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Eigenverantwortung ist kein Verbrechen
Philipp Zumbühl, zvg.

Eigenverantwortung ist kein Verbrechen

Das Aufsplitten von Pensionskassenguthaben wird immer wieder kritisiert. Dabei ist es eine legitime Reaktion auf die Schwächen des Vorsorgesystems.

Die berufliche Vorsorge ist an den Arbeitgeber gebunden. Wer den Job wechselt, muss das Geld aus der Pensionskasse mitnehmen. Ist man vorübergehend nicht angestellt, kann man sich das PK-Guthaben auf ein Freizügigkeitskonto auszahlen lassen. So bleibt es im Vorsorgekreis erhalten. Auch eine Anlage in Wertschriften ist möglich. Sie erfreut sich sogar zunehmender Beliebtheit.

Die Leute nehmen damit ihre Vorsorge selber in die Hand. Sie investieren ihre Pensionskassengelder ganz oder teilweise in Wertschriften, weil sie davon überzeugt sind, dass sie so mehr herausholen können als mit der teilweise mickrigen Verzinsung in einer Pensionskasse. Dabei – und das ist ganz wichtig – tragen sie auch das Risiko selbst, falls es anders kommen sollte.

Einige dieser Personen teilen ihre Freizügigkeitsleistung sogar auf zwei unterschiedliche Einrichtungen auf (sogenanntes Splitting). Sie gewinnen so an Flexibilität. Sie können einen Teil auf einem Freizügigkeitskonto belassen und den anderen investieren.

Auch wenn es um die Pensionierung geht, hat das Splitting Vorteile. Zum einen ist man flexibler bei der Aufteilung der Bezüge, zum anderen kann man unter Umständen von einer tieferen Bezugssteuer profitieren. Nachträglich, das heisst nach der Auszahlung aus der Pensionskasse, kann ein Freizügigkeitskonto nicht mehr auf zwei Konten aufgeteilt werden. Abgesehen vom Bezug für Wohneigentum muss immer der gesamte Betrag auf einmal bezogen werden.

Aus der Balance

Einigen Politikern und Beamten ist das Vorgehen, sich selbstbestimmt um seine Vorsorge zu kümmern, jedoch ein Dorn im Auge. Diese Kritik ist ein Zeichen von Schwäche. Angenommen, die berufliche Vorsorge wäre gut aufgestellt, fair und attraktiv. Dann käme es niemandem in den Sinn, es als Problem anzusehen, wenn Leute die ehemaligen Pensionskassengelder selbständig und auf eigenes Risiko verwalten wollten. Sollen sie doch!

Was steckt also dahinter? Es ist relativ einfach. Der obligatorische Teil der beruflichen Vorsorge ist in Schieflage. Einnahmen und Ausgaben sind aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung nicht mehr im Lot. Und wenn Einnahmen und Ausgaben nicht im Lot sind, muss irgendjemand die Zeche bezahlen: entweder durch eine zu tiefe Verzinsung der Altersguthaben oder durch eine Quersubventionierung von der einen Versichertengruppe zur anderen. Man versucht also, die Schäfchen beisammenzuhalten. Alle, die das Boot verlassen, können das System zusätzlich schwächen.

So weit, so verständlich. Doch warum geht man die Probleme, welche die berufliche Vorsorge anscheinend hat, nicht einfach an und löst sie? Um das zu verstehen, müssen wir etwas ausholen.

Ursprünglich hatte der Bundesrat die Kompetenz, die entscheidende Stellschraube im BVG-System, den minimalen Rentenumwandlungssatz, anzupassen. Bei Einführung der beruflichen Vorsorge in der Schweiz war klar, dass dies kein politischer Entscheid sein darf. Er muss faktenbasiert erfolgen, «unter Berücksichtigung der anerkannten technischen Grundlagen», wie in Artikel 14 des Gesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) von 1982 stand. Logisch, oder?

Spielball der Politik

Aber dann kam es anders. Der Bundesrat macht nichts. Geschlagene 20 Jahre lang blieb er untätig und tastete den Umwandlungssatz von 7,2 Prozent nicht ein einziges Mal an. Wir können nicht sagen, warum er nichts gemacht hat. Aber wir kennen die Folgen seiner Untätigkeit. Mit der ersten BVG-Revision wurde der Bundesrat entmachtet. Seit dem 1. Januar 2005 steht der Umwandlungssatz im Gesetz und nicht mehr in der bundesrätlichen Verordnung. Seither beträgt er 6,8 Prozent. Für 100 000 Franken Altersguthaben gibt es 6800 Franken Rente pro Jahr. Und das Entscheidende: Im Gegensatz zu Verordnungsänderungen kann gegen Gesetzesänderungen das Referendum ergriffen werden. Die berufliche Vorsorge wurde zum Spielball der Politik.

