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Editorial

«There is room for words on subjects other than last words.»
Robert Nozick


Für Liberale sind Armee und Wehrpflicht zweischneidige Schwerter: man kann sich dem Dienst an der Waffe gegenüber aufgeschlossen zeigen und finden, dass der staatliche Zwang nötig und gerechtfertigt sei, um die Sicherheit eines (ansonsten weitgehend) freien Landes zu garantieren. Oder man kann sich jedem Zwangsdienst von vornherein verweigern – weil er nun einmal das Gegenteil von Freiheit ist. Vertreter dieser «reinen Lehre» mogeln sich mit Attesten gänzlich um Staatsdienst und Zwang herum und sind der Meinung, im Ernstfall könnten sich Bubikon, Bulle und Brione dann schon selbst verteidigen. Liberalkonservative wiederum erkennen im «Dienen» a priori ihre «staatsbürgerliche Pflicht», um die «Unabhängigkeit» und «Souveränität» des Landes zu wahren. Während die staatstragenden Liberalen die Wehrdienstverweigerer «asozial» nennen, nennen Libertäre die Wehrdienstbefürworter «Sozialisten». Redet man mit den einen, sind sie von ihrer «lupenrein liberalen Haltung» überzeugt. Redet man mit den anderen, ist’s dasselbe.

Wer sich einmal mit dem theoretischen und praktischen Für und Wider eines Dienstes an der Waffe auseinandersetzen musste, den können seine liberalen Pappenheimer nicht mehr überraschen: Ja, ich habe «für mein Land» geschwitzt, gejammert, geschossen und geschuftet. Aber abends, nach Dienstschluss, hab ich auch Thoreau und Nozick gelesen. Freunde fürs Leben habe ich bei der Armee nicht gefunden, und Führungsverantwortung nur ex negativo: wenn dein Gruppenführer sich beim Orientierungsmarsch als Einziger verläuft und dann die (hervorragende!) Karte dafür verantwortlich macht, weisst du, wie du clevere Teams in der Privatwirtschaft ganz sicher nicht führen darfst – vom militärischen «Ernstfall» wollen wir schweigen. Ja, aus libertärer Sicht habe ich mich 2003 zum «Knecht» gemacht. So what? Und nein, ihr «National-Liberalen»: der Zwangsdienst mit oder ohne Waffe ist keinesfalls so unbestritten-sinnvoll und alternativlos, wie ihr gern behauptet.

Der Liberalismus leidet, das zeigt nicht nur dieses Beispiel, an einer Art Schizophrenie: die verschiedenen Herzen, die in jedem Liberalen pochen, schlagen dort am heftigsten, wo individualistische und kollektivistische Konzepte sich bei der möglichst effizienten Lösung eines Problems ins Gehege kommen. Man mag feststellen, dass das ideologische Gärtchendenken unter den Liberalen momentan besonders ausgeprägt, der Impact liberaler Ideen deshalb bescheidener als früher und diese Diagnose angesichts der weltpolitischen Lage heute besonders ärgerlich ist. Die liberale Alltagsschizophrenie kann aber auch produktiv gemacht werden: Wir gestalten eine Zeitschrift, die staatliche Zwänge grundsätzlich ablehnt. Da viele Zwänge aber nun einmal Realitäten – und zwar von den allermeisten Mitbürgern gewollte Realitäten – sind, müssen wir nach neuen Reformansätzen innerhalb des existierenden Systems fragen, auch und gerade wenn es sich um «heilige Kühe» wie die Armee oder die Einwanderungspolitik dreht. Theoretische Fundamentalkritik schadet dabei nicht. Setzt man aber ausschliesslich auf sie, gleichen sich die eigenen Erfolgschancen in Debatten ruckzuck jenen der «Patrouille Suisse» in einem ernsthaften Luftgefecht an.

Ich wünsche unaufgeregt-aufregende Lektüre!

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