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E-Collecting verändert  die politische Kultur
Illustration von Stephan Schmitz.

E-Collecting verändert
die politische Kultur

Die elektronische Unterschriftensammlung dynamisiert die Demokratie. Sie spricht neue Bevölkerungsgruppen an, führt aber auch zu mehr Unwägbarkeiten.

Die Idee, Unterschriften für Volksbegehren elektronisch zu sammeln, das sogenannte E-Collecting, geniesst viele Sympathien in der Schweiz. Befürworter empfehlen die Einführung als ungefährliche Modernisierungsspritze für die direkte Demokratie. Die Politik und Verwaltung priorisieren aber seit zwanzig Jahren das elektronische Abstimmen – E-Voting genannt. Diese Priorisierung wird deshalb mit Blick auf die Vorteile des E-Collecting in Frage gestellt.

Als Protagonisten von E-Collecting sind der Gründer der Kampagnenplattform WeCollect, Daniel Graf, und der E-Government-Spezialist Sandro Scalco bekannt. Scalco hat verschiedentlich zum Thema publiziert und begleitet eine Schaffhauser Volksmotion zum Thema.

Die beiden Befürworter versprechen sich vom E-Collecting, neue Stimmbürger und Stimmbürgerinnen zur Unterschrift animieren zu können. Denn während wir die politischen Inhalte online konsumieren und in sozialen Netzwerken diskutieren, müssen wir unsere Unterstützung für ein Volksbegehren doch mit einer physischen Unterschrift auf einem Sammel­bogen bezeugen. Für die Kampagnen ist dieser Medienbruch schmerzhaft, denn sie können beobachten, wie sie beim Übergang von der Onlinekampagne zum Ausdrucken und Abschicken des unterschriebenen Bogens zahlreiche Unterstützer und Unterstützerinnen verlieren.

Vorteil für ländliche Regionen

Es erscheint plausibel, dass elektronische Unterschriften für Stimmbürger einfacher zu leisten sind und ihre Beteiligung an Unterschriftensammlungen damit steigen würde. Ein Link auf eine Sammelplattform, mit der digitalen Identität authentisieren, Unterschrift freigeben, fertig.

Aber auch das Erreichen neuer Bevölkerungsgruppen erscheint plausibel. Tatsächlich verursacht es heute grosse Kosten, das ganze Land per Post mit fertig vorbereiteten Unterschriftenbögen zu versorgen. Die Alternative ist das Sammeln von Unterschriften in der Öffentlichkeit. Es darf vermutet werden, dass das vor allem an stark frequentierten Plätzen, in städtischen Fussgängerzonen und in der Nähe von Bahnhöfen, erfolgreich ist. In ländlichen Regionen ist das öffentliche Sammeln demgegenüber aufwendiger oder nur an lokalen Terminen mit grösserem Bevölkerungsaufkommen lohnenswert.

Die rein digitalen Kampagnen sind preiswerter und nicht räumlich gebunden. Das heisst, ihre Kommunikation erreicht die Menschen landesweit zum Einheitspreis.

Angst vor Unterschriften im Darknet

Die dem E-Collecting zugeschriebenen Vorteile erscheinen also durchaus plausibel. Demgegenüber wurden die Nachteile in der Debatte bis dato ausgeblendet oder in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. Da zurzeit mehrere Kantone eine Einführung von E-Collecting prüfen, ist diese Diskussion aber überfällig.

Betrachten wir zunächst den neuen digitalen Datenbestand. Einzelne Komitees dürften bereits heute die Namen und Adressen ihrer Unterstützer und Unterstützerinnen elektronisch erfassen. Und auch die beglaubigenden Gemeinden werden nicht um eine zeitgemässe Registrierung herumkommen, wenn sie ein mehrfaches Unterschreiben desselben Begehrens verhindern möchten.

Datenbanken mit den politischen Präferenzen von einigen zehntausend Stimmbürgern und Stimmbürgerinnen dürften also durchaus vereinzelt existieren. Wir nehmen das in Kauf. Mit der Einführung von E-Collecting werden diese Datensammlungen aber zum Standard. Dies zu verhindern ist enorm aufwendig, denn während sich beim E-Voting alles darauf konzentriert, verlässliche Ergebnisse unter Wahrung des Stimmgeheimnisses zu erzielen, liegt der Kern einer Unterschriftensammlung darin, die Identität der unterschreibenden Person mehreren föderalen Ebenen gegenüber belegen zu können.

Einmal erfasste Daten sind aber nur sehr schwer wieder zu löschen und sie tauchen im Fall eines Datenlecks im schlimmsten Fall sogar im Darknet auf.

