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Du könntest ein paar Federn hinzufügen

Eine leidenschaftliche Liebe, avantgardistische Kunst, Happenings, Glamour. Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely, «Bonnie and Clyde in Arts», sind eines der berühmtesten und erfolgreichsten Künstlerpaare. Das Museum Tinguely in Basel würdigt derzeit erstmals ihr gemeinsames Leben und Arbeiten.

Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely sind in mehrerer Hinsicht ein aussergewöhnliches Paar. Sowohl die Geschichte ihrer Liebe wie die ihrer Zusammenarbeit sind ein in der Kunstwelt seltenes Beispiel einer intensiven Beziehung.

Als sie sich, wohl 1956, erstmals in Tinguelys Atelierwohnung trafen, waren beide verheiratet, und ihre Lebensläufe unterschieden sich vollständig. Niki kam in Begleitung ihres Mannes Harry Mathews, eines Amerikaners, der angehender Dirigent in Ausbildung an der Ecole Normale war, später Schriftsteller und Literaturprofessor wurde. Niki selbst entstammte einer alten französischen Adelsfamilie, Fal de Saint-Phalle. Sie hatte verschiedene renommierte Privatschulen in den USA besucht, einige Jahre auf dem Schloss ihrer Grosseltern verlebt und nach der Schulzeit damit begonnen, in New York für Photographen Modell zu stehen. Sie war eine schöne junge Frau, die sich zu präsentieren wusste und die schon bald die Covers der grossen Magazine wie «Life» und «Vogue» zierte. Ende der vierziger Jahre, Niki war noch keine zwanzig Jahre alt, lernte sie Harry kennen, heiratete ihn und ging mit ihm nach Europa. Sie lebten mit ihren beiden Kindern ein, zumindest vordergründig, unbeschwertes Leben. Niki begann zu malen, bestärkt von ihrem Mentor, dem amerikanischen Maler Hugh Weiss.

Jean Tinguely war fünf Jahre vor Niki de Saint Phalle zur Welt gekommen, ein Arbeiterkind, dessen Vater Magaziner und dessen Mutter Magd war. Er wuchs im Basler Gundeldingerquartier auf, französisch sprechend in der Dialektwüste, katholisch in der Stadt des Basler Reformators Johannes Oekolampad. Tinguely war Einzelgänger. Er war gegen den Papst, Jungkommunist, Soldat in der Infanterie, Anarchist im Kreis um Heiner Koechlin. Nach dem Krieg arbeitete Tinguely als eigenständiger Dekorateur, aber die Heimatstadt wurde ihm zunehmend eng. Zusammen mit seiner Frau Eva Aeppli verliess er 1952 die Schweiz, um als Künstler in Paris zu leben. Ihre gemeinsame Tochter liessen sie bei seinen Eltern zurück. Nach einer ersten Zeit in einem Null-Sterne-Hotel, konnten sie 1955 das Atelier in der Impasse Ronsin beziehen. Es gehörte zu einer ganzen Ateliersiedlung, die trotz den seit Jahren bestehenden Abrissplänen der Stadt Paris noch existierte, da in einer der Atelierhütten Constantin Brâncu?i arbeitete. Vor seinem Tod sollte nichts verändert werden.

Harry Mathews kaufte ein grosses Relief von Jean; weil es ihm gefiel, und wohl auch, weil er sah, dass der junge Künstler Geld brauchte. Das magistrale «Relief sonore» ist heute Teil der Sammlung des Zürcher Kunsthauses. Die zwei Ehepaare wurden Freunde, vor allem Harry und Jean standen sich sehr nah, unternahmen vieles gemeinsam, und noch heute spricht Harry Mathews fast zärtlich über seinen Freund Jean.

Niki und Jean wurden 1960 ein Paar. Es war zugleich ein entscheidendes Jahr in der künstlerischen Entwicklung der beiden. Jean weilte zu dessen Beginn in New York, wo er seine «Homage to New York», diese riesige autodestruktive Maschinenskulptur, im Garten des Museum of Modern Art erbaute und in einem Happening sich selbst zerstören liess. Anschliessend veranstaltete er in Paris «Le Transport», in dem er unter Begleitung einer Blaskapelle und seiner Künstlerfreunde vier grosse rostige Schrottskulpturen aus seinem Atelier zur Galerie des Quatre Saisons transportierte. Er hatte erste Museumsausstellungen, in Krefeld und in der Kunsthalle in Bern, wo er seine neuen Schrottplastiken vorstellte und das Publikum erschreckte. Und er verliebte sich… in Niki.

Niki hatte sich zunehmend von ihrem Mann und den Kindern gelöst und lebte 1960 allein in Paris. Seit etwa einem Jahr produzierte sie Reliefs, Holzplatten, die sie mit Gips übergoss, in den sie Fundstücke, rostige Eisenteile, Keramikscherben oder Küchenwerkzeuge hineindrückte. Die fast mythologischen Geschichten ihrer früheren Bilder waren abstrakten Fundstücklandschaften gewichen. Der Alltag war in die Bilder eingekehrt. Und Niki verliebte sich… in Jean.

Es muss für sie wie eine Eruption gewesen sein und eine wahre Befreiung. Harry Mathews erzählt, wie sehr Niki das einfache und entbehrungsreiche Leben mit Jean in der Impasse Ronsin genoss und sich zu Hause fühlte.

