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Duttweiler würde die
heutige Migros hassen

Duttweiler würde dieheutige Migros hassen
Am 8. Oktober 1948 warf Duttweiler zwei Steine durch ein Fenster des Bundeshauses in Bern. Mit seiner Aufsehen erregenden Aktion protestierte der Migros-Gründer gegen die Verschleppung seiner Vorstösse zur Anlegung von Vorräten für die Landesverteidigung. Bild: Keystone/Photopress-Archiv.

Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888-1962) war ein Disruptor: Der legendäre Unternehmer liess fünf Ford-T-Lastwagen in der Schweiz herumfahren und Kaffee, Reis, Zucker, Teigwaren, Kokosfett und Seife an Schweizer Hausfrauen verkaufen – 40 Prozent unter den Preisen der Konkurrenz.

Und er war ein Querulant: Als Nationalrat des von ihm gegründeten Landesrings der Unabhängigen ärgerte er sich 1948 derart über die Verschleppung seiner Vorstösse durch den Politbetrieb, dass er Steine auf das Berner Bundeshaus warf – und dabei zwei Fensterscheiben zerschlug.

Würde ein Typ vom Schlage Duttweiler beim heutigen Social-Media-Team der Migros aufkreuzen, würden diese wohl peinlich berührt schweigen oder schreiend davonrennen. Umgekehrt wäre Duttweiler wohl wenig begeistert von der Medienarbeit einer Migros, die den US-Präsidenten als Flasche bezeichnet, den Mohrenkopf aus dem Sortiment nimmt und mit dem Kulturprozent die Förderung der Geschlechtergerechtigkeit vorantreibt («Genderfluidität hilft allen», «Mit Glitzer gegen Hetero­normativität»). Wer mag, kann bei der Migros ein humorbefreites Woke-Quiz auf Englisch machen, bei dem richtige und falsche Antworten vorgegeben sind.

Selbst das Anliegen von Duttweiler, keinen Alkohol zu verkaufen, wird von den heutigen Verantwortlichen des Detailshandelskonzerns hintertrieben, indem sie neben jede alkoholfreie Migros einen Denner mit Alkoh0l hinstellen. Es brauchte eine Urabstimmung der Genossenschafter mit bis zu 80 Prozent Nein-Stimmen, um das von Duttweiler 1928 eingeführte Verkaufsverbot für Alkohol bei der Migros zu erhalten.

Auch andere grosse Männer wurden in ihrer Zeit von vielen als Extremisten angesehen: Der legendäre Max Schmidheiny (1908-1991) etwa, einst der mächtigste Industrielle der Schweiz, hasste die Bauern, das Militär, die Grossbanken und vor allem die Beamten: Ein Libertärer, der volle Freiheit für das Unternehmertum suchte. «Freiheit ist das höchste Gut», wird er unmissverständlich von der zu seinem 70. Geburtstag gegründeten Max-Schmidheiny-Stiftung zitiert, die seine libertäre Haltung mit starker regionaler Verankerung im Rheintal aber sehr viel moderater und auch internationalistischer auslegt.

Oder nehmen wir den legendären Stifter der Progress Foundation, Edward C. Harwood (1900-1980): ein Libertärer, der fand, «die Aktivitäten der Bundesregierung müssen auf die Aufgaben der Landesverteidigung und die Verhinderung von Freiheitsentzug oder -missbrauch reduziert werden».

Harwood war nicht nur ein Anhänger der amerikanischen Revolution, sondern auch von Gold; er kämpfte zeitlebens «gegen die Aufblähung der Geldmenge zur Finanzierung der zunehmenden Staatsverschuldung» durch die Zentralbanken (und wäre heute wohl ein Bitcoiner). Wie er wohl dazu stehen würde, dass bei der 50. Economic Conference der von ihm gestifteten Foundation weder über Gold noch über Bitcoin geredet wurde, jedoch zwei der von ihm zeitlebens kritisierten Zentralbanker unwidersprochen reden durften? Fragen wurden nämlich keine zugelassen.

Ob ein Steinewerfer wie Duttweiler – Karl Lüönd bezeichnete ihn als «energiegeladen, sprunghaft, besessen, besitzergreifend und manchmal rücksichtslos» – heute von der Migros, von der Max-Schmidheiny-Stiftung, von der Progress Foundation eingeladen würde? Man weiss es nicht recht.

Duttweiler, Schmidheiny, Harwood: Sie sind zu Legenden geworden, weil sie das Risiko eingegangen sind, sich unbeliebt zu machen. Ihre Nachverwalter dagegen scheuen Risiken, und würden einige der Meinungen und Auftritte ihrer Stifter am liebsten vergessen lassen.

Wir brauchen dringend mehr Nachsicht gegenüber Leuten, die aus der Reihe tanzen. Natürlich braucht es auch Verwalter. Vorwärts aber bringen uns nur die Risikonehmer.

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