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Google, Facebook und andere Unternehmen des Silicon Valley befinden sich nicht im kreativen Winterschlaf, wie man derzeit meinen könnte. Vielmehr sind sie dabei, mehr als (nur) Firmen zu werden: Sie entwickeln sich zu gigantischen Machtzentren.
Etwas ist faul im Silicon Valley. Die dort ansässigen Grossunternehmen machen seit einigen Jahren den Anschein, als gehe ihnen die kreative Puste aus, aber hinter den anonymen Glasfronten ihrer Gebäude entwickeln sie sich in Wahrheit rasant weiter. Das wird bald nicht nur unsere Art, Geschäfte zu machen, verändern, sondern auch die Art, wie wir leben. Um die Folgen – keineswegs nur für die USA – abzuschätzen, genügt es, sich die ersten Vorboten dieses tiefgreifenden sozialen Wandels anhand einiger Innovationen anzusehen:
- Die finnische App «Kutsuplus» ist eine Art Hybrid zwischen «Uber» und einem traditionellen öffentlichen Verkehrssystem. Ähnlich wie «Uber» erlaubt sie es den Kunden, über ihr Smartphone ein Transportmittel zu bestellen. Anders als bei «Uber» werden sie aber nicht von einer Art «gehobenem Taxi» abgeholt, sondern von einem Minibus, der auf seiner Route, die «Kutsuplus» anhand der (GPS-)Daten aller User berechnet, noch drei bis vier andere Passagiere aufsammelt. So gelangt man von A nach B, ohne sich dabei um einen Fahrplan kümmern zu müssen. Anders als die Busse des öffentlichen Verkehrs fahren die Busse von «Kutsuplus» auch nie leer durch die Gegend – sie richten sich streng nach Angebot und Nachfrage und sind dementsprechend effizient.
- Letztes Jahr erregte die App «MonkeyParking» in den USA sehr viel Aufsehen. Sie setzt (neben der Effizienz) auf Dreistigkeit: wenn Sie Ihr Auto auf einem öffentlichen Parkplatz geparkt haben, können Sie diesen per App an einen anderen Fahrer verkaufen, der in Ihrer Gegend gerade auf Parkplatzsuche ist. Da der Parkplatz öffentlich ist und Ihnen nicht gehört, verkaufen Sie mit «MonkeyParking» zwar streng genommen keinen Platz, sondern bloss die Information, dass Sie kurz davor stehen, einen freizumachen. Aber mit dieser App wird die Zurverfügungstellung eines öffentlichen Guts trotzdem privat zweitverwertet – und damit also zu einer Art privaten Handelsguts. Die Entwickler erhalten für jede Transaktion eine Provision.
- Portland ist nicht nur eine sehr fahrradfreundliche Stadt, sondern in den USA auch bekannt dafür, sehr viel in die Stadtentwicklung zu investieren. Kürzlich bemerkte der «Public Planning Commissioner» der Stadt, dass in Portland viele Radfahrer eine App namens «Strava» benutzen, die es ihnen ermöglicht, sich einen Überblick über die gefahrenen Routen zu verschaffen. Ihm fiel auf, dass die Radfahrer dabei sehr nützliche Daten erzeugen. Diese können von den lokalen Behörden benutzt werden, um bessere Fahrradwege zu bauen, damit die Fahrradfahrer sich effizienter durch die Stadt bewegen können. Also hat die für den öffentlichen Verkehr zuständige Behörde die «Strava»-Entwickler kontaktiert und der Firma ihre Daten abgekauft. Diese Daten wurden dann in den Planungsprozess integriert. Das Resultat: tatsächlich sehr viel bessere Radwege.
- Kommen wir wieder nach Europa: in Spanien litt ein kleines Komödientheater darunter, dass die Regierung – in der Krise von 2013 – die Steuern für Theaterkarten quasi über Nacht von 8 auf 21 Prozent anhob. Die Folge: den Gästen war’s zu teuer, sie blieben zuhause, schauten lieber US-Blockbuster als die örtlichen Theaterproduktionen. Statt nun den Laden dichtzumachen, stellte das Theater auf ein – zunächst etwas seltsam anmutendes, aber interessantes – neues Geschäftsmodell um: Es installierte Tablets mit Gesichtserkennungssoftware in den Rückseiten der Publikumssessel und stellte den Verkauf von Theaterkarten mit fixem Eintrittspreis ein. Stattdessen zahlten die Besucher nun pro Lacher. Die neue Hardware zählt, wie oft der Theatergast pro Stück effektiv lacht, und rechnet dafür jeweils 30 Cent ab. Zahlen muss nur, wer sich auch wirklich amüsiert – wer sich langweilt, für den war der Besuch kostenlos. Und: das Theater kommt heute gänzlich ohne Subventionen aus, begrüsst mehr Gäste als je zuvor und macht beinahe den doppelten Umsatz. Das System macht unter dem Namen «Pay-Per-Laugh» in Spanien zunehmend Schule.
