EDITORIAL
Was Philosophen gerne ignorieren, ist für Ökonomen der Anfang aller Theorie: der Mensch ist ein Lebewesen, das tauschen kann. Getauscht werden nicht nur Waren, sondern auch Gefühle, Überzeugungen und Gewissheiten. Um letzteres geht es beim Schuldenmachen. Schuldner und Gläubiger tauschen eine gegenwärtige Gewissheit gegen eine künftige Ungewissheit – wobei der eine bezahlt und der andere […]
Was Philosophen gerne ignorieren, ist für Ökonomen der Anfang aller Theorie: der Mensch ist ein Lebewesen, das tauschen kann. Getauscht werden nicht nur Waren, sondern auch Gefühle, Überzeugungen und Gewissheiten. Um letzteres geht es beim Schuldenmachen. Schuldner und Gläubiger tauschen eine gegenwärtige Gewissheit gegen eine künftige Ungewissheit – wobei der eine bezahlt und der andere sich bezahlen lässt. Beide gehen ein Risiko ein, und im Idealfall haben beide jenen Sinn für die Zukunft, der Verantwortung heisst. Hieraus leitet sich eine zweite Charakterisierung des Menschen ab, die Friedrich Nietzsche stark gemacht hat: der Mensch ist «ein Tier, das versprechen darf». Das Versprechen ist eine freiwillig eingegangene Verpflichtung gegenüber anderen, die man nicht einseitig aufheben kann. Und wenn sich der Staat verschuldet? Er ist zwar der Garant für Verbindlichkeiten überhaupt, aber er kann sich, anders als das Individuum, den eingegangenen Verpflichtungen entziehen – indem er Geld druckt und so seine Schulden abwertet. Den Preis bezahlen letztlich die Gläubiger. Aus Angst vor diesem Szenario ringen sich deshalb immer mehr staatsskeptische Menschen dazu durch, so zu tun, als vertrauten sie dem Staat– je grösser das allgemeine Vertrauen, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass der Staat sich an seine Verpflichtungen hält. Es bleibt die Hoffnung, dass das Spiel auch auf Dauer funktioniert.
René Scheu
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Wir wollen uns, Wahlen hin oder her, nicht mit Parteipolitik auseinandersetzen. Dem deutschen Nationalökonomen Roland Baader haben wir dennoch eine Passage aus dem Parteiprogramm der SP Schweiz vorgelegt. Lesen Sie seine Überlegungen zur Überwindung des Kapitalismus in der Rubrik «Anstoss». Baader verfasst für uns zudem ab dieser Nummer Kolumnen, in denen er inflationär gebrauchte Begriffe des politischen Diskurses auf ihren Gehalt abtastet. Neben Baader konnten wir auch den Direktor des marktwirtschaftlich orientierten Institut Constant de Rebecque, Pierre Bessard, als Kolumnisten verpflichten. Weitere Namen folgen.
Die Redaktion