Editorial
«Slip inside the eye of your mind, don’t you know you might find a better place to play.» Oasis – Don’t Look Back In Anger
Als René Scheu mich 2010 zu den «Monatsheften» nach Zürich holte, hatte ich gerade mein Studium abgeschlossen, ein Dissertationsangebot abgelehnt und mein Erspartes in die Revision meines Opel Corsa investiert – und deshalb nicht mehr genug Geld für einen Parkplatz in der Stadt. Das WG-Zimmer am Klusplatz, das ich bei einer belesenen Anarchistin bezog, die Matheunterricht gab, kostete mich (wir haben das gemeinsam ausgerechnet) 130 Prozent meines Praktikantenlohns – es lag aber praktisch, um den Corsa, der nun auf einem Wanderparkplatz jenseits des Loorenchopfs stand, ab und an von Moos zu befreien.
Innerhalb kürzester Zeit lernte ich als junger Kulturredaktor die Ressentiments des Schweizer Kulturbetriebs gegenüber liberaler Publizistik kennen, mein eigentlicher Job bestand dann zum Glück aber darin, intelligenten Leuten aus Politik, Wirtschaft und Kultur möglichst noch intelligentere Fragen zu stellen: Unvergesslich, wie Hans Magnus Enzensberger mich nach meinem ersten, dreistündigen Interview für die Zeitschrift noch zum opulenten Abendessen bei weiteren Diskussionen auf die Terrasse des Florhofs einlud, wie mir Mario Vargas Llosa ein flammendes Privatplädoyer für einen Liberalismus ohne Adjektiv hielt oder wie der Philosoph und Kommunist Gianni Vattimo neben mir, auf dem Beifahrersitz besagten Corsas, bei heruntergelassenen Scheiben, sausend über die nächtliche A4, italienische Arbeiterlieder durchs Säuliamt posaunte. Noch als vor zwei Jahren der ORF anrief und mir anbot, Einsitz in die Jury zur Vergabe des Bachmannpreises zu nehmen, glaubte ich erst an einen Telefonscherz der Kollegen von der WOZ. Denn: Alles und Nichts, das lag beim «Monat» immer nah beieinander! Ohne diese Zeitschrift hätte ich denn wohl auch nie die Mutter meiner nun drei Kinder kennengelernt, denn erst auf meine – anmassende – Redaktion ihres Textes reagierte sie mit dem Wunsch nach einem klärenden Treffen. Dass sie sich nur davon überzeugen wollte, es tatsächlich mit dem «nächs-ten arroganten Arschloch aus Deutschland» zu tun zu haben, erzählte sie mir erst Jahre danach. Und da war’s zum Glück ja schon zu spät.
Auch den «richtigen Zeitpunkt» für den eigenen Abgang gibt es wohl nicht. Aber es gibt Zeichen: die tiefer gewordene Sitzfleischdelle im Chefsesselleder, das Abflachen der eigenen Lernkurve – oder die glückende Dossierplanung über Monate statt über Wochen. Man merkt: Es wird Zeit, etwas anderes zu tun. Nach neuneinhalb Jahren in diesem Verlag bleibt mir, Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit, für Ihr (geistreiches) Lob und Ihre (geistreiche, wohlformulierte) Kritik zu danken! Ab September schreibt an dieser Stelle mein langjähriger Kollege Ronnie Grob. Ihm und allen Kolleginnen, Kollegen, Autorinnen und Autoren danke ich für ihr Vertrauen und die vielen kreativen Auseinandersetzungen. Macht es gut! Machen Sie es gut!
Und nun, klar: anregende Lektüre!
PS: Man geht nie so ganz, heisst es. Und auch selten allein! Christian Hoffmann, langjähriger Kolumnist, beendet mit dieser Ausgabe seine regelmässige Arbeit für den MONAT. Danke, Christian, für fast zehn Jahre geistreicher «Prinzipienreiterei» und intellektueller Streitlust! Es war uns ein Vergnügen!
Michael Wiederstein
Chefredaktor