- Die vorher genannten Apps und Entwicklungen mögen ihre Vor- und Nachteile haben, aber sie gehen immerhin alle auf die Initiative kleiner Player zurück. Problematisch werden die von den verschiedenen Apps gesammelten Daten allerdings in Verbindung mit Google. Viele Google-Nutzer wissen nicht, dass die Firma schon vor zwei Jahren eine Innovation vorgestellt hat, die ich für den Schlüssel halte, um zu verstehen, wohin sich Google in den nächsten Jahren bewegt: Die App «Google Now». Sofern Sie ein Android-Smartphone haben, schauen Sie mal nach: sie ist vermutlich bereits installiert. Was macht «Google Now»? Die App analysiert Ihre Aktivitäten in allen Googlediensten, von der E-Mail über die Suche, die letzten Videos, die Sie bei YouTube angeschaut haben – bis hin zu Ihrem persönlichen Kalender. Theoretisch könnten künftig auch die Daten eines smarten Thermostats bei Ihnen daheim oder Ihres autonom fahrenden Autos miteinbezogen werden. Die Idee dahinter ist, dem User mit Hilfe von sogenannten «Action Cards», die auf den angehäuften Daten basieren, zu erklären, wie er sein Leben vereinfachen kann. Ein Beispiel: Sie haben einen Flug gebucht. Google weiss das, denn Google registriert alle Airlines und Flüge. Also merkt Google auch, dass sich in Ihrem E-Mail-Postfach eine Registrationsbestätigung befindet – und fügt das Abflugdatum automatisch zu Ihrem Kalender hinzu. Am Tag vor Ihrem Abflug erinnert Sie «Google Now» daran, dass Sie morgen nach New York fliegen, dass es in New York regnen wird – und Sie besser einen Regenschirm mitnehmen. Und dass Sie sich besser drei Stunden früher als geplant zum Flughafen begeben, weil – aufgrund des Andrangs um Ihre Abflugzeit – Stau droht.
Sie sehen: Google hat nicht nur Zugang zu Ihren Daten, sondern auch zu denen aus vielen Ihrer Apps – und zu denen von allen anderen Leuten mit denselben Apps. Google hat damit längst aufgehört, ein Suchmaschinenanbieter zu sein. Google ist eine Art «Prediction Company», eine Vorhersagefirma, für alles und jeden geworden. Und das neue, dahinterstehende Geschäftsmodell ist sehr einfach: es gilt so viele Daten wie möglich aus so vielen Quellen wie möglich aufzusaugen, um die Kunden stets mit den nötigen Informationen versorgen zu können.
