Ein Fünftel und ein bisschen mehr
Wozu sind Dada Damen da? Dada war eine Teamarbeit mit Zickzack-Taktik und ohne gemeinsame Strategie. Befreit oder lädiert haben die Dada Damen höchstens die bildnerische Poetik, nicht aber die Geschlechterrollen. Frauen haben damals viel Kunst geschaffen, aber wenig hinterlassen.
War Dada der, die oder das? Dada war übernational und übereitel, ja, vielleicht sogar «bünzlig» und stur, trotz dem grossen Anarcho-Feuerwerk. Chronologisch gesehen, bedeutete die wahre Dada-Zeit für alle Beteiligten bloss ein kurzes, wenn auch heftiges Kapitel des künstlerischen Daseins –, ob Hans Arp oder Sophie Taeuber, keiner und keine starb als Dadaist. Aus allen Himmelsrichtungen stammend und durch Zeitnöte gedrängt, stürzten sich die damaligen Aufstandsanwärter kopfüber in das grausam glamouröse Abenteuer und tauchten dann an anderen Kunstufern wieder auf.
Auf einer Tafel der Ehrenpräsidenten, 1920 im Dada-Almanach publiziert, sind unter den 75 Namen auch 15 Frauen zu finden, ein Fünftel, eine pikante Minderheit. Das rare Dokument dadaistischer Hierarchie-Gläubigkeit bestätigt lediglich, was bereits die Zeitgenossen wussten: Dada-Gemeinden waren keine Feminate. Aktive weibliche Anwesenheit war weder verboten noch besonders gesucht. Man brauchte sie aber, mochte sie sogar und – neuer Mensch hin oder her – nützte sie patriarchalisch aus. Die Männer haben gekämpft, die Frauen Konflikte ausgetragen. Selbstverständlich fortschrittlich und emanzipiert, machten die Damen diszipliniert mit. Nur selten liessen sie ihre Lovers, Lebensgefährten, Ehegatten und Idole im Stich oder versuchten, die Richtigkeit eines Bonmots von Kurt Schwitters zu beweisen: «…sie ist schon immer für ihn da, wenn sie ihn braucht». Die zweckmässige Sehnsucht gedieh in beiden Lagern.
Schnell etablierten sich in den Dada-Clubs weibliche Betätigungen oder Verhaltensmuster, die seltsamerweise den allgemeinen, bürgerlichen Wunschbildern entsprachen. Spezifisch dadaistisch waren sie also nicht, nur wirkte ihre Umsetzung provokativer und direkter als bei den konventionellen Alltags-Strukturen. Dada hat die Fotomontage, nicht die ménage à trois erfunden, doch in die Schlagzeilen gelangten die Dadaisten dank angeblich erotischen Skandalen, nicht ihrer Arbeitsweise wegen.
Paradiesvogel, Femme fatale oder Nonne…
Wie bei jedem Vergnügen – und das war Dada zweifellos – gab es Anheizerinnen, Täter, Komplizen, Mitläuferinnen und Opfer, die, wie es in der Kunst die Regel war, manchmal sich selbst überlebten. Abgesehen davon durfte eine Dada Dame verschiedene Rollen übernehmen: als dekorative Schönheit vom Paradiesvogel über die Femme fatale bis zur Nonne, die, je nach Bedarf, gesellschaftliche Brücken rein optisch schlagen und zwischen opponierenden Aggressionen vermitteln; als belastungsfähige Werktätige, für Hilfsarbeiten zuständig; als CEO in der Tarnung einer Sekretärin.
Je nach Aufgabe wechselte auch die Anrede. So schrieb Salomon Friedländer, alias Mynona, an Hannah Höch: «…du bist zart wie ein Libellenflügel», während der gleichen Adressatin ihr Liebster und Besitzer Raoul Hausmann prosaisch mitteilte: «…wenn ich wüsste, welche Blusengrösse oder Schuhgrösse Du genau hast, würde ich Dir gerne etwas mitbringen, aber so möchte ich es nicht riskieren. Am 7. bin ich wieder zu Hause…». So unmissverständlich lautete die Geschäftssprache altneuer Sachlichkeit, Hannah, warte und mach, private Gefühle sind unerwünscht.
