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Johannes Tiefenthaler illustriert von Studio Sirup.

Ein Glas Wein mit

Johannes Tiefenthaler / Co-Gründer Neustark, Bern

 

Eben noch stand Johannes Tiefenthaler im Labor an der ETH Zürich. Nun schreitet er mit Helm und Signalweste durch das Betonwerk der Kibag in Regensdorf. Der 29-Jährige ist der personifizierte Wissens­transfer zwischen Forschung und Wirtschaft. Vorbei an Kieshaufen, Altmetall und Betonmischern führt er mich zu zwei Containern, die mit einem grossen Tank verbunden sind. Um zu erklären, was in diesen Containern passiert, nimmt Tiefenthaler etwas Betongranulat in die Hand. Dieses stammt von einem abgerissenen Gebäude und wurde gerade von einer Maschine zerkleinert. In diesen unscheinbaren Steinen liegt für Tiefenthaler die Zukunft des Bauens.

Tiefenthaler hat es sich mit seiner Firma Neustark zur Aufgabe gemacht, in dem porösen Material Kohlendioxid zu speichern und so der Atmosphäre zu entziehen. Dazu werden die Steine in die Container gekippt. Aus dem angeschlossenen Tank strömt CO2, das aus Kläranlagen stammt. Dieses wird in den Poren der Steine chemisch gebunden. 10 Kilogramm CO2 kann Neustark so in einer Tonne Betongranulat abspeichern, aus dem danach Beton gemacht wird. Das entspricht einer Emissionsreduktion von rund 5 Prozent. Das Endprodukt unterscheidet sich in seinen Eigenschaften kaum von herkömmlichem Recyclingbeton.

Schon als er im Rahmen seines Verfahrenstechnikstudiums an der ETH erstmals an dem Verfahren forschte, erkannte Tiefenthaler dessen Potenzial. «Ich wusste früh, dass ich ein Unternehmen im Bereich CO2-Mineralisierung gründen möchte, weil ich überzeugt war, dass hier relativ schnell eine Umsetzung möglich ist», erzählt er. Durch Zufall begegnete er Valentin Gutknecht, der sich mit dem Thema aus ökonomischer Sicht beschäftigte. 2019 gründeten die beiden Neustark. «Die grösste Herausforderung war, dass wir anfangs in einem kleinen Massstab unterwegs waren.» Viele Betonwerke hätten die Idee gut gefunden, aber das Risiko nicht tragen wollen, das für eine Skalierung nötig war. «Deshalb mussten wir selber ins Risiko ­gehen.» Das Unternehmen investierte in die Entwicklung einer eigenen Anlage, um in grösserem Massstab CO2 zu binden.

Heute arbeiten gut zehn Personen für die Firma. Tiefenthaler ist immer noch als Doktorand am Institut für Energie- und Verfahrenstechnik der ETH angestellt und treibt das Spin-off quasi in seiner Freizeit voran. Vergangenes Jahr haben die beiden Gründer einen grösseren Investor an Bord geholt, um die Expansion des Geschäfts zu finanzieren. Inzwischen arbeitet Neustark mit Betonwerken in der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden und Italien zusammen. Die Anlagen des Unternehmens sind mobil, sie kommen jeweils für einige Wochen in ein Betonwerk und verarbeiten Abbruchbeton, bevor sie ins nächste Werk transportiert werden.

Geld verdient Neustark auf zwei Arten: Entweder bezahlt das Betonwerk einen Aufpreis für die Behandlung und kann den Beton dafür als Premiumprodukt verkaufen. Oder Unternehmen und Privatpersonen erwerben ein Zertifikat für die negative Emission und können so ihre Klimabilanz verbessern. Mit dem neuen CO2-Gesetz, das demnächst zur Abstimmung kommt, würde diese Möglichkeit auch den Treibstoffimporteuren eröffnet, was die potentielle Kundschaft von Neustark deutlich vergrössern würde.

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten in der Klimaschutzdiskussion, dass wir intensiv über die Höhe einer Ticketabgabe für den Flugverkehr streiten, der für 2,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, während die Betonproduktion mit 7 Prozent kaum Beachtung findet. «Es gibt eben Dinge, die plakativ sind, und andere, die schwieriger zu kommunizieren sind», sagt Tiefenthaler diplomatisch. Ein Faktor könnte auch sein, dass der Entzug von CO2 aus der Atmosphäre von manchen Klima­aktivisten als billiger Ausweg verachtet wird, der das Grundproblem – die Emission – nicht zum Verschwinden bringe. Tiefenthaler widerspricht: «Wir sind nicht mehr an einem Punkt, an dem wir entweder die Emissionen reduzieren oder CO2 speichern können. Wir müssen beides machen, sonst kommen wir nirgends hin.»

Gegenwärtig kann Neustark mehrere Hundert Tonnen CO2 pro Jahr speichern. Tiefenthaler hat aber grössere Ziele: Bis 2025 will das Unternehmen Beton auf den Markt bringen, der das CO2 nicht nur teilweise einspart, sondern unter dem Strich emissionsfrei ist. Auf dem Weg dahin dürften für den ETH-Doktoranden noch einige Überstunden anfallen


Wein: Davide Cadenazzi, «Punta Rossa», Ticino DOC, 2016 (Merlot)

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