Alles wird sich ändern – nichts bleibt gleich
Bereits in fünf Jahren werden wir auf eine ganz andere Art als heute nach Informationen suchen. Denn nachdem mich Google zehn Jahre lang beobachtet hat, kann es meine Wünsche mit grosser Genauigkeit voraussagen. Ich werde es nicht einmal mehr nötig haben, «Pizzeria in der Nähe» einzutippen, wenn ich Hunger habe – die Pizzeria in der Nähe wird mich zur rechten Zeit finden. Weil Google weiss, dass ich zu dieser Tageszeit oft Hunger habe – und vor allem: Hunger auf Pizza! Diese Veränderungen bedeuten für die Konkurrenz, dass es nicht mehr genügt, einen besseren Suchalgorithmus als Google zu entwickeln, wie das bisher stets der Plan war. Und die Beispiele, die ich erwähnt habe, bedeuten für uns «Kunden» denn auch nicht das, was die vielen Techno-Optimisten, die über das Thema schreiben, mantrahaft wiederholen: Sie bedeuten nicht, dass wir kurz davor stehen, den Aufstieg neuer Geschäftsmodelle zu erleben, eine Blüte des Unternehmertums, indem jedermann eigene Apps entwickeln und dadurch sehr reich werden kann. Nein, stattdessen werden Google und Facebook, die bereits heute tonnenweise Daten verarbeiten, auch in den nächsten fünf Jahren den Markt dominieren. Und sie werden ausserdem mehr und mehr – auf den ersten Blick sehr praktische – Dienstleistungen anbieten, die wir von ihnen nie erwartet hätten. Das beinhaltet etwa Telekommunikationsinfrastrukturen: Google hat in diesem Bereich in den USA expandiert, weil dort das Angebot bisher so schlecht war, dass Google leichtes Spiel hatte. Das Unternehmen bietet einen phantastischen Service – und verdient sehr gut daran, weil es keine echte Konkurrenz gibt. Allerdings expandieren die Silicon-Valley-Firmen nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in den BRIC-Staaten. Facebook zum Beispiel expandiert gerade in Brasilien und Indien, indem es Deals mit Mobilfunkanbietern eingeht. Die Firma offeriert den Menschen etwa kostenlosen Internetzugang – aber nur für die Facebook-Webseite und dort Gesehenes. Für alles andere müssen sie zahlen. Auf diese Weise kann Facebook einerseits als eine Art Entwicklungshelfer auftreten – und muss keine Steuern zahlen –, andererseits etwas verdienen.
Apropos Steuern zahlen: haben Sie sich mal gefragt, in welchem Ausmass die Infrastruktur, die von Google, Facebook etc. bereits heute bereitgestellt wird, von Politikern und Bürokraten missbraucht wird? Diese Akteure verfügen über ganz eigene Ideen, wozu sich die neuen Datenmengen verwenden lassen – und ihr Anliegen, so viel sei verraten, sind nicht bessere Fahrradwege. Und auch von der NSA und von Spionage ist hier nicht die Rede, auch wenn das ein grosses Problem bleibt. Sieht man sich den Aufstieg der Verhaltensökonomik in den USA und in Europa an, so merkt man rasch, dass sich eine ganz neue, populäre politische Strategie aus ihr ableitet, die die neuen Daten nur zu gern für ihre Zwecke nutzbar macht: nämlich die Auffassung, dass wir die Welt durch «Nudging» verbessern können. Das heisst, dass staatliche Akteure überwachen, wie Konsumenten Entscheidungen treffen, und gelegentlich in diesen Prozess eingreifen müssen, um die Konsumenten in eine bestimmte andere Richtung zu steuern. Die Idee, den Konsumenten so zu manipulieren, dass ihm vor allem die Optionen präsentiert werden, die die Regierung für die besten hält, hat sich in den letzten Jahren stark verbreitet. Und die stark personalisierte Informationsstruktur, die das Silicon Valley entwickelt hat, ist genau das, auf was die Verhaltensökonomen in Regierungskreisen bloss noch gewartet haben, um einen Gang höher zu schalten. Denn sie wissen: es ist nun viel leichter als früher, zu überprüfen, wie viel Sport wir treiben, welches Essen wir essen oder wie wir schlafen. Und zu intervenieren, wenn etwas «nicht stimmt». Beispielsweise kann eine App dem Benutzer jeden Monat eine detaillierte Analyse seiner Aktivitäten liefern und ihm bei der Gelegenheit mitteilen, dass er zu wenig Schritte gegangen ist. Wir haben sie schon kennengelernt: «Google Now» ist dazu längst in der Lage.
Die Fähigkeit, fast sämtliche Aktivitäten der Menschen zu überwachen – nicht nur im physischen Sinne, sondern auch, was die Verbreitung von (etwa politischen) Ideen angeht –, eignet sich sehr gut für eine zwar subtile, aber genau deshalb sehr gefährliche Art der Manipulation. Die Allianz zwischen den Bürokraten diesseits und jenseits des Atlantiks und dem Silicon Valley ist beunruhigend. Denn: wie kann es überhaupt sein, dass es Regierungen erlaubt ist, unsere Daten zu (miss)brauchen, ohne dass wir dem zugestimmt haben? Der Grund ist so einfach wie gefährlich: diese Daten stehen den Regierungen standardmässig zur Verfügung. Und zwar, weil Google und Co. bisher werbegestützt arbeiten. Google würde deshalb seinen Usern niemals eine vollverschlüsselte E-Mail anbieten. Denn wenn Google nicht mehr in unsere E-Mails spähen dürfte, könnte es auch keine Werbung mehr für und an uns verkaufen. Da Google und Facebook in Zukunft viele neue Dienste anbieten möchten, werden uns in Zukunft wohl noch mehr dieser «Insecure by Design»-Infrastrukturen begegnen. Es bleibt bisher unklar, wie dieser Teufelskreis womöglich durchbrochen werden kann.
