Drohnen nach Schweizer Art
Die Schweiz schöpft das Potenzial der Drohnentechnologie im Rahmen der Katastrophenhilfe oder der militärischen Aufklärung aus. Hiesige Firmen und Unternehmen sind führende Innovationstreiber.
Auf den Schlachtfeldern der Gegenwart kämpfen nicht nur Menschen: Unbemannte, fliegende Systeme, man nennt sie auch Drohnen, sind ein fester Bestandteil einer zeitgemässen Militärstrategie geworden. Auch die Schweizer Luftwaffe gilt als eine Pionierin im Einsatz von Drohnen – bereits 1995 wurde die Beschaffung von vier unterschiedlichen Aufklärungsdrohnensystemen (ADS 95) à je sieben Flugkörper beschlossen. Nach ihrer Auslieferung in den frühen 2000er-Jahren standen die Drohnen für die Zielaufklärung und Feuerleitung der Artillerie sowie für den Einsatz bei der Katastrophenhilfe zugunsten der kantonalen Führungsstäbe zur Verfügung.
Die Technologie hinter den ADS 95 ist in die Jahre gekommen – die Systeme wurden 2019 endgültig ausser Dienst gestellt. Sie sollen nun durch eine leistungsfähigere Plattform auf Basis der israelischen Hermes 900 abgelöst werden: Das Aufklärungsdrohnensystem 15 (ADS 15), bestehend aus insgesamt 6 Drohnen, soll ab der zweiten Jahreshälfte 2022 gestaffelt ausgeliefert werden. Entgegen den gängigen Vorstellungen der Drohne als mörderische Vernichtungsmaschine werden die unbemannten Flugsysteme der Schweiz unbewaffnet bleiben: Obwohl der Bundesrat im Jahre 2014 den Einsatz bewaffneter Drohnen als solchen nicht als völkerrechtswidrig eingestuft hat, sind bewaffnete Drohnen für das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) derzeit kein Thema: Weder in der Armeebotschaft 21 noch im Projektbericht 2020 des VBS finden sich ergänzend zu ADS 15 weitere grössere Drohnenbeschaffungen. Das ADS 15 soll stattdessen zur Überwachung von grossen Räumen, zur Suche, Aufklärung und Verfolgung von Zielen, zum Schutz kritischer Infrastrukturen und der eigenen Truppen eingesetzt werden – also jene Zwecke erfüllen, für die man bis vor kurzem noch die ADS 95 in Gebrauch nahm.
Anwendungsnahe Forschung
Nach wie vor prägen bewaffnete Drohnen die Wahrnehmung militärischer Drohnen stark – allzu leicht werden viele andere Anwendungsbereiche übersehen, insbesondere diejenigen, welche das Gefahrenpotenzial für den Menschen während einer Operation wesentlich reduzieren. Bedauerlicherweise gehen somit die zahlreichen Vorteile der Drohnentechnologie im militärischen Kontext vergessen: Unbemannte Systeme lassen sich beispielsweise in Räumen einsetzen, zu denen der Mensch keinen Zugang hat oder von denen eine zu grosse Gefahr ausgeht – beispielhaft hierfür wäre ein Kontakt mit Radioaktivität. Durch die Autonomie dieser Systeme wird sich der Mensch im Einsatz auf die zentralen Aufgaben konzentrieren können, bei denen er zwingend benötigt wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Einsatz unbemannter Systeme künftig deshalb die Leistung von Streitkräften in allen Fähigkeitsbereichen steigern wird – vor allem unbewaffnet und als Unterstützung für den Menschen.
