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Ein aargauischer Schatten der Buddenbrooks

Autor Pirmin Meier erzählt, warum der am 13. August gestorbene Industriellensohn und Wirtschaftsanwalt Dr. Thomas Wartmann für Kurt Marti einst ein Hoffnungsträger der 68er war.

Ein aargauischer Schatten der Buddenbrooks
Thomas Wartmann, photographiert von Ilka Marchesi.

Thomas Wartmann, Dr. iur., geboren am 6. Oktober 1945 in Brugg, verstorben nach schwerer Krankheit am 13. August 2013 in Zürich, war ein Schweizer Wirtschaftsanwalt, verantwortlicher Mitverwalter der Firmengruppe einer Industriellendynastie und in jungen Jahren ein Repräsentant der Schweizer 68-er Generation. In seinem Heimatkanton Aargau galt er für eine kurze Zeitspanne als ein Hoffnungsträger der linksliberalen bis linken Schweiz. Thomas Wartmann litt unter dem gleichen Krebs wie sein Bruder Beat, Unternehmer der Firma Wartmann Technology, der im Dezember 2011 verschieden ist. Nachdem Bruder Urs schon 2008 verstorben war, bedeutete dies das Ende der 3. Generation einer Familie, die Deutschschweizer Wirtschaftsgeschichte geschrieben hat.

Was europaweit und in der Schweiz als 68-er-Bewegung bekannt wurde, profilierte sich im ehemaligen Jakobinerkanton Aargau ausnahmsweise nicht mit üblicher helvetischer Verspätung. Im Herbst 1967 stand eine zwischen linksliberal und linksradikal schillernde Frühbewegung im Fokus des Interesses. Das «Team 67» beteiligte sich erstmals an den Nationalratswahlen. Am Eidgenössischen Bettag jenes Jahres verkündete im Bezirk Lenzburg, wo einst Barbarossa Urkunden gezeichnet hatte, ein reformierter Pfarrer von der Kanzel herab: «Würde Moses heute leben, er würde Team 67 wählen!» Es war die Zeit, da das vom Staatsphilosophen Carl Schmitt geprägte Schlagwort «Politische Theologie» von extrem rechts nach links rückte.

 

Das «Team 67» als linksprogressive Brutstätte mit freisinnigem Ursprung

Dem «Team 67» gehörten neben fortschrittlichen, nämlich planungsgläubigen Freisinnigen der profilierteste Redaktor des Badener Tagblattes an, Werner Geissberger, der damalige Schwager von Günter Grass, der wie dieser zeitweilig mit einer Tochter eines bürgerlichen Unternehmers aus Lenzburg verheiratet war; auch der früheste und einflussreichste radikalgrüne Buchautor der Schweiz, Prof. Samuel Mauch, stand dem «Team 67» nahe; dessen Frau kandidierte 1971 für das Team in den Ständerat, wurde SP-Fraktionspräsidentin in Bern und später ein Kind der Familie, Corine Mauch, Stadtpräsidentin von Zürich. Mit in diese bunte Gesellschaft gehörten der spätere SP-Regierungsrat, Publizist und Buchautor Silvio Bircher sowie der Brugger Fabrikantensohn Thomas Wartmann. In juristischen Seminarien artikulierte sich dieser, wie sich Studienkollege Ulrich Siegrist (ex-SVP) erinnert, klar stärker linksrevolutionär als der zu komplexen Analysen neigende Pfarrerssohn Moritz Leuenberger.

Thomas Wartmann war der wohl begabteste aargauische Junglinke von damals und unter den Jüngeren als Vordenker des «Team 67» profiliert. Der Sohn des freisinnigen Nationalrats und Unternehmers Rudolf Wartmann (1902 – 1987) wurde 1969 von keinem Geringeren als dem zeitweilig in Niederlenz tätig gewesenen Pfarrer-Schriftsteller und Karl-Barth-Schüler Kurt Marti (*1921) öffentlich als einer der bedeutendsten Hoffnungsträger der kommenden Generation gehandelt.

