Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Illustration: Matthias Wyler / Studio Sirup

Ein Glas Wein
mit Mélanie Eppenberger

Mélanie Eppenberger ist VRP der Toggenburg Bergbahnen AG.

In Unterwasser florierte einst die Hotellerie. Sogar die Königin von Holland machte hier Ferien, aber mit dem Investitionsboom und der Entwicklung von Megaresorts in Graubünden und im Wallis geriet das Toggenburg touristisch ins Hintertreffen. Die Luftseilbahn, die mich gerade von Unterwasser-Iltios hinauf zum Gipfel des Chäserrugg bringt, ist Teil einer Strategie, die das wieder ändern soll. Treibende Kraft hinter der Neupositionierung des Gebiets ist Mélanie Eppenberger. Im letzten Jahr sind die ersten Konkretisierungen ihrer Idee eines natur- und kulturnahen Tourismus sicht- und erlebbar geworden: Sie konnte Herzog & de Meuron für die Planung und Umsetzung mehrerer Infrastrukturprojekte gewinnen, nun empfängt mich die Präsidentin der Toggenburg Bergbahnen AG in der neuen, eindrücklichen Bergstation. 

Wir setzen uns in eine Nische des Gipfelrestaurants, sie bestellt eine Flasche Wein. «Der Winzer ist mein Cousin», sagt sie und stösst mit mir an. «Fruchtig – Cassis! –, vollmundig, aber gut strukturiert.» Sie ergänzt: «Deshalb wollte ich ihn auf der Karte haben. So habe ich immer ein Stück Zuhause bei mir.» Eppenberger stammt aus der Ardèche, lebt aber schon einige Zeit in der Schweiz, wo sie ihren Mann kennengelernt hat. Über ihn, einen alteingesessenen Toggenburger, ist bei ihr die Faszination für die Region gewachsen. «Das Toggenburg ist ein landschaftlich liebliches, kulturreiches und traditionsbewusstes Tal, noch authentisch – obwohl nur eine Stunde von den grossen Agglomerationen Zürich und St. Gallen entfernt.» Ihr tägliches Brot ist es, das Besondere im Chäserrugg-Gebiet hervorzuheben, aber auch infrastrukturell zugänglich zu machen, was ich mir für eine Ausländerin nicht immer leicht vorstelle. Sie schweigt kurz, sagt nach einem Schluck Wein: «Klar, wenn mal Kritik an unserer Arbeit kommt, bin ich ‹die Französin›.» Lächelnd fügt sie an: «Das kommt zum Glück selten vor. Und es ist gleichzeitig ein Vorteil, dass ich nicht hier aufgewachsen bin – so kann ich freier arbeiten.»

Entstanden ist eine Bergstation, die im Toggenburg nun für einen gewissen Stolz sorgt: Ein architektonisch anspruchsvolles Gipfelhaus auf 2200 Metern, das nicht ins Klischee des geschmäcklerischen Alpenchics kippt. «Es gibt hier kein Fell und auch kein Hirschgeweih», erklärt Eppenberger, überhaupt sei es ein Privileg und auch eine grosse Verantwortung, an dieser exponierten Lage bauen zu dürfen. Andere Gebiete, sagt sie, missbrauchten nicht selten den Berg und verkleideten ihn mit den wildesten Attraktionen. Hier sollte der Landschaft bewusst Respekt gezollt werden: dass Schweizer Holz als Material gewählt wurde, der Einbezug möglichst vieler Handwerker aus dem Tal ein Teil des Businessplans war – alles keine Zufälle, sagt sie. Auf dem hart umkämpften Tourismusmarkt sei eine klare Strategie der Ästhetik und der Natur- und Kulturnähe heute ein Erfolgsfaktor. «Die Mehrheit der Schweizer Bergbahnen sind nicht in der Lage, ihre Zukunft selbst zu finanzieren, weshalb vielfach um öffentliche Gelder gebuhlt wird. Wir wollen beweisen, dass es auch privatwirtschaftlich geht.» Subventionen und öffentliche Beteiligungen, ergänzt sie, incentivierten zu oft schlechte Strategien, Überkapazitäten und Ego-Projekte, die viele Bergbahnunternehmen vor den Ruin gestellt hätten. «Ist es nicht absurd, dass in dieser Gegend Steuergeld, das wir als profitable Unternehmung bezahlen, von der öffentlichen Hand direkt in unsere Konkurrenz investiert wird – und so einen an sich funktionierenden Wettbewerb verzerrt?»

Auf das Wintergeschäft der Zukunft angesprochen, hebt Eppenberger zuversichtlich die Augenbrauen. Sie müsse immer ein wenig lächeln, wenn sie Pressemitteilungen von Kollegen lese. «Wenn das Jahr gut war, haben sie ‹tolle Arbeit› geleistet, wenn es ein mieses war, dann sind die schlechten Winter schuld.» Sie nimmt einen Schluck von ihrem Zuhause und ergänzt: Stabile Wetterlagen würden tatsächlich immer seltener, der Chäserrugg aber könne sich über zu wenig Schnee wirklich nicht beklagen. «Schon vor dem Investitionsschub machten wir übrigens 30 Prozent des Umsatzes im Sommer.» Das, so sagt sie, sei für die Schweiz sehr viel – «aber künftig überall unerlässlich». Eppenberger, ehrlich zuversichtlich, hebt das Glas zum letzten «Santé!», dann klingelt es hinten zur Talfahrt.

Wein: Pierre Gonon, «St. Joseph», Rhône, 2013 (Syrah).

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!