Organisieren die Komitees die Datenhaltung selbst, konkurriert die Sicherheit mit dem Sammelerfolg um das meist knappe Budget der Kampagne. Alternativ könnte auch der Staat eine Sammelplattform zur Verfügung stellen. Namentlich auf Kantonsstufe ergibt das einen Sinn. Der Kanton St. Gallen, der als erster Kanton eine E-Collecting-Lösung für kantonale Vorlagen baut, favorisiert diese Architektur und hat gemäss den Unterlagen der öffentlichen Ausschreibung eine datensparsame Umsetzung geplant, die das Entstehen einer Gesinnungsdatenbank weitestgehend ausschliesst. Der Kanton wird aber trotzdem zum Verwalter der Identitäten seiner politischen Dissidenten werden, was nicht recht zur Idee von Referenden und Volksinitiativen zu passen scheint.

Wie dargelegt, ist es plausibel, dass ländliche Regionen der Schweiz bei digitalen Unterschriftensammlungen einfacher einbezogen werden können. Leider gibt es bis heute keine wissenschaftliche Untersuchung, welche die geografische Herkunft von Referendums- und Initiativunterschriften beschreiben würde. Immerhin hat die Bundeskanzlei für dieses Jahr erste Erkenntnisse dazu in Aussicht gestellt. Ist es wirklich so wie vom Autor vermutet, dass heute Städte und Agglomerationsgemeinden bei den meisten Referendumssammlungen und Volksinitiativen übervertreten sind, dann bedeutet das, dass die Mitte und die politische Rechte zahlenmässig stärker als die politische Linke vom E-Collecting profitieren dürften.

Der Diskurs verschiebt sich ins Netz

Da elektronische Unterschriften einfacher zu sammeln sind, wird ein Komitee sehr schnell das Sammeln von elektronischen Unterschriften priorisieren. Der politische Diskurs wird sich damit noch mehr in die sozialen Netze verschieben. Es ist bei ­einer nationalen Einführung auch absehbar, dass die für ein erfolgreiches Referendum oder eine Volksinitiative nötige Zahl von Unterschriften in der Folge erhöht werden muss, was wiederum zur Folge hat, dass es kaum mehr möglich sein dürfte, diese Zahl auf Papier überhaupt zu erreichen. Zwar ist es denkbar, in einer Übergangsphase eine gewisse Zahl von Papierunterschriften zu verlangen. Aber auf längere Frist scheint das so wenig plausibel wie die Idee, elektronische und physische Unterschriften unterschiedlich zu gewichten. E-Collecting dürfte also eine beschleunigte Verschiebung von politischen Kampa­gnen und des politischen Diskurses in den virtuellen Raum mit sich zu bringen.

Diesen Wandel wird auch die Legislative zu spüren bekommen. Man spricht in der Schweiz im politischen Diskurs oft von Referendumsfähigkeit von Parteien oder politischen Gruppierungen. Innert drei Monaten 50 000 Unterschriften für ein Referendum zu sammeln ist ein Kraftakt, den nur wenige Parteien und Organisationen zu stemmen vermögen. Mit Hilfe von E-Collecting und dank der einfacheren Emotionalisierung der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen in den sozialen Medien dürften zahlreiche weitere Gruppierungen die Referendumsfähigkeit erreichen. Und selbst bei einer Erhöhung der Unterschriftenzahl müssen wir damit rechnen, dass sich je nach Thema neue Ad-hoc-Gruppierungen bilden werden, um Unterschriften für Referenden oder auch für Volksinitiativen online zu sammeln. Der Gesetzgebungsprozess wird durch E-Collecting unberechenbarer werden.

«Mit Hilfe von E-Collecting dürften zahlreiche weitere Gruppierungen die Referendumsfähigkeit erreichen.»

Fassen wir zusammen: Dank E-Collecting lassen sich einfacher Unterschriften sammeln und die Komitees müssen dafür nicht mehr auf die Strasse gehen. Das erleichtert das Sammeln vor allem in ländlichen Gebieten. Zudem verschiebt es den politischen Diskurs beschleunigt in den virtuellen Raum und macht den gesetzgeberischen Prozess unberechenbarer. Dazu kommt die Schaffung von potentiell sehr sensiblen Datenbeständen, die sich nur mit sehr hohem Aufwand schützen und nach der Sammlung wieder löschen lassen.

Christian Folini, zvg.

Unter dem Strich können wir eine Dynamisierung der digitalen Demokratie erwarten. Das dürfen wir begrüssen, aber wir müssen damit rechnen, dass E-Collecting unsere politische Kultur stark verändern wird.

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