…Mäzenin , Schutzengel und Dada-Mama
Die höchste Erfolgsquote als Selbstdarstellerinnen unter den Dadaisten war natürlich den Mäzeninnen beziehungsweise den Schutzengeln beschert. Bereits vor den verrückten Zwanzigern haben die entscheidenden, pragmatischen Köpfe der Kunstrevolten begriffen, dass sich die Töchter aus den besten Häusern die grössten Ausschweifungen straflos leisten konnten. Eine unauffällige, Millionen Dollars schwere Lou Arensberg war für «die Sache» wichtiger als die schön verträumte Morphinistin Emmy Hennings, eine Dadaistin der ersten Stunde, die übrigens auf der Ehrenliste der «Präsidenten» fehlt. Reichtum ist in jedem, auch im alternativen Kunstbetrieb herzlich willkommen und kann sogar Begabungsmängel ausgleichen. Ausserdem brauchten die Dadas das probate Netz von Schreibern, Sammlern und Galeristen, was nicht gratis geschah. Sie waren ausgezeichnete Publikumsbeschimpfer und ebenso gute Eigenwerber.
Die Selbständigkeit der Dada Damen beeindruckte und machte Angst: Waren die Kolleginnen gleichberechtigt – oder schon überlegen? Trotz Libertinage und freier Liebe wurde als die wichtigste und höchstgeschätzte weibliche Eigenschaft die Häuslichkeit wieder entdeckt. Sogar bei Sophie Taeuber, die bestimmt nicht unter einem Haushaltstrauma leiden musste, wird immer wieder betont, wie nett sie Tee kochte und servierte. Noch schlimmer erging es Hannah Höch. Bei keinem Text über die einzige Berliner Dadaistin, unter den «Präsidenten» ebenfalls nicht vorhanden, fehlt die Geschichte vom «tüchtigen Mädchen», das für jede Dada-Sitzung «belegte Brötchen zauberte» und mit Bier und Kaffee auftischte. Die Dada-Mannschaft trug Monokel und amerikanisch geschnittene Kleider aus Tweed, die Dada-Mama trug das Geschirr, und die Verwirrung nahm kein Ende.
Die New Yorker Szene glich einer nicht organisierten Dauerparty. Jede Art von Exzentrizität garantierte den freien Eintritt, nirgends sonst waren so viele Schönheiten und so viel Verrücktes zu sehen. Man spielte Schach mit dem omnipräsenten Marcel Duchamp, unterhielt sich mit dem französisch schweigenden Francis Picabia, trank zu viel und lag zu fünft in Duchamps Bett.
Mit Scharlachmantel und Nachthemd
Beatrice Wood, immer gut aussehend, liess sich nicht unterkriegen und pendelte skandalös zwischen Liebhabern, Literatur und Kunst. Die einstige Futuristin Mina Loy, immer in beige und von der schwarz gekleideten Journalistin Djuna Barnes begleitet, behauptete stets, dass ein echter Faux-pas die Schlussfolgerung einer Begabung sein muss, über welche sie bestimmt verfügte. Die Baronin Elsa von Freytag-Loringhoven, als Tochter eines Maurermeisters in Swinemünde geboren, tingelte durch die Feste in einem Scharlachmantel, das Schamhaar glatt rasiert und mit Konservenbüchsen als BH. Sie amüsierten sich bestens, trotz des Kriegs, und konnten nicht ahnen, dass synchron über den Moskauer Arbat ein gewisser Kasimir Malewitsch mit einer Holzkelle in der Brusttasche promenierte und die echte Adelige Natalja Gontscharowa, die Wangen mit Blumen wild bemalt, am Zarenball in einem knallbunten Nachthemd tanzte. Rückblickend verblüfft die Gleichzeitigkeit des Ähnlichen, als ob es doch so etwas wie globale Sensibilität geben würde. Wie dem auch sei, Duchamp und Picabia nahmen die glamourösen Erinnerungen vom Hudson River nach Paris als Erbgut und Nachlass mit. Dank Gala Eluard und der gescheiten Gabrielle Buffet konnten sie dann postdadaistisch und galant weiter brillieren.
In Zürich hingegen, dem eigentlichen Geburtsort von Dada, überraschte nebst einer durch den Krieg bedingten Multinationalität die deutliche Präsenz der Tänzerinnen wie Mary Wigman, Suzanne Perrotet, Maja Chrusecz, Käthe Wulff und Marie Vanselow. Hugo Ball vergass nie, in seinen Tagebuch-Eintragungen übers Cabaret Voltaire «die Laban-Damen» zu erwähnen und schätzte überaus die Darbietungen von Sophie Taeuber, die er begeistert verbal thematisierte: «Sie ist voller Erfindung, Kaprize und Bizarrerie. Ein Tanz voller flirrender Sonne und Glas und von schneidender Schärfe. Jede Geste ist hundertmal gegliedert, scharf, hell, spitz, ihr Körper ist mädchenhaft klug.»