Die armasuisse Wissenschaft und Technologie (W+T), das Technologiezentrum des VBS, erforscht insbesondere durch ihr Schweizer Drohnen- und Robotik-Zentrum (SDRZ VBS) die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten autonomer Systeme – von der Informationsbeschaffung, Überwachung, Sicherung, Störung, Täuschung und Kampfmittelbeseitigung bis hin zu logistischen Aufgaben. Die Kompetenzfelder des SDRZ VBS reichen von Forschung an alternativen Fortbewegungskonzepten über Navigation bis hin zur Entwicklung von Schlüsseltechnologien und die Mitentwicklung taktischer Anwendungen. Dabei hält die armasuisse W+T für das Forschungsprogramm «Unbemannte Systeme/Robotik» fest, dass sie aus völkerrechtlichen und moralischen Gründen bewusst keine Forschungsprojekte zum Nutzen von unbemannten Waffensystemen betreibe.
Eine eindrückliche Einsicht in das Potenzial unbewaffneter Drohnen und Roboter gibt die jährlich stattfindende Testwoche ARCHE (Advanced Robotic Capabilities for Hazardous Environment) des SDRZ VBS im Übungsdorf Wangen an der Aare: Hier erhalten teilnehmende Forschungsgruppen und Start-ups die Möglichkeit, ihre Prototypen und Demonstratoren für Brandbekämpfung, Lokalisierung von Personen, Beseitigung von grösseren Hindernissen, Messung von radioaktiver Strahlung, Lieferung von Erste-Hilfe-Material, Versorgung von Verschütteten oder zur Kartografie vorzuführen. Ziel ist es, dass die gezeigten Systeme in realitätsnahen Katastrophenszenarien getestet werden können und ein Austausch mit dem Lehrverband Genie/Rettung und ABC (Atomar Biologisch Chemisch) stattfindet. Vor Ort sind auch Drohnenanwendungen immer wieder ein Thema, beispielsweise die Drohne «bird AI»: Sie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit der Fachhochschule Graubünden, der Ostschweizer Fachhochschule sowie der ETH Zürich und dient der Detektion von Radioaktivität. Durch die Verwendung eines neuartigen, leichten Sensors des Schweizer Start-ups Arktis, das von ehemaligen CERN-Forschern gegründet wurde, ermöglicht sie nämlich eine Strahlungsdetektion aus der Luft. Damit kann sie ein grösseres Gebiet mit höherer Geschwindigkeit absuchen, als dies mit Menschen zu Fuss möglich wäre. Ein weiterer Vorteil dieser Lösung ist die Tatsache, dass der Operator einer wesentlich geringeren Strahlengefahr ausgesetzt ist, da die Drohne mit genügend grossem Abstand operiert. Schutzanzüge und weitere risikomindernde Massnahmen werden dadurch überflüssig.
Eine andere getestete Anwendung könnte in Anbetracht der aufkommenden Angstszenarien rund um Drohnenangriffe besonders interessant sein: Denn mit der vermehrten Nutzung von Minidrohnen im privaten und kommerziellen Umfeld steigt die Gefahr eines Missbrauchs durch gewaltbereite Akteure. Deshalb wollen auch Armeen und Sicherheitskräfte gegnerische Drohnen oder solche, die sich unerlaubt in einem Sektor aufhalten, abfangen können. Der Drohnenjäger «Mobula» der Fachhochschule Rapperswil kann mittels Kamerasystemen und mit eingebauten Computern autonom gegnerische Minidrohnen anfliegen, verfolgen und mittels einer Netzkanone abfangen. Das Netz fängt die Drohne ein und setzt diese mit einem zu vernachlässigenden Kollateralschaden ausser Gefecht. Dies ist zwar per se keine «unbewaffnete» Drohne – allerdings dient das Netz zum Abfangen und hat nicht die gleiche zerstörerische Wirkung wie ein ballistisches Geschoss.
