Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Ein Glas Wein  mit Sven Mumenthaler
Illustration: Matthias Wyler / Studio Sirup

Ein Glas Wein
mit Sven Mumenthaler

Sven Mumenthaler arbeitet in der Kunstgiesserei Kunstbetrieb.

Sven Mumenthaler ist nur schwer auffindbar – auf 2500 Quadratmetern schreinert, giesst, brennt, schweisst, fräst, ziseliert, patiniert und lackiert der Kunstbetrieb in Münchenstein, Baselland. Zwischen den zwei Werkshallen treffen wir uns dann doch noch, setzen uns in der Küche an einen langen Tisch, wo er schmunzelnd den Wein betrachtet: «Eine schöne Tinte.»

Mit Farben kennt sich der Kunstbetrieb aus. Seine Kollegin habe gerade einige Tage daran getüftelt, eine bläuliche Patina hinzubekommen, sagt Mumenthaler. Die forcierte Oxidation von Bronze gehe für gewöhnlich eher ins Braune, Schwarze, Grüne oder Rötliche, aber mit speziellen chemischen Mitteln schafften sie auch mal Blau. «Zu uns kommen jene, die Projekte im Sinn haben, die auf den ersten Blick nicht realisierbar scheinen.»

Die klassische Kunstgiesserei umfasst gut die Hälfte der Aufträge des Betriebs. Das Verfahren ermöglicht es, dreidimensionale Objekte abzuformen, zu vergrössern und zu vervielfältigen – wie den überlebensgrossen, aus Hartschaum geschnitzten Wolf, der darauf wartet, in Bronze übersetzt zu werden. Ihre Aufträge, so Mumenthaler, seien von Anfrage zu Anfrage völlig verschieden und die Arbeit entsprechend unvorhersehbar. Vom babyrosafarbenen Swimmingpool bis zum zerflossenen Bett aus Aluminium – jeweils rund 50 solch hochindividueller Projekte unterschiedlichster Kunden fallen zeitgleich an. Das spiegelt sich auch in den Berufsprofilen der insgesamt 18 Mitarbeiter: Zahntechnikerin, Metallbauschlosser, Schreiner, Innenarchitekt, Goldschmiedin, Industriedesignerin, Malerin und Restauratorin – nicht selten in Personalunion.

Der Wein hat geatmet, ist aber noch immer kalt vom Transport. «Der wird ja oft zu warm aufgetischt, ich trinke ihn gerne etwas kühler», meint Mumenthaler. Das Lohnverhältnis aller Mitarbeiter betrage laut eigenen Berechnungen 1 zu 1,2, erzählt er, der technischen Modellbau gelernt und acht Jahre für die Vitra in Birsfelden gearbeitet hat. «Wir haben uns darauf geeinigt, interessante Arbeit zu verrichten, auch wenn wir damit nicht reich werden.» Vor gut 10 Jahren wurde er als erster Mitarbeiter von den drei Gründern der Aktiengesellschaft angestellt. Diese hatten in Münchenstein eine geeignete Halle gefunden – mit grossem Tor und Kran –, um sich selbständig zu machen. Selbst das zweite Glas ist noch immer nicht «auf Temperatur», allerdings beginne ich, die Einschätzung zu teilen: intensiv, aber weder zu schwer noch zu süss, Pflaumen, Kirschen, wenig Tannine – und so kühl gerade richtig.

Mumenthaler erzählt von seinen Kunden, den Kunstschaffenden. «Material ist unser Metier», sagt er. «Unsere Kernkompetenz aber ist eigentlich eine sprachliche», sagt Mumenthaler und setzt sein Glas ab. Er führt in die vordere Halle, jener, in der alles angefangen hat. Dort hängt eine Materialmusterwand: Metalle, Oberflächenbehandlungen, halbe Plastillingesichter, Wachseulen. «Hier konkretisieren sich die Vorhaben der Künstler – oder ändern sich komplett. Viele kommen mit Kategorien zu uns wie ‹Es muss ein bisschen glänzen›; ‹Es soll sich nach Gummi anfühlen› oder ‹Es darf nicht zu schön sein›.» Diese Nuancen gelte es herauszuhören und zu verstehen. «Die Künstler geben hier etwas aus der Hand, das nicht selten ihr Innerstes betrifft», sagt er. «Unsere Stärke ist es, ihre Anliegen ernst zu nehmen.» Jedes Projekt hat seinen eigenen Inhalt und seine eigene Geschichte – auch für Mumenthaler selbst. «Wir begleiten diese Projekte vom ersten Gespräch – auf das meist viele folgen – über Planung, Timing, Kostenvoranschläge und Umsetzung bis zum Kunstwerk, das in einer Galerie steht. Dieser Moment, in dem man das Werk in völlig anderem Kontext sieht, ist oft der schönste: da stellt sich aus viel Schweiss und Zittern eine grosse Zufriedenheit ein.»

Die Beziehung zum Kunden sei fragiler und persönlicher als in manch anderen Produktionsfirmen – und darum sei die Schweiz trotz ihrer hohen Kosten der richtige Standort für den Betrieb. Er zeigt auf seinen Kopf und seine Hände: «Wir haben hier kaum Maschinen, sondern arbeiten mit dem und dem.» Intellektuelles Kapital nennt er Know-how und Netzwerk, das er und seine Kollegen in den Jahren und in ungezählten Projekten angesammelt haben. So schaffen sie das auf den ersten Blick nicht Realisierbare: interessante Arbeit mit langfristigen Kundenbeziehungen am wohl teuersten Produktionsstandort der Welt.

Wein: Colomé, «Lote Especial», El Arenal, 2014 (Malbec)

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!