Die Silicon-Valley-Firmen werden aber, so meine Vermutung, über kurz oder lang einen neuen Weg – jenseits der Werbung – finden müssen, um sich zu finanzieren. Es ist denn auch nicht mehr besonders unwahrscheinlich, dass sie eine Art prototypischen Wohlfahrtsstaat entwickeln, der seinen Bürgern neue Leistungen bereitstellt. Im Gesundheitsbereich ist dieser Wechsel bereits sichtbar: Es gibt immer mehr Sensoren, die in tragbare Geräte wie das Smartphone oder die Smartwatch eingebaut werden können und z. B. die Herzfrequenz überwachen und den Benutzer warnen, dass die nächste Tasse Kaffee das Herzinfarktrisiko erhöht. Diese neuen Technologien werden der Schlüssel dazu sein, Wohlfahrtsleistungen auf eine neue und billige Art bereitzustellen – in Konkurrenz zum Staat. Es bleibt abzuwägen, ob das je nach Gesellschaft eine katastrophale oder eine doch brauchbare Idee ist.
Sicher ist: kleine Unternehmer werden niemals in der Lage sein, mit Google und Co. zu konkurrenzieren, solange sie nicht ebenso viele Daten haben. Es ist deswegen höchste Zeit, sich die Frage zu stellen, wie die Daten, die von den verschiedenen Geräten, die wir benutzen, produziert werden, so aufbereitet werden können, dass Unternehmer und Innovatoren mit ihrer Hilfe neue Dienstleistungen jenseits der Duopolisten entwickeln können. Ausserdem müssen wir uns die kulturelle – und äusserst politische – Frage stellen, wem die Informationen und Daten, die wir generieren, überhaupt gehören. Solange die Grundlagenfrage nach den Besitzrechten nicht beantwortet ist, wird es in diesem Bereich keine Wettbewerbsgleichheit geben. All die Internetinitiativen, die momentan z.B. von der Europäischen Kommission in Richtung Google lanciert werden, missverstehen den Wert der Daten. Sie versuchen, Google weniger konkurrenzfähig zu machen, indem sie der Firma in verschiedenen Bereichen den Markteintritt verbieten – statt gleich lange Spiesse, also gleichen Datenmarktzugang, für alle zu sichern, kürzen sie bloss einzelne. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Regeln von Google umgangen werden können. Ebenso sicher kann man aber sagen: Wenn jeder von uns die Möglichkeit hätte, mit den riesigen Datenmengen, die diese Firmen akkumuliert haben, eigene Apps zu entwickeln, gäbe es viel mehr nützliche Innovationen. Abschliessend muss ich als Beispiel deshalb einen weiteren grossen Player aus dem Silicon Valley heranzitieren: Apple. Apple passt aus einem Grund nicht in die Reihe der eben Genannten: seine Infrastruktur ist transparenter. Das war nicht immer so. Bevor Apple sich vor einigen Jahren etwa für die Idee von Apps öffnete, glich die Firma einem zentral geplanten Staat, dessen Herrscher allein entschied, welche eigens hergestellten Apps auf seinen Smartphones zugelassen waren. Als die Firma dann zu einem Plattformmodell wechselte, entstanden alle möglichen Apps, die die Apple-Ingenieure niemals selbst hätten entwickeln können, weil unabhängige Entwickler einen wacheren Blick für neue Arten, die iPhone-Infrastruktur zu gebrauchen, besitzen. Ich behaupte: das ist ein Beispiel für die Macht der Kreativität, die innerhalb weniger Momente alles Dagewesene auf den Kopf stellen kann. Und diese Kreativität ist da – auch wenn sie derzeit vielleicht nicht von allen Datengiganten richtig eingesetzt wird. Denn: niemand kann sich auch nur im Entferