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Ein Glas Wein   mit Alain Naegeli
Illustration: Matthias Wyler / Studio Sirup.

Ein Glas Wein
mit Alain Naegeli

Alain Naegeli führt die Strickerei Aldo Naegeli.

Im Bummelzug Thurbo von Schaffhausen nach Ermatingen erzählt ein Bub einen Witz von Kliby und Caroline. Oh ja, ich bin im Thurgau, am Unterseeufer des Bodensees, und besuche eine von zwei verbliebenen Strickereien in der Schweiz. Während die 1892 von Adolf Naegeli gegründeten Berlinger Werke der Firma in den 1970er Jahren über 400 Mitarbeiter beschäftigten, sind es heute noch fünf Personen, die an der Hauptstrasse in Ermatingen Fäden zu Stoff stricken, weitere 15 Personen sind in der Näherei in Amriswil beschäftigt. Die Naegelis sind seit 1981 in Ermatingen, im Büro neben der Industriehalle treffe ich auf Vater und Sohn, auf Aldo und Alain, und auf Hund Harry. Firmenchef Alain Naegeli erzählt, dass seine Mitarbeiter seit vielen Jahren für ihn arbeiten: «Einer hat sein ganzes Leben lang hier gearbeitet. Heute ist er 67 und kommt ab und zu vorbei, um bei personellen Engpässen auszuhelfen.» Ein Rundgang durch den Betrieb bestätigt das: junge Leute sind nicht zu sehen. Denn wenn er heute einen Stricker suche, erzählt Naegeli, finde er niemanden mehr. Früher gab es in Wattwil eine Textilfachschule. Wer das Handwerk heute erlernen möchte, muss ins deutsche Reutlingen.

Alain Naegeli selbst hat nicht Stricker gelernt, sondern Motorradmechaniker. Später hat er sich zum technischen Kaufmann weitergebildet. Und weil es nicht drin liegt, jemanden für die Büroarbeit einzustellen, erledigt er sie selbst. Seine Frau hilft beim Versand von Produkten oder trennt Fäden produzierter Unterwäsche auf. Naegeli kniet nieder und greift in eine Kiste, in der frisch gestrickte Unterleibchen liegen. Nach dem Annähen der Ärmel durch seine Näherinnen werden sie der Aarburger Firma Zimmerli angeliefert, von der sie an die Endkunden verkauft werden – ein Langarm-Rippshirt kostet 109 Franken. Zu teuer? Nicht für das, was es ist, nämlich etwas weltweit Einzigartiges: ein merzerisiertes, laugiertes Richelieu-Rippshirt aus 100 Prozent Baumwolle, das so nur von dieser (übrigens im Wallis hergestellten) Flachstrickmaschine produziert wird. Ein Billigshirt sei ja nach viermal Waschen kaputt, sagt Naegeli, während ein Qualitätsshirt auch nach x-mal Waschen noch getragen werden könne. Neben Zimmerli heissen seine Direktabnehmer Schlossberg (Stoff für Duvets), Zewi (Kinderdecken), Traxler (Biolinie für Coop), Calida (Stoff), Landi (Gnägi-Leibchen) oder auch die Boutique Hofer in Zofingen (Molton).

Finde ich also ausgerechnet hier jenen Produzenten, um dessen Produkte sich junge Menschen, denen nachhaltige Produktion ein Anliegen ist, reissen? Naegeli winkt ab: «Niemand will heute den Preis zahlen, der aus fairer Produktion resultiert, gerade die Jungen nicht. Zwischen Nachhaltigkeit predigen und handeln gibt es einen grossen Unterschied.» Eine zu 100 Prozent angestellte Näherin seines Betriebs verdient 4000 Franken im Monat brutto – sehr viel mehr als das, was Näherinnen in Österreich oder im Tessin verdienen. «Wir zahlen Steuern hier, beschäftigen Leute, halten die Gesetze ein. Wenn wir ein Feuer aus Paletten machen würden», lacht er, «dann würden wir festgenommen. In Thailand aber versickert der Textilmaschinen-Ölwechsel nicht selten im Sand, und beim Färben in Indien laufen vielfach Chemikalien direkt in die Flüsse hinein.» Früher habe seine Firma noch Aufträge der Post, der SBB und der Armee erhalten, aber heute nimmt er schon gar nicht mehr teil an staatlichen Ausschreibungen, das sei verlorene Zeit – auch die Armee lasse lieber im Ausland produzieren. Der Preis mache bei einer Ausschreibung rund 80 Prozent des Entscheids aus, sagt Naegeli, die Ökologie sei weit weniger wichtig.

Politisch vertreten fühlt sich Naegeli weder von den Grünen noch von der SVP. Nein, Subventionen wolle er keine, im Gegenteil, seine Firma leide unter dieser Art der Marktverzerrung. Er befürwortet hingegen höhere Zölle für Textilimporte, und auch eine bessere Kontrolle von Zertifikaten, die eine Bioproduktion oder eine Produktion in der Schweiz bescheinigen, hielte er für hilfreich. Eine Website hat die Firma keine. Man verkaufe nicht direkt an die Endkunden und halte sich deshalb eher etwas im Hintergrund.

Wein: The Hess Collection Winery, «Cabernet Sauvignon», Mount Veeder, Napa Valley, Kalifornien, 2012.

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