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Editorial

Ausländische Fiskalbehörden haben sich am helvetischen Schutz der finanziellen Privatsphäre nicht die Zähne ausgebissen, wie selbstbewusst auftretende Schweizer Politiker bis vor kurzem gemutmasst haben. Vielmehr hat sich der Bundesrat im Verbund mit grossen einheimischen Finanzinstituten still vom Bankgeheimnis gegenüber ausländischen Kunden verabschiedet. Nun will ausgerechnet ein Bankier den Schutz der finanziellen Privatsphäre in die Bundesverfassung […]

Ausländische Fiskalbehörden haben sich am helvetischen Schutz der finanziellen Privatsphäre nicht die Zähne ausgebissen, wie selbstbewusst auftretende Schweizer Politiker bis vor kurzem gemutmasst haben. Vielmehr hat sich der Bundesrat im Verbund mit grossen einheimischen Finanzinstituten still vom Bankgeheimnis gegenüber ausländischen Kunden verabschiedet. Nun will ausgerechnet ein Bankier den Schutz der finanziellen Privatsphäre in die Bundesverfassung schreiben und spricht – scherzhaft? – von einer «Réduit-Strategie». Ist es ziviler Ungehorsam, der den Unternehmer Thomas Matter antreibt – oder doch eher Geschäftssinn? Und ist das Bankgeheimnis – eigentlich ein Bankkundengeheimnis – mehr als der Fetisch einer heilen helvetischen Republik, die gerade dabei ist, sich abhanden zu kommen? Mehr im grossen Gespräch. – Bankenkritiker René Zeyer liefert eine polemisch-pointierte Sicht auf den Grossbankenplatz Schweiz. Die Situation scheint zerfahren. Warum tun sich Banken und Politik so schwer damit, eine kohärente Position zu beziehen? Wir bleiben dran. In der Juli/August-Ausgabe warten wir mit konstruktiven Vorschlägen zur Zukunft des helvetischen Finanzplatzes auf.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) macht neuerdings mit nur schwer nachvollziehbaren Urteilen von sich reden. Nachdem der EGMR hierzulande lange kein Thema war – die Schweiz trat der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Jahre 1974 bei –, regt sich nun zunehmend Widerstand. Und es stellt sich die Frage: Verstösst der EGMR womöglich gegen die EMRK, die eigene rechtliche Grundlage? Findet mithin eine willkürliche Auslegung der «Menschenrechte» statt, die ihnen letztlich irreversiblen Schaden zufügt? Mehr dazu in der kritischen Bestandesaufnahme des aufstrebenden niederländischen Intellektuellen Thierry Baudet.

Wir trafen Hans Magnus Enzensberger, das grosse deutsche Schriftsteller-Multitalent, im Frühjahr in Ascona. Er war guter Dinge und gewährte uns spontan eine positiv gestimmte Blattkritik. Was er sich noch wünscht? Mehr schräge Texte – zum Beispiel die «Rezension eines Ikea-Katalogs aus poetologischer Sicht». Wir baten ihn lieber um einen Text über Europa. Und haben ihn bekommen. Für «schräg» befinden wir seine kulinarische Reise über den Kontinent nicht – literarisch-schmackhaft ist sie allemal. Mehr zu Bacalhau, Risotto und Fruit Cake in unserem Dossier zu Europa, das einen kritisch-konstruktiven Kontrapunkt zum aktuellen EU-Bashing setzt und voller vielfältiger Überraschungen steckt.

Vielfalt ist nicht nur das Stichwort dieses Dossiers, sondern auch ein Kennzeichen des aktuellen Literaturplatzes Schweiz. Die in den USA lehrende Literaturprofessorin Margrit Zinggeler erklärt, wieso dieser Umstand jüngst vor allem den sinnlich schreibenden Immigranten zu verdanken ist. Die Schriftsteller Michail Schischkin und Francesco Micieli, beides Vertreter dieser Gruppe, flankieren Zinggelers These mit exklusiven literarischen Beiträgen.

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