Diese Politisierung ist der Grund, dass es zum Reformstau in der zweiten Säule unseres Vorsorgesystems gekommen ist. Zuerst hatte der Bundesrat seine Verantwortung nicht wahrgenommen. Und dann wurde der Umwandlungssatz ins Gesetz geschrieben – vermutlich um die Stimmbürger zu besänftigen und um die bisher einzige Anpassung des Umwandlungssatzes von 7,2 auf 6,8 Prozent in trockene Tücher zu bringen. Ein Pyrrhussieg, denn diesem Erfolg wurde die weitere Reformfähigkeit der beruflichen Vorsorge endgültig geopfert.

Parallelen zum Finanzausgleich

Naheliegend wäre nun, dass man versucht, diesen Kon­struktionsfehler der beruflichen Vorsorge zu beheben und den Umwandlungssatz wieder zu entpolitisieren.

Ähnliches war nötig, als es um den neuen Finanzausgleich (NFA) ging. Auch dort hatte das Gesetz einen Konstruktionsfehler. Es sah vor, dass die finanziellen Mittel aller Kantone mindestens auf ein gewisses Niveau angehoben werden. Doch weil es mehr Nehmer- als Geberkantone gibt, wurde der Ressourcenausgleich stetig erhöht. Die Krux lag darin, dass es kein maximales Niveau gab, auf das man die Kantone anheben durfte, sondern nur ein minimales.

Erst nachdem die Geberkantone auf die Barrikaden gegangen waren, konnte eine Lösung gefunden werden. Seit 2020 werden die mittelschwächsten Kantone genau auf das gesetzlich vorgesehene Niveau von 86,5 Prozent gehoben, aber nicht mehr nach Belieben darüber hinaus.

Die Ähnlichkeiten zur Situation in der beruflichen Vorsorge sind frappant. In der beruflichen Vorsorge sind die Personen mit mittleren bis tiefen Einkommen in der Mehrzahl, die partout keinen tieferen Umwandlungssatz wollen, obwohl auch sie länger leben und länger Renten beziehen. Andere sollen dafür aufkommen, nicht sie.

Vor diesem Hintergrund ist es nur verständlich, dass da nicht mehr alle mitmachen wollen. Es grenzt an Diebstahl, was innerhalb der zweiten Säule gemacht wird, zumal es sich um die berufliche Vorsorge und nicht die staatliche Vorsorge handelt. In der AHV ist eine Umverteilung legitim, da der soziale Ausgleich zu den Aufgaben des Staates gehört. In der beruflichen Vorsorge ist hingegen kein solches Umverteilungssystem vorgesehen.

Wahlfreiheit für Unternehmen

Zugegeben, wenn der Schlamassel angerichtet ist, ist eine Lösung gar nicht mehr so einfach. Doch wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Unser Vorschlag: Die Unternehmen sollen künftig die Wahl haben zwischen den beiden Modellen, dem bisherigen Modell mit einem gesetzlichen Mindestumwandlungssatz und einem neuen Modell ohne gesetzlichen Mindestumwandlungssatz. Mit dieser Wahlmöglichkeit könnte man die zweite Säule aus den Fängen der Politik befreien und dorthin zurückgeben, wo sie hingehört, in die Entscheidungshoheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Politik ihrerseits könnte definieren, wie ein Wechsel des Modells zu geschehen hat. Sie könnte die flankierenden Massnahmen festlegen.

«Die Unternehmen sollen künftig die Wahl haben zwischen dem

bisherigen Modell mit einem gesetzlichen Mindestumwandlungssatz und einem neuen Modell ohne gesetzlichen Mindestumwandlungssatz.»

Schade, dass ein solcher Lösungsansatz bisher nicht einmal ansatzweise diskutiert wurde. Man muss sich ja nicht gerade der Illusion hingeben, dass der Vorschlag tatsächlich reüssieren würde. Trotzdem wäre es wichtig und wohltuend, würden sich die politischen Parteien dazu äussern müssen. Sie müssten bekennen, ob sie zum schweizerischen Dreisäulensystem mit je einer staatlichen, einer beruflichen und einer privaten Vorsorge stehen. Oder ob sie doch lieber alles verstaatlicht sehen, ohne Abweichler.

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