Editorial
«So steht’s mit der Sinnesart der meisten: Ihre Gier nach Beschäftigung hält länger an als ihre Arbeitskraft.»
Seneca. In: Von der Kürze des Lebens
Die alten Römer teilten die Lebensalter ein in pueritia (Jugend bis 20), iuventus (junge Erwachsene, 20–40), virilitas (Mitte des Lebens, 40–60) und senectus (Alter, ab 60). Der letzte Bereich wächst unaufhaltsam. Im Vergleich zu 1950 gibt es in der Schweiz heute fast viermal mehr Leute über 65. Über 2000 von ihnen haben das 100. Altersjahr überschritten. 2050 sollen es rund 15 000 sein oder noch mehr, je nach medizinischem Fortschritt.
Eine überalterte Gesellschaft ist insgesamt langsamer, vorsichtiger und weniger agil. Man kann ihr entgehen mit dem Import von Zuwanderern und darauf hoffen, dass diese die Wirtschaft in Schwung halten und die Sozialwerke sichern. Oder man kann zur aktiven Produktion von Nachwuchs übergehen.
Der Wunsch nach Kindern ist nicht geringer geworden: Fertilitätskliniken und Samenspender sehen sich einer hohen Nachfrage gegenüber. Doch während Israel mit 2,9 Kindern pro Frau nicht vom Aussterben bedroht ist, ist es die Schweiz durchaus: Statistisch stellt eine Frau hierzulande lediglich 1,33 Kinder auf die Welt, was nur wenig mehr ist als die europäischen Schlusslichter Italien und Spanien (1,2 Kinder pro Frau).
Die geburtenstarke Generation der Babyboomer hat unsere westlichen Gesellschaften geprägt. Als 68er haben sie die Gesellschaft zunächst destabilisiert und daraufhin ihren Marsch durch die Institutionen angetreten. Heute bestimmen und verwalten sie einen aufgeblähten Sozialstaat, der wohl genau noch so lange funktioniert, wie sie leben. Die nachfolgenden Generationen werden sich etwas Neues überlegen müssen.
Im alten Rom war es Gesetz, berichtet Seneca, dass der Eintritt in den Kriegsdienst mit dem fünfzigsten Jahr aufhörte und der Eintritt in den Senat mit dem fünfzigsten Jahre endete. Dennoch ist das Römische Reich untergegangen. Die Gründe dafür sollten uns bekannt vorkommen: politische Instabilität, wirtschaftliche Schwäche, Migration, die Ausbreitung des Christentums und nicht zuletzt die Zersetzung der eigenen Währung. Die Herrscher reduzierten den Silber- und Goldgehalt römischer Münzen systematisch, um mehr Münzen aus weniger Edelmetall herstellen zu können.
Verändern werden sich die Sozialwerke spätestens dann, wenn die Kaufkraft der Rentenzahlungen nicht mehr zum Leben reicht. Wer klug ist, vertraut bereits heute nicht mehr alleine auf die Rente, sondern sorgt selbst für das Alter vor.