Das war keine Kleinigkeit. Um 1968 herrschte auch in traditionellen Kreisen ein eigentlicher Jugendkult, von dem sich sogar die bis anhin hauptsächlich wirtschaftsfreundliche FDP Aargau unter ihrem Vordenker Dr. Rudolf Rohr anstecken liess. Das «Team 67», später «Team Baden», als dessen Nachfolger die heutigen Aargauer Grünen gelten können mit ihrem national profilierten Politiker Geri Müller (Stadtammann von Baden seit 2013), stand damals mit der Freisinnigen Partei in einem Wahlbündnis. Die Geldgeber der Kampagne gingen davon aus, die zum Teil betuchten Junglinken würden mit der Zeit schon noch zum väterlichen Portefeuille heimfinden.

Für die teilweise Richtigkeit wie auch für die Plumpheit dieser zynischen Erwartung steht das Leben des schweizerischen «Linkskapitalisten» und politisch wie fachlich hochbegabten Anwalts Thomas Wartmann. 1974 hatte er in Zürich über ein Thema des kantonalen Gesetzes- und Verfassungsrechts doktoriert, was, wie wir noch sehen werden, für eine bestimmte politische Option Wartmanns noch wichtig werden sollte.

 

Die Buddenbrooks von Brugg

Unter dem Gesichtspunkt eines biographischen Romans könnte die Lebensgeschichte von Thomas Wartmann, nicht unähnlich derjenigen von  Thomas Minder, nach dem Schema von Thomas Manns «Buddenbrooks» abgehandelt werden. Sein Grossvater Rudolf Wartmann der Ältere, geboren 1873 in Bagdad, gehörte nämlich zu den bedeutendsten aargauischen industriellen Firmengründern aus der Zeit, da die Gesellschafter Brown und Boveri (heute ASEA-Brown-Boveri) den endgültigen Durchbruch der Industriellen Revolution im einstigen Rüebliland in Szene setzten.

Die Stahlbaufirma Wartmann in Brugg war mit dieser nachmaligen Weltfirma nicht zu vergleichen, aber wichtig genug, dass der Firmengründer zwischen 1913 und 1925 den Verband der Schweizer Stahlbau- und Brückenbaufirmen präsidierte. Desgleichen die «Handwerkerschule Brugg», womit ein dynamisches Zeichen für das in der Schweiz wichtige «duale» Ausbildungssystem gesetzt wurde: Berufsbildung auf hohem Niveau, notabene massgeblich geprägt durch Eigeninitiative.

In der aargauischen Politik spielte der Grossvater von Thomas Wartmann eine tonangebende Rolle; desgleichen zählte sein Vater zwischen 1961 und 1971 als Nationalrat in Bern zu den Repräsentanten einer damals bedingungslos ernst zu nehmenden Industrielobby.

Waren Grossvater und Vater Wartmann noch Industriepatrons alter Schule, neigte der junge Thomas Wartmann, wie damals nicht wenige Söhne und Töchter aus diesem Milieu, zu Kritik und abweichlerischem, ja oppositionellem Verhalten. Programmatisch formulierte er seine Überzeugungen in den von Werner Geissberger redigierten, dem Badener Tagblatt beigelegten «Aargauer Blättern», und zwar dergestalt, dass es mit Kurt Marti auch einem der bedeutendsten Schweizer Schriftsteller der damaligen Zeit auffiel.

 

«Opposition in der Schweiz»

Im Unterschied jedoch zu den Zürcher 68-ern neigte Thomas Wartmann nicht zu marxistischem Rabaukentum und kindischem aktionistischem Linksextremismus. In den Vordergrund seiner Überlegungen stellte er Gedanken über Opposition in der Schweiz. Dies zu einer Zeit, da im Nationalrat allenfalls der parteilose Historiker Marcel Beck es sich herausnahm, das allgemeine Kritikverbot an einem totaldemokratischen System zu hinterfragen. Beck schrieb ebenfalls gern im «Badener Tagblatt».