Dada in Deutschland tanzte nicht und konzentrierte den Ehrgeiz auf die Politik. Feuer im Kopf, laut und superengagiert, wollten die jungen Reichen die Prolis über soziale Ungerechtigkeit aufklären und die Weltrevolution predigen – ein wahrhaft dadaistischer Witz. Hannah Höch, von ihrem Liebhaber Hausmann manchmal aus Eifersucht in eine Dachkammer gesperrt, machte ihre Arbeit, las Freud, nicht Marx, schwieg und stand völlig fremd im ganzen Tumult. Angelika Hoerle, Tochter eines Tischlers aus Köln, die ihre politischen Erfahrungen hatte, musste sich mit subtilen, kränklichen Zeichnungen wie ein deplaziertes Aschenbrödel vorkommen. Nach der Lektüre von all den Flugblättern und mit «Oberdada» oder «Dadasoph» signierten Texten werden plötzlich die immer betonten Sarkasmen und Ironien unglaubwürdig. Die Herren zogen in einen bereits verlorenen Klassenkampf. Sie meinten es todernst und liessen nicht einmal der Antikunst einen Spielraum. Dada Deutschland hat sich an der eigenen Wichtigkeit tödlich verschluckt.
Schlüsselfiguren, beinah spurenlos
Die Dada Frauen haben sich meistens gekannt, nie aber etwas zusammen unternommen. Gruppendenken war nicht ihre Sache und die sogenannte Frauensolidarität eher ein gut begründeter Graus, denn sie waren in einer noch härteren, da erotisch motivierten Rivalität als ihre Männer geübt. Sie machten viel Kunst, hinterliessen aber wenige Spuren. Sie waren neugierig, selten aber konzentriert. Was wissen wir über die französische Schriftstellerin Adon Lacroix, als dass sie die erste Frau von Man Ray war und ihrem Mann die Liebe zur Avantgarde einimpfte? Wie sah das Schaffen der Schwedin Greta Knutson aus, die den vielwissenden Schädel ihres schwierigen Partners Tristan Tzara so witzig porträtierte? Wer kennt die Arbeiten von Maria d’Arezzo, die Kontakte zu Dada Zürich pflegte? Waren die Bilder und Theaterkostüme von Mina Loy wirklich so gut wie die Fama? Warum blieb das wunderbare Porträt von Marcel Duchamp mit Weinglas, Vogel, Uhrfedern und Fischköder, welches die Baronin von Freytag-Loringhoven so leichtsinnig kreierte, bloss die einzige, einsam genialische Geste? Gehören die keramischen Beleuchtungskörper von Beatrice Wood zum Kunstgewerbe als bizarre Design-Prototypen? Warum hat Käthe Steinnitz als aktive Künstlerin aufgehört und sich nur als «bildende Organisatorin» betätigt?
Zum Glück hat keine feministische Kunsthistorikerin versucht, die potenziellen Dadaistinnen in einer Ausstellung zu präsentieren. Von der ganzen Dada Damen-Schar können nur zwei Künstlerinnen ein intensives, kontinuierliches Lebenswerk vorweisen: Sophie Taeuber und Hannah Höch. Bei den beiden ist die Dada-Erfahrung zwar initiativ, für das ganze Schaffen aber nicht massgebend. Die Schweizerin, 1943 mit 54 Jahren gestorben, hat sich nie zu ihrer Dada-Vergangenheit geäussert oder äussern wollen. Die Berlinerin, welche als alte Dame spät, aber doch noch alle möglichen Ehrungen erleben durfte, wollte begreiflicherweise vom Dadaismus nichts mehr hören. Sie war und blieb eine konspirative Täterin, eine Schlüsselfigur, von jeder Szene und Kunsthandelsverzwickung ausgegrenzt.
Der Aktionsradius von Sophie Taeuber und Hannah Höch endete nicht mit dem letzten Dada-Almanach und überstrahlte die Kinderkrankheiten einer kurzlebigen Kunst- und Lebensbewegung. Der zweisilbige Begriff katapultierte die zwei Frauen auf eine riskante, ungeschützte Laufbahn – den Rest der Langstrecke mussten sie selbst schaffen. Sie taten es mit Anmut. Libellenflügel sind eben zäh.