Editorial
«Investoren müssen sich darüber im Klaren sein, dass Bitcoin auch ganz zusammenbrechen kann.»
Agustín Carstens, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), am 27. Januar 2021.
Common Sense unter Anlegern war bisher: Solange die Zentralbanken die Zinsen tiefhalten und das angeschlagene Finanzsystem weiter mit kreativen Massnahmen stützen, wird es schon keinen Börsencrash geben. Nun zieht aber die Inflation an, und der Druck auf die Zentralbanken, die Leitzinsen anzuheben, steigt. Das Gros der Anleger bleibt weiterhin cool und vertraut auf jene beiden Bereiche, die mangels valabler Alternativen in den letzten Jahren einen übermässigen, mitunter kaum noch gerechtfertigten Wertzuwachs erhalten haben: Immobilien und Aktien.
Munter weiter Aktien hinzugekauft hat auch die Schweizerische Nationalbank (SNB). Per Mitte 2021 hielt sie – man kann es nachlesen in den vierteljährlichen Reports der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC – US-Aktien im Wert von 161 866 000 000 Dollar. Rund 10 Milliarden dieses Portfolios machen die 68 455 408 Apple-Aktien aus. Ausserdem sind 8 Milliarden in Microsoft, je 6 in Amazon und Alphabet (Google) und je 1 in Disney, Netflix und Pfizer angelegt. Ein gewaltiger Betrag: Von diesen rund 150 Milliarden Franken könnte der Bund (Jahresbudget 2022: 78 Milliarden) fast zwei Jahre lang leben.
Es ist richtig, dass die SNB nicht nur Fremdwährungen wie Euro oder US-Dollar hält, die mit der Inflation an Kaufkraft verlieren, sondern Assets kauft, in denen sie einen innewohnenden Wert vermutet. Deshalb besitzt die SNB nach wie vor 1040 Tonnen Gold im Wert von rund 55 Milliarden Franken. Auf ihrer Webseite bekräftigt die SNB, ihr Portfolio weiter zu diversifizieren mit dem Ziel, Risikokonzentrationen zu vermeiden: «Die Nationalbank prüft zu diesem Zweck kontinuierlich neue Anlageklassen, Währungen und Anlagemöglichkeiten in entwickelten und sich entwickelnden Märkten.»
Würde die SNB die 162 Milliarden US-Dollar aus dem US-Aktienmarkt abziehen und alles davon in die Kryptowährung Bitcoin investieren, erhielte sie derzeit fast 3 Millionen davon, also einen Siebtel aller 21 Millionen Stück, die maximal existieren werden. Realistischer ist, dass wieder mehr Rufe nach einem Bitcoin-Verbot ertönen werden. Herunterfahren und ausschalten lässt sich das dezentrale Projekt allerdings etwa so gut wie das Internet. Viele Regierungen haben es versucht und sind gescheitert.
Ob es im Sinne der Idee von Bitcoin wäre, dass sich statt Bürger Zentralbanken daran beteiligen, lässt sich diskutieren. Sollte sich Bitcoin aber tatsächlich zu einer weltweiten Bürgerwährung abseits der Staatsmacht mausern, werden Regierungen und Zentralbanken nicht untätig bleiben. Die First Mover bewegen sich: In El Salvador ist Bitcoin seit dem 7. September legales Zahlungsmittel, das von Verkäufern entgegengenommen werden muss. Der Kanton Zug nimmt seit diesem Jahr Steuerzahlungen in Bitcoin entgegen. Die SNB beobachtet die Lage.