Langer Weg bis zum Verkauf
Obwohl die beiden Anwendungen verheissungsvoll zu sein scheinen, gibt es bei der Entwicklung solcher technologisch anspruchsvollen Drohnenlösungen verschiedene Herausforderungen. Die Demonstration einer technischen Lösung – man nennt es in der Fachsprache «Proof of Concept» – ist für sich allein noch kein Beweis dafür, dass diese Lösung zuverlässig unter Einsatzbedingungen taugt. Systeme in ihrer Testphase befinden sich in einem frühen Stadium der Technologiereife: Die Entwicklungsphase eines innovativen Produkts dauert in der Regel mehrere Jahre, gefolgt von einem Beschaffungsprozess durch das VBS, der ebenfalls bis zu einem Jahrzehnt andauern kann. Während dieser langen Zeitspanne braucht es auch finanzielle Mittel, welche beim Ausbleiben von einem Umsatz durch Produktverkauf nur durch externe Kapitalzufuhr sichergestellt werden können. Weiter erfordert der Produktentwicklungsprozess viele Kompetenzen bezüglich fertigungsoptimierter Konstruktionsmethoden, Fertigungs- und Montagetechniken sowie verschiedenster entwicklungsbegleiteter Tests – Fähigkeiten, die sich oft nur über jahrelange Erfahrung aneignen lassen.
Zudem fällt es Schweizer Herstellern nicht immer leicht, einen Abnehmer für ihre Drohnen zu finden: Da die Schweizer Armee seit Ende des Kalten Krieges immer seltener neue Technologiesysteme beschafft, sehen sich heimische Unternehmen immer häufiger gezwungen, ihre Drohnen stattdessen anderen Armeen anzubieten. Aufgrund fehlender Kompetenzen und Ressourcen im Verwaltungssektor entpuppen sich solche komplexe Beschaffungsaktionen als ein schwieriges Unterfangen.
Silicon Valley der Robotik
Für den Wirtschaftsstandort Schweiz bieten unbewaffnete Drohnen für militärische Einsätze grosses Potenzial – nicht zuletzt, weil die Schweiz für Innovationen im Drohnen- und Robotikumfeld weltweit bekannt ist. Aktuell beschäftigt die Schweizer Drohnenindustrie rund 4800 Mitarbeitende, während der Markt 2021 ein Volumen von rund 521 Millionen CHF ausweist. Gemäss Expertenschätzung wird dieser Markt bis 2026 auf knapp 880 Millionen CHF wachsen.1 Die gute Ausgangslage der Schweizer Drohnenindustrie ist nicht zuletzt auf die schweizerische Hochschullandschaft, allen voran ETH und EPFL, und deren Spin-offs
zurückzuführen. Erstere forscht beispielsweise mit über 500 Forschenden an mehr als 20 Fakultäten an Drohnen- und Robotiksystemen und nennt sich selbstbewusst «Heimat der Drohnen». Die Innovationen der beiden Forschungsstätten lassen sich sehen: So hat die EPFL beispielsweise 2004 die erste freifliegende Quadrocopter-Drohne demonstriert. 2008 lancierte die ETH Zürich das Pixhawk-Team, dessen PX4 heute die weltweit führende Open-Source-Drohnen-Software ist. Nicht wenige Experten bezeichnen die Schweiz somit als führende Nation in der Drohnentechnologie, gar von einem «Silicon Valley der Robotik» ist die Rede. Der einzige Wermutstropfen ist die im Vergleich zum Silicon Valley schlechtere Ausgangslage bei der Finanzierung: So sind von den weltweit insgesamt 7,66 Milliarden US-Dollar an Investitionen in Drohnen seit 2010 nur 3 Prozent in die Schweiz geflossen, verglichen mit 55 Prozent in die USA. Start-ups haben als Konsequenz schlechte Karten, wenn sie in der Schweiz Investoren suchen, weshalb einige den Umzug ins Silicon Valley wagen.
Auch wenn die bewaffneten «Killer Robots» den medialen Fokus geniessen: Das Schweizer Militär wird den Nutzen der Drohnentechnologie in unbewaffneten Anwendungen verwirklichen. Die Innovationskraft der Schweiz im Drohnen- und Robotikumfeld wird dafür sorgen, dass die Schweiz auch in Zukunft an der technologischen Spitze stehen wird. Schweizer Unternehmen und Hochschulen leisten mit ihren Entwicklungen insbesondere bei der Katastrophenhilfe einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit des Landes.