Ein Fenster zu einer anderen Zeit
Der ehemalige Nationalratspräsident Ruedi Lustenberger portraitiert Dorforiginale aus seiner Entlebucher Heimat.
Manche Politiker sehen sich nach ihrer Karriere in Bundesbern zu grossen Aufgaben auf der nationalen oder gar internationalen Bühne berufen; sie werden Post-Verwaltungsratspräsident oder Generalsekretär des Europarats. Ruedi Lustenberger hingegen – Schreinermeister, langjähriger CVP-Nationalrat und zeitweise Präsident der grossen Kammer – zog es zurück dorthin, wo er herkam: ins Entlebuch. Nach seinem Rücktritt 2015 ging er vermehrt auf die Jagd und stellte sich für das Amt des Gemeindeammanns zur Verfügung.
Nun hat er die Literatur als neues Betätigungsfeld entdeckt. In dem Buch «De Reinek und de Schryber» portraitiert er 66 «originelle Romooser und Brambödler». Da liest man vom Thalmann Franz («De Reinek»), der den Hof Egelshorn bewirtschaftete, seinen Hund gerne zu einem Schottisch tanzen liess und sich auch mal ein Gläschen zu viel gönnte. Oder vom Berger Gottlieb («Bärger Liebu»), der neben seiner Arbeit als Bauer «der heimliche Star der alten Barmboden-Köhler» war und seinen Hof partout nicht an einen Romooser verkaufen wollte – denn die Romooser sind traditionell katholisch und konservativ, er hingegen war liberaler Protestant.
Lustenberger portraitiert die 66 Persönlichkeiten feinfühlig und mit spürbarer Bewunderung. Das Buch ist ein Fenster zu einer anderen Zeit und einer besonderen Welt.
Zeitgenössischen Ansprüchen an Diversität, Tierschutz oder verantwortungsvollen Alkoholgenuss mag die Auswahl der Portraitierten nicht genügen. Fast alle sind Männer, die meisten Jäger, alle einfache Leute, die sich an kleinen Freuden und Spässen erfreuen. Es ist die Welt von Ruedi Lustenberger und ist sie sein Leben lang geblieben, auch wenn er zwischendurch unter ungeklärten Umständen zum höchsten Schweizer aufgestiegen ist. (lz)