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Editorial

Adolf Muschg gehört zur Geschichte dieses Magazins. Seinen ersten Essay schrieb der Schriftsteller 1981 über Max Frisch und helvetische Engstirnigkeit, seinen bisher letzten 2003 über den Widersinn der Rechtschreibreform. Muschg ist ein Citoyen, ein unbequemer Geist, ein Autor mit ungeheurem Schreibdrang. Wir haben dieses Jahr über Karl Schmid korrespondiert, und als Muschg Interesse am neuen […]

Adolf Muschg gehört zur Geschichte dieses Magazins. Seinen ersten Essay schrieb der Schriftsteller 1981 über Max Frisch und helvetische Engstirnigkeit, seinen bisher letzten 2003 über den Widersinn der Rechtschreibreform. Muschg ist ein Citoyen, ein unbequemer Geist, ein Autor mit ungeheurem Schreibdrang. Wir haben dieses Jahr über Karl Schmid korrespondiert, und als Muschg Interesse am neuen «Monat» bekundete, war für uns klar: Das gibt ein Treffen. Das gibt ein Streitgespräch! Als wir zum vereinbarten Zeitpunkt in Männedorf eintrafen, hielt uns seine Frau zunächst für Zeugen Jehovas, denen sie den Eintritt strikte verwehrte. Als wir dann doch eintreten durften, erwartete uns Adolf Muschg ganz entspannt auf seiner Terrasse – gerüstet mit Konfuzius. Lesen Sie das grosse Gespräch über das aufstrebende China, digitale Verdummung, Afrika und helvetischen Konservatismus ab S. 72.

Stimmt die Muschgsche Diagnose, ist die Digitalisierung der Anfang vom Ende dessen, was wir bisher unter Kultur verstanden – oder doch einfach die Erweiterung des Kulturplatzes? Gottlieb F. Höpli jedenfalls nennt die in Schweizer Online-Kommentarspalten zur Schau gestellte «Schwarmintelligenz» schlicht «debil» (S. 8), den Nachweis für den Befund liefert ein «Shitstorm», der über unseren Autor René Zeyer hereinbrach, als er sein neues Buch über Armut veröffentlichte (S. 27). Und Bücher, da war doch was? Genau: nicht zuletzt die Literatur selbst sieht sich mit ihrer Digitalisierung konfrontiert. Verleger André Gstettenhofer beobachtet sie mit Gelassenheit und gibt sich überzeugt: Die guten Geschichten werden überleben (S. 83), und echte «Digital Natives» werden gerade erst geboren. Auch Literaturkritiker Björn Hayer erkennt im Internet das Potential für eine neue Freiheit des Ausdrucks und spürt ihr nach (S. 89) – Bestsellerautor Daniel Kehlmann auf S. 92 wiederum hält anonyme Internetdiskussionen generell für unanständig und legt dar, dass das Netz auch menschliche Beziehungen nachhaltig verändern wird.

Argumentiert ein Akteur mit der Bedeutung «nachhaltiger Entwicklung», so ist manchem Zeitgenossen sogleich klar: Der Akteur will Subventionen im Namen höherer Werte, weil er nun mal das Gute im Auge hat. Nun, das ist ein grosses Missverständnis. In Wahrheit stellt «Nachhaltigkeit» ein Kernprinzip liberalen Handelns dar, das sich in den Imperativ übersetzen lässt: Handle so, dass du nicht auf Kosten anderer lebst. Mehr über ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit von Rudolf Wehrli, Peter Forstmoser, Peter Sloterdijk, Stephan Schmidheiny, Martin Bäumle und Antoinette Hunziker-Ebneter im Dossier ab S. 37.

Vor dem Dossier bieten wir ein paar schöne Denkanstösse, u.a. auch für die religiöse Untermauerung – oder Unterminierung? – des kommenden Feierns (unsere Mitarbeiterin Claudia Mäder ab S. 31).

Anregende Lektüre, frohe Festtage und einen guten Rutsch in ein neues Jahr mit uns!

René Scheu

Herausgeber

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