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Editorial

Editorial
Das Foto zeigt das Musilhaus in Klagenfurt, das Geburtshaus von Robert Musil. Wikimedia Commons.

Nur Leute, die kein Geld haben, stellen sich Reichtum wie einen Traum vor; Menschen, die ihn besitzen, beteuern dagegen bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Leuten zusammentreffen, die ihn nicht besitzen, welche Unannehmlichkeit er bedeute.

Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Kapitel 92

 

Beim Nachdenken über unsere Geschichte, die nun in einem 100. Geburtstag ­kulminiert, ist mir des öfteren Ulrich in den Sinn gekommen, der Protagonist in Robert Musils Monumentalwerk «Mann ohne Eigenschaften». Der Roman spielt 1918, es wird darin das 70-Jahr-Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph vorbereitet. Da es gegenüber dem im gleichen Jahr stattfindenden 30-Jahr-Thronjubiläum des deutschen Kaisers Wilhelm II. keinesfalls an Glanz und Ausstrahlung zurückstehen soll, planen einflussreiche Kreise der Donaumonarchie eine «Parallel­aktion», zu deren ehrenamtlichem Sekretär Ulrich wird. Wie ein Sekretär im ­Ehrenamt, vermittelnd zwischen mächtigen Interessengruppen, mag sich auch manch ein Redaktor unserer Geschichte vorgekommen sein.

Die Stärke dieser Zeitschrift ist die Reduktion auf das Wesentliche. Wir lassen den tagesaktuellen, auf lange Frist oft bedeutungslosen Chitchat der Tages- und Wochenmedien weitgehend liegen, um uns mit den wichtigen Fragen und Entwicklungen der Zeit auseinanderzusetzen: «Vergessen Sie die News!», riet Rolf Dobelli 2011, natürlich im «Monat». Deshalb bringen wir kaum Aufreger, wollen nicht um jeden Preis recht behalten und betreiben – ausser für die Freiheit – keine Propaganda. Bei uns geht es um Substanz und Geist, um Lehren und Lernen, um neue, ­grosse Ideen und Gefahren, um alternative Herangehensweisen, um den Nachvollzug von Sichtweisen, die das eigene Gedankengefüge herausfordern und ergänzen.

Wie der freie Austausch von Gütern ist der freie Austausch von Ideen kein Nullsummenspiel und kein Kuchen, von dem es nur eine begrenzte Menge zu verteilen gibt. Nein, es ist ein Handel, auf den man sich aus freien Stücken einlässt und der nur abgeschlossen wird, wenn beide Seiten glauben, davon profitieren zu können. Mit Folgen für das eigene Denken – und manchmal auch darüber hinaus: Wer beispielsweise unsere Dossiers im Juni 2018 und im November 2020 zu Krypto­währungen ernst genommen hat und einen Teil seines Vermögens darin investiert hat, wird es – bislang jedenfalls – nicht bereut haben.

Wie Sie sich auf S. 62 überzeugen können, ist der «Schweizer Monat» an seinem 100. Geburtstag kein tattriger Greis. Unsere Jubiläumsvorbereitung führte auch zu keinen Komplikationen wie bei Musils Ulrich. Wir haben uns einfach durch das Archiv gegraben und sind vielfach auf Gold gestossen. Auf grosse Autoren mit grossen Texten, die für immer tragen werden. Sie haben uns bescheiden zurückgelassen. Wie oft hat doch schon jemand das Gleiche klüger, kürzer und besser gesagt? Also verneigen wir uns in dieser Ausgabe vor dem Geist eines ganzen Jahrhunderts – der ohne das Geld all jener, die uns seit 1921 unterstützt haben, nicht publiziert worden wäre. Danke.

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