Ein Glas Wein
mit Hans Georg Hildebrandt
H.G. Hildebrandt ist Gründer des Tonic-Water-Herstellers Gents.
Hans Georg Hildebrandt isst und trinkt gerne, mag Design und die Verführungskraft frischer Ideen. Er verbringt ausserdem viel Zeit in Spanien. Dort beobachtete er vor Jahren, wie der Gin die Bars Barcelonas oder Madrids zu erobern begann und die Herzen der Nachtmenschen: immer mehr Variationen des Wacholderschnapses in immer schöneren Fläschchen schmückten die Theken der Lokale. In England, fiel Hildebrandt auf, stiegen die Absätze des jahrhundertealten Plymouth Gin plötzlich wie eine Fieberkurve an. Und noch etwas stellte Hildebrandt fest, wie er heute sagt: «Selbst der raffinierteste Gin schmeckt mit Schweppes halt einfach nach Schweppes.» Der Publizist und Gastrokritiker beschloss, etwas zu versuchen: sein eigenes Tonic Water zu verkaufen, hergestellt in der Schweiz.
Ich treffe Hildebrandt in einem kleinen, feinen Restaurant in einer Seitengasse der Zürcher Langstrasse. Der Ort passt: Schmutz, Lärm, Leben und hinter den schlichten altmodischen Fassaden einige der besten Küchen der Stadt. Mit einem Tonic-Water-Hersteller lange über Wein zu sprechen, halte ich für unanständig, also lasse ich ihn aussuchen. Er wählt einen schlichten Chardonnay, kühl und einfach. Wir werden nicht viel Zeit haben. Das sei eine der prägendsten Erfahrungen als Unternehmer, sagt Hildebrandt an diesem Spätsommerabend – man macht immer wieder Fehler, und es fehlt an allen Ecken und Enden an Zeit. Aber man lernt und wächst.
Hildebrandt tüftelte in seiner Küche an einem besonderen Tonic Water. Und mischte schliesslich Enzian bei, bezogen von einem lokalen Apotheker. Er fand einen Familienbetrieb auf dem Land, der bereit war, ihm sein Konzentrat in Kleinstmengen herzustellen. Er fand die richtigen Flaschen für sein Produkt, einen Abfüllbetrieb, einen Etikettendrucker, einen Kartonlieferanten in Italien. «Man arbeitet immer mit vielen verschiedenen Partnern zusammen», sagt Hildebrandt. «Darum kann auch oft so vieles schiefgehen.» 2012 ging «Gents Swiss Roots Tonic Water» in Produktion. Und Hildebrandt lieferte seine ersten 5000 Flaschen aus, mit Veloanhänger oder Privatauto.
Heute, fünf Jahre später, verkauft Gents bereits jährlich rund 700 000 Flaschen. Zum ursprünglichen «Swiss Roots Tonic Water» sind weitere Produkte hinzugekommen: Ginger Brew, Ginger Ale, Bitter Lemon, ein Vermouth nach altem Schweizer Rezept, veredelt mit Wein von der Zürcher Goldküste und aus Südfrankreich. Gents wird in Deutschland, Frankreich und Dänemark verkauft. Schon «sehr cool» sei es, sagt Hildebrandt, wenn auf Instagram junge Schweden Fotos teilten von sich auf einer sonnigen Ostseeinsel, in der Hand ein Drink mit Gents. Auch am Zürcher Filmfestival trinkt man inzwischen Gents; in vielen urbanen Lokalen stehen die schlichten Fläschchen hinter der Theke. Ihre Etikette ziert ein wunderbares romantisches Luftschiff, entworfen von der Grafikerin Nina Thoenen, die auch Hildebrandts Ehefrau ist. Für sie beide, bemerkt Hildebrandt einmal, sei die Anfangszeit von Gents nicht einfach gewesen. Das Paar hat zwei Kinder, auch Thoenen ist selbständige Unternehmerin.
Es wird nun langsam dunkel an der Zürcher Langstrasse, die Strassen und Bars füllen sich. Wer einen Abend oder eine Nacht hier verbringt, wird trotz allem Schmutz den Reichtum dieser Stadt zu sehen bekommen: alles ist hier teuer – die Drinks, die Autos, die käufliche Liebe. Dazwischen überleben seit Jahrzehnten Traditionsgeschäfte, die Haushaltwaren, Schuhe, Spielwaren oder Papeterieartikel verkaufen. In diesem Quartier wird gehandelt wie an wenigen Orten in der Schweiz, und in diesen lauten Strassen wohnen anonym einige der reichsten Unternehmer Zürichs – und wenn nicht, dann besitzen sie hier wenigstens Häuser.
Er möge dieses Land sehr, sagt Hildebrandt. «Was ich gemacht habe, geht so sonst in kaum einem entwickelten Staat.» An den meisten Orten müssten Produzenten erst beweisen, dass ihre Ware nicht schädlich sei, und teure Bewilligungen einholen. «In der Schweiz geht der Staat grundsätzlich davon aus, dass ein Unternehmer nichts Böses will, und lässt ihn erst mal machen.» Der Einfluss etablierter Lobbies sei noch immer kleiner als anderswo; die bürokratischen Hürden kleiner.
Die Zeit ist um, die Flasche Chardonnay leer – «gar nicht schlecht und nicht so vanillig wie sonst», fand der Kritiker, und wir verabschieden uns. Kurz darauf öffne ich unten an der Limmat eines der Fläschchen, das mir der Patron zum Probieren gab. Ich würde gerne schreiben, dass es fürchterlich war, um meine Unabhängigkeit zu beweisen. Das war es aber leider ganz und gar nicht.
Wein: Weedenborn, «Chardonnay Westhofen», Rheinhessen, 2015 (Chardonnay).