.

 

Goebbels‘ «Massenbeeinflussungsmittel»

Doch bis dahin ging die Entwicklung der Massenmedien in Europa den exakt entgegengesetzten Weg. An der Eröffnung der zehnten deutschen Funkausstellung in Berlin hielt Joseph Goebbels am 18. August 1933 eine programmatische Rede über den «Rundfunk als achte Grossmacht» (Napoleon hatte die Presse einst als 7. Grossmacht bezeichnet). Der frischgebackene Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda verhöhnte vorerst die Weimarer Demokratie, die «teilnahmslos und fast blind an den Wirkungsmöglichkeiten dieses modernen Massenbeeinflussungsmittels vorbei» gegangen sei. Dabei würden spätere Geschlechter einmal feststellen, «dass der Rundfunk für unsere Zeit genau so eine neue Entwicklung der geistigen und seelischen Beeinflussung der Massen eingeleitet hat wie vor Anbruch der Reformation die Erfindung der Buchdruckkunst». Ohne Flugzeug und Rundfunk, so gesteht Goebbels offen, wäre die Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht denkbar gewesen. Denn der Rundfunk sei am besten von allen Medien geeignet, «der Zeit und ihren Forderungen und Bedürfnissen Rechnung zu tragen und Ausdruck zu geben». Kurz: «Der Rundfunk ist erster und einflussreichster Mittler zwischen geistiger Bewegung und Volk, zwischen Idee und Menschen.» Er schaffe es am besten, «ein Volk innerlich zusammenzuschweissen».

Goebbels hat denn auch den Hörfunk zur wichtigsten Waffe im Kampf um die Seele der Deutschen gemacht. Neben der totalen Kontrolle der Medien war seine Idee, ein billiges Empfangsgerät – den «Volksempfänger» – entwickeln und unters Volk bringen zu lassen, einer der genialsten medienpolitischen Schachzüge des 20. Jahrhunderts. In 16 Millionen deutschen Haushalten war es so schliesslich möglich, die hypnotisierenden Reden des Führers anzuhören.

 

Landessender zur geistigen Abwehr der Bedrohung

Die radiophon-propagandistische Bedrohung durch die aggressive Grossmacht im Herzen Europas weckte Widerstände: Auch in der Schweiz wurde der «Landessender» Beromünster zu einem Instrument der «geistigen Landesverteidigung». Strikte Zentralisierung, «one to all»-Journalismus war die Folge. Und das ist bis heute weitgehend so geblieben, auch wenn sich die SRG-Medien der politischen Landschaft der Schweiz geschmeidig angepasst und dabei ja durchaus auch staatspolitische Meriten erworben haben.

Von fundierter Kritik an dieser im Grunde wenig demokratischen Form der politischen Meinungsbildung war im Land der direkten Demokratie erstaunlicherweise bis heute wenig zu hören. Auch nicht, als die geistige Landesverteidigung längst begraben war und von Historikern verspottet wurde. Der typische SRG-Sound aus staatsnah-autoritärem Verlautbarungsjournalismus und links-alternativ-grüner Gesellschaftskritik (letztere besonders ausgeprägt in den Jahren nach 1968) wird erstaunlicherweise bis heute selten hinterfragt. Noch immer fasziniert anscheinend die Vorstellung, eine ganze Nation von einem einzigen Punkte aus beeinflussen und – wie es auch dem heutigen SRG-Chef vorschwebt – zu besseren Demokraten erziehen zu können: ein Land, ein Volk, ein Rundfunk. Den paradoxen Einfall, diese Konstruktion als «idée Suisse» auszugeben, hat die SRG immerhin inzwischen wieder fallengelassen.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil die SRG inzwischen zu einem Medienkonzern mit 7 TV- und 17 Radioprogrammen und immer mehr aufwendigen Internetaktivitäten, 6000 Beschäftigten und einem Umsatz von 1,6 Milliarden Franken angewachsen ist. Und damit zur flächendeckenden «Bewusstseinsindustrie» (Enzensberger), mit der anzulegen sich jeder in der Öffentlichkeit aktive Schweizer – ob Politiker, Wirtschaftsführer, Künstler oder Medienschaffender – hütet, will er nicht zur medialen Unperson werden. Als sich der Bundesrat um 1980 anschickte, eine zaghafte Verordnung zu erlassen, welche es Privatsendern gestattete, versuchshalber einige Kilometer weit ins Landhinauszusenden, sprach ein prominenter SP-Nationalrat von einem «medienpolitischen Staatsstreich»…

Doch nicht ein paar politisch kleingehaltene Privatsender bedrohen die SRG, sondern der Klimaschock durch das neue digitale Zeitalter. Den öffentlich-rechtlichen Anstalten mit ihrem ungehinderten Expansionsdrang droht das Schicksal aller Dinosaurier: Je grösser die Masse des Monstrums, desto eher wird es vom Aussterben bedroht.

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