Von Anfang an stand neben der Liebe die Arbeit im Zentrum der Beziehung der zwei Künstler. Es kam sehr schnell zu ersten gemeinsamen Projekten, zunächst nicht sehr spektakulär, als Jean auf Wunsch von Niki Drähte in ihre Reliefs montierte und damit die rechteckige Relieffläche sowohl in die Fläche wie auch in den Raum hinein erweiterte. Umgekehrt inspirierte sie ihn zur Vermehrung seiner Materialien und Farben: «Du könntest ein paar Federn hinzufügen.» Und so schmückte er seine «Balubas»-Skulpturen bald nicht nur mit Federn, sondern auch mit farbigen Plastikteilen, Glocken, Ringen und Pelzen. Sie gehören zum Wildesten und Fröhlichsten im Werk Tinguelys zu Beginn der sechziger Jahre.

Nikis «Schiessbilder» aus der gleichen Zeit entstanden oft mit Tinguelys Unterstützung. Beim Bau, sicher aber beim Schiessen auf die Bilder, wurden die in den Reliefs versteckten Farbbeutel gesprengt und das Weiss mit Farbe betropft. So entwickelten sie miteinander die avantgardi-stische Form des Happenings. Der «Homage to New York» folgten die «Etudes pour une fin du monde», Nummer 1 1961 im Louisiana Museum bei Kopenhagen, Nummer 2 im Jahr darauf in der Wüste von Nevada, bei Las Vegas, auf einem ehemaligen Atomtestgelände, einem trefflichen Ort für eine Weltuntergangsstudie. Niki assistierte bei der Installation der Skulpturen und – so scheint es – besonders gern beim Anbringen der Sprengladungen, die das Ganze in die Luft jagten. David Brinkley, der Nachrichtenstar von NBC, prägte den Ausdruck von «Bonnie and Clyde in Arts». Ein Touch von Hollywood umgab die zwei Künstler und öffnete ihnen viele Wege. Die (Selbst-)Inszenierung wurde Teil ihres Werks.

Es folgten gemeinsame Ausstellungen, wie «Dylaby», die Künstlerinszenierung im Stedelijk Museum in Amsterdam zusammen mit Daniel Spoerri, Robert Rauschenberg, Martial Raysse und Per Olof Ultvedt, und Theaterauftritte in Paris und in New York, wiederum gemeinsam mit Künstlerfreunden wie Rauschenberg oder Jasper Johns. Und sie schufen Grossprojekte wie die begehbare Frauenskulptur «Hon», mit Per Olof Ultvedt 1966 im Moderna Museet in Stockholm. In ihrem Inneren konnten die Besucher, die sie durch die Vagina betreten hatten, ein Kino entdecken, ein Museum der Fälschungen, Maschinenskulpturen von Jean und eine Milchbar, in der linken Brust der Frau. Die Installation wurde nach drei Monaten und fast hunderttausend Besuchern wieder zerstört. Übrig blieben Zeichnungen, Photos, Filme und vor allem Erinnerungen. Im Jahr darauf entstand «Le Paradis Fantastique», eine gemeinsame Installation für das Dach des französischen Pavillons an der Expo in Montreal. Nikis runde, farbige, weibliche Figuren tragen im «Paradis» einen Kampf aus gegen Jeans schwarze, spitze, aggressive, männliche Skulpturen, einen Kampf ohne Sieger und Besiegte, wie im Leben der beiden, anders als in so mancher anderen Künstlerfreundschaft.

Neben vielem anderen entstanden noch weitere gemeinsame Grossprojekte, wie «Le Cyclop» im Wald von Milly-la-Forêt, die Kopfplastik Tinguelys, die sie gemeinsam mit Bernhard Luginbühl, den Assistenten Seppi Imhof und Rico Weber und vielen anderen renommierten Künstlern schufen. Später erbauten sie zusammen «Il Giardino dei Tarocchi», Nikis Tarotgarten in der Toskana, zu dem Tinguely, ganz in der Tradition der mittelalterlichen Bauhütte, seine Arbeitskraft in den Dienst von Niki de Saint Phalle stellte und mit seinem Swiss Dream Team die Vergrösserung der Modelle Nikis auf riesige Dimensionen bewerkstelligte.

Die Zusammenarbeit von Niki und Jean gründete in ihrem unbeschränkten Vertrauen zueinander, einem Vertrauen, dessen letztes Ergebnis wohl das Museum Tinguely in Basel ist. Möglich wurde es durch eine Schenkung Nikis aus ihrem Nachlass – sie hatten 1971 noch geheiratet, wohl vor allem, um im Todesfall ihr Werk gesichert zu wissen – und dank der Finanzierung von Hoffmann-La Roche.

Die noch bis 21. Januar 2007 zu besichtigende Ausstellung «Niki & Jean, l’Art et l’Amour», ein gemeinsames Projekt mit dem Sprengel-Museum in Hannover, feiert eines der berühmtesten und eindrucksvollsten Paare der Kunstszene des vergangenen Jahrhunderts.

Die Ausstellung «Niki & Jean, l’Art et l’Amour» ist bis zum 21. Januar im Museum Tinguely in Basel zu sehen (www.tinguely.ch)

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