Noch bei der Wahl von Bundesrat Rudolf Gnägi (SVP) 1965 ging es in Bern eher liturgisch als politisch zu. Frommes Schweigen bei Bundesratswahlen galt damals als ein Gebot des sogenannten «staatsbürgerlichen» Anstandes, welcher publizistisch von links von Kurt Marti, von rechts dann von Nationalrat James Schwarzenbach angezweifelt wurde. Nicht zu vergessen Jean Ziegler, dessen politische Laufbahn zu jener Zeit ihren Anfang nahm. Der Publizist Niklaus Meienberg porträtierte derweil sprachgewaltig und originell Fossilien des Schweizer Parlamentarismus, so den witzigen und grundklugen Ständerat von Appenzell-Innerrhoden, Raymond Broger.

In den «Aargauer Blättern» des Jahrgangs 1969 teilte Thomas Wartmann dem damaligen Pseudo-Jugendkult der Parteien eine Absage: «In der Tat: Jugendliche sind sehr willkommen in den politischen Parteien, man ist schnell bereit, sie in ein lokales Gremium zu wählen. Der Parteihierarchie gemäss werden auf dieser Stufe vor allem lokal- und gemeindepolitische Probleme erörtert. Dem jungen Politiker steht es völlig frei, sich in der Standortfrage einer Kläranlage in krasse Opposition zur Mehrheit zu setzen… Grundsätzliches muss dabei nicht erörtert werden. Die Mitarbeit von jungen Leuten in diesem Rahmen ist durchaus möglich und von den Parteien schon des optischen Eindrucks wegen erwünscht.»

Nach diesem Introitus liess der junge Wartmann die Katze der 68-er aus dem Sack: «Wie steht es mit den Diskussionen, die Grundfragen betreffen und nicht Halt machen vor dem eingeübten Verhalten derjenigen, deren erstes Anliegen die Erhaltung des Status quo ist?»

Kurt Marti gestand in der Zeitschrift «Reformatio» postwendend seine Begeisterung ein für den jungen Artikelschreiber Thomas Wartmann aus Brugg. Der Dichterpfarrer zitierte die Stelle, wo Wartmann im Sinne der 68-er die repressive Toleranz des Establishments, jedoch noch frei von diesen Schlagworten, unter die Lupe seiner Kritik nimmt. «So bleibt der Weg aussenherum, der um einiges weniger simpel ist, als der Weg durch die Partei. Das heisst ausserdem: verzichten auf all jene selbstverständlichen Privilegien, die der Mann der Partei geniesst, die unbegrenzte Möglichkeit, seine Partei zu verbreiten, die Gunst der Grossen im Rücken zu haben, nach allen Seiten abgesichert zu sein.» Im Gegensatz zu dieser opportunistischen Haltung appellierte Wartmann an «die Möglichkeit, mehr Menschen in Frage zu stellen, über Neues zu denken, unverpflichtet zu sein.»

Dazu kommentierte Kurt Marti: «Wartmann wählt also den Weg aussenherum, den der ausserparlamentarischen oder ausserparteilichen Opposition. Andere, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie er, ziehen sich in die Indifferenz zurück.»

Soweit die Perspektive von 1969. Wie weit ist Thomas Wartmann diesen Weg «aussenherum» tatsächlich gegangen? Wie weit traf für ihn der Satz von Karl Marx zu, dass nämlich «das Sein (=Geld, Klassengebundenheit) das Bewusstsein» bestimmt?

 

Verpasste Karriere in der «Provinz»

Die publizistisch verkündete Aussichtslosigkeit des im Parteiensystem nicht Integrierten erwies sich in seinem Heimatkanton Aargau als nicht ganz so schlimm wie programmiert. 1973 liess sich Wartmann in der Rechtsabteilung des Aargauischen Baudepartements anstellen, ausgerechnet beim Strassenbauapostel Regierungsrat Jörg Ursprung (SVP), im Gegensatz zu seinem Nachfolger Ulrich Siegrist einem der Gewerbelobby verpflichteten Politiker. Dass der junge Rechtskonsulent hier lediglich Öl einspritzen konnte in ein politisches Getriebe, das kaum seinen Perspektiven entsprach, wurde ihm bald klar. Wohl darum bewarb er sich in Konkurrenz zum freisinnigen Juristen Heinz Suter (gestorben am 28. Juli 2013 in Ulan Bator) als Sekretär des Aargauischen Verfassungsrates. Die Totalrevision der Aargauischen Kantonsverfassung galt damals als eine Art Ouvertüre zur Bundesrevision, in welche Staatsrechtler Max Imboden und Bundesrat Kurt Furgler visionäre Hoffnungen setzten. Der Schreiber dieser Studie war damals Mitglied des verfassungsrätlichen Präsidialbüros, welches dem Aargauer Regierungsrat seinen Wahlvorschlag zur Genehmigung vorzulegen hatte. Die Entscheidung fiel mit sechs zu drei Stimmen zugunsten von Heinz Suter als Ratssekretär. Der Gewählte, später Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, ist auf einer Reise in die Mongolei zwei Wochen vor Wartmann verstorben.

Nach seiner Nichtwahl zum Manager einer Verfassungsgebenden Versammlung entfloh Wartmann aus dem Baudepartement in die Gerichtsschreiberei von Bremgarten, der Geburtsstadt von Reformator Heinrich Bullinger. Das Städtchen, das sich im Sommer 2013 wegen einer als «Apartheid» ausgelegten Bestimmung betreffend eines öffentlichen Badeverbots für Asylbewerber lächerlich gemacht hat, war zu jener Zeit erst recht ein aargauisches Krähwinkel. Wartmann sollte hier abermals keine Bleibe finden.

 

«Amerika, du hast es besser» aus linker Sicht

Wie nicht wenige Mitglieder des «Team 67» und andere Schweizer aus der von Bürgerlichen gern als «Schickeria» verhöhnten damaligen Neulinken verstand sich Thomas Wartmann als liberal im amerikanischen Sinne. Darum gehörte, wie schon bei den Mauchs, ein Amerikaaufenthalt zur Grundausstattung einer progressiven Biographie. Hier war mit den Leuten Kontakt aufzunehmen, auf die es für den Fortschritt der Menschheit ankam; natürlich nicht mit bornierten Wählern von Goldwater, Nixon und Reagan. Das Mass aller Dinge war damals der demokratische Senator Fulbright, der für die Linken aller westlichen Länder wegweisende Kritiker US-amerikanischer Machtarroganz.

Zu den Amerikaerweckten von anno dazumal gehörte auch Wartmanns spätere Frau Regine Aeppli, Zürcher Bildungsdirektorin, welche im Juli 2013 in der Aula der Universität Zürich vor Jugendparlamentariern von ihren Erfahrungen in Pennsylvania berichtete, wie sie durch den Protest gegen den Vietnamkrieg wie auch die Schwarzenbefreiung politisiert worden sei. Auch sie stammte aus einer gut bürgerlichen Familie. Auch in Amerika war linksprogressive Politisierung bei Kindern der finanziellen und/oder bildungsmässigen Oberschicht weit verbreitet, was nicht nur das spezielle Beispiel der Milliardärstochter Patricia Hearst illustriert, die wie der deutsche «Linkskapitalist» Ian Philipp Reemtsma die Erfahrung einer Entführung gemacht hat. Linksmillionäre sind in Amerika und eigentlich auch in Schweden oder Deutschland, dort etwa Berthold Beitz, weniger exotisch, als man denkt.

In der Phase, da in der SP Schweiz zum Teil auch wegen dem Einfluss der 68-er die konkrete Arbeiterschaft in dramatischem Umfang an Repräsentanz verlor, entwickelte sich in diesem politischen Segment auch hierzulande ein früher undenkbarer progressiver Millionärsflügel.

Diesen repräsentierte das Ehepaar Wartmann-Aeppli fast bilderbuchmässig. Was den Kontakt zur Arbeiterschaft betraf, hat Thomas Wartmann diesen aus Überzeugung gepflegt, zum Beispiel als Anwalt in der Rechtsberatung des von seiner Frau präsidierten Schweizer Arbeiterhilfswerks. Der verächtliche Ausdruck «Cüplisozialist» würde seinem tatsächlichen Engagement nicht gerecht werden. Ohnehin hat sich Thomas Wartmann seit Jahrzehnten parteipolitisch nicht mehr öffentlich betätigt, wofür es geschäftliche und private Gründe gab.

 

Konkret zu lebende Frauenförderung

Die wichtigsten Anliegen der 68-er wie auch der Grünen waren indes nur bedingt sozialer und umweltpolitischer Natur. Im Vordergrund stand die gesellschaftspolitische Veränderung. Die effektivste Revolution bei der progressiven Schweizer Linken betraf, neben konsequenter Privilegierung des öffentlichen Dienstes sowie Schlagworten betreffend der Befreiung der Homosexuellen und allerlei weiteren Solidaritäten, die Frauenförderung. Wartmann hat den letzteren Punkt nicht nur verbal vertreten. Strategisches politisches Denken, zu dem er in überdurchschnittlichem Ausmass fähig war, fand beim Hauptverantwortlichen der Wartmann Immobilien AG nur noch im Hintergrund statt.

Wer in den sechziger und siebziger Jahren Thomas Wartmann politisch kennenlernte, hätte ihm – etwa im Vergleich zu Moritz Leuenberger – in Umweltfragen und bei Problemen der Verwaltungsführung in wohl noch dynamischerem Ausmass, als es beim Zürcher gemäss seinem Dauerkritiker Bodenmann der Fall war, das Format eines künftigen linken Bundesrates zugetraut. Es sollte jedoch nicht so kommen. Die Tätigkeit als Wirtschaftsanwalt, als Verwaltungsrat der Wartmann-Immobilien und Aktivitäten im Erdölbereich der Wartmannschen Tochtergesellschaften Tanklager Oberbipp AG und Deroil SA in Romont sowie mannigfaltige weitere Wirtschaftsmandate in Übernahme des Familienimperiums schienen vom äusseren Eindruck besser zu Marc Rich als zu Willi Ritschard zu passen. Eine aktuelle Photographie der «Wartmann-Holding» mit Thomas Wartmann und weiteren Wartmännern trägt den Übertitel: «Unser Credo: Stabilität und Kontinuität». So hätte sich der bald 93-jährige Kurt Marti das «Credo» seines einstigen Hoffnungsträgers dann wohl doch nicht vorgestellt.

Im Sinne konkretester Frauenförderung scheint offenkundig, dass das politische Talent Thomas Wartmann diesen Bereich seiner Persönlichkeit in den ungefähr letzten 25 Jahren seines Lebens nicht mehr praktiziert hat. Während sich Wartmann als Wirtschaftsanwalt betätigte, engagierte sich seine Frau im Nationalrat etwa an der Seite von Jean Ziegler und als Bildungsdirektorin mit besonderem kulturellem Interesse, welches Gatte Thomas als langjähriger Verwaltungsratspräsident der Zürcher Neumarktbühne unterstrich.

Als  Millionäre mit linkem Hintergrund kam das Ehepaar beim Kauf zweier früher der Stadt gehörenden Wohnungen für insgesamt sieben Millionen Franken aufgrund von Recherchen der «Weltwoche» in die Kritik. Für so viel Geld hätte der mit öffentlicher Unterstützung von Frau Aeppli entlassene Medizinhistoriker Christoph Mörgeli gemäss seinem Monatslohn von Fr. 6797.70 sein umstrittenes Museum samt Lehrauftrag rund 85 Jahre lang unterhalten müssen. Für Zürichs globalisierte Verhältnisse repräsentierten diese Dimensionen im Raum Seefeld jedoch Normalität.

 

Die verpassten Chancen der 68er

Das Ableben eines einstigen Hoffnungsträgers gibt auf spezielle Weise zu denken. Er war wohl originaler als Thomas Held, der nicht mehr auf «früher» angesprochen werden will, ein Repräsentant seiner Generation. Er hat es zu einer beeindruckenden Lebensleistung gebracht, die hier nicht kritisiert werden muss. Hoffnungen, wie sie Kurt Marti andeutete, konnte er nicht erfüllen. Die 68-er haben sich trotz der Diktatorenbilder, die bei Maiumzügen und Demonstrationen herumgetragen wurden, aus heutiger Sicht weniger blamiert als etwa der Verleger des Badener Tagblatt im Rückblick auf seine Aktivitäten im Umfeld der Nationalen Front in Baden 1933. Entlastend war für die 68-er auch, dass ihre Träume, ausser in Vietnam, wo heute kaum einer von ihnen Ferien machen will, nicht in Erfüllung gingen. Die Kritik sollte jedoch nicht bei längst erledigten politischen Irrtümern ansetzen. Eher gibt der Gedanke an eine Generation zu denken, die bessere Chancen hatte als fast alle früheren und die doch erbärmlich wenige Pioniere und wirklich mutige Menschen hervorgebracht hat.

 

Vergleich zu Meienberg

In diesem Zusammenhang wäre es nicht richtig, im Vergleich zum «Linkskapitalisten» Wartmann etwa Niklaus Meienberg als letztverbliebenen Helden der damaligen Epoche zur Denkmalgestalt zu erheben. Wartmann hatte mehr Anstand, bessere Manieren, verfügte über einen strategischen gesellschaftspolitischen Durchblick und war vor allem nicht der Macho und Egozentriker, der wie Meienberg nicht mal davor zurückschreckte, einer erfolgreichen Schriftstellerkollegin zu unterstellen, sie habe sich bei ihrem Verleger hochgeschlafen. Überdies wurde Meienberg in einem der fragwürdigsten Artikel in der Geschichte der NZZ kurz vor seinem Tod klar irrtümlich zur linksradikalen Abschussfigur stilisiert, analog zu einer Fangemeinde, die zu Projektionen neigt. Meienberg hatte Feindbilder, aber eine konsequente Ideologie gab es bei ihm nicht.

Selber habe ich mich mit Meienberg gestritten, während ich mich für Wartmann wenigstens einmal in meinem Leben, allerdings vergeblich, konkret verwendet habe. Das Sekretariat des aargauischen Verfassungsrates, eine Guillotine für politische Visionen, hätte ihn  wenig beglücken können. Im Vergleich zur Saftwurzel Meienberg war Wartmann, im Geist des von seiner Frau unlängst zitierten Max Weber, ein spröder Protestant; verfügte nicht über dessen polemische Feder. Charakterlich aber könnte Wartmann nicht nur Meienberg, auch Max Frisch einiges voraus gehabt haben, sofern man anstelle von frauenfreundlicher Buchstabenideologie den heute zumal von den Linken geforderten Umgang mit dem weiblichen Geschlecht als Kriterium gelten lässt. 

 

Lebensentwurf blieb Fragment

Dabei war Wartmann auch nicht der Mann, der unverfroren den Sprung vom Mehrfachmillionär zum Milliardär geschafft hätte, wofür im Aargau die Basis womöglich vorhanden gewesen wäre. Andererseits ist er noch viel weniger der beste und tüchtigste Linkspolitiker der Schweizer 68er Generation geworden. Die Begabung wäre wohl unzweifelhaft vorhanden gewesen. Ein einst unerhört vielversprechender Lebensentwurf scheint in vielem Fragment geblieben zu sein. 

Ein hochgebildeter Mensch der europäischen Oberschicht, mit teilweise vergleichbaren Idealen wie Thomas Wartmann, nur auf unschweizerische Weise mutiger und weniger an Holdings und dergleichen gebunden, war Vaclav Havel. Das Motto zu Wartmanns Todesanzeige stammt aus d er Feder des tschechischen Jahrhundertautors und Politikers: «Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.» 

Thomas Wartmann hinterlässt neben seiner Gattin Regine Aeppli den Sohn David und die Tochter Julia. Die Stätte der Abdankung am 22. August ist die Kirche St. Peter in Zürich mit dem riesigen Zifferblatt, die einstige Wirkungsstätte von Johann Caspar Lavater. Der 1790 begeisterte Anhänger der Französischen Revolution wurde 1801 von der verirrten Kugel eines napoleonischen Soldaten getroffen. Symbolisch für die oft fatale Verquickung unserer Träume mit unserem Schicksal. Lavater erlebte einige seiner glücklichsten Stunden bei der Helvetischen Gesellschaft in Bad Schinznach, unweit des Städtchens Brugg, wo Thomas Wartmann, der Schatten eines aargauischen Buddenbrook, das Licht der Welt erblickt hat. Er war auf seine Weise ein repräsentativer Schweizer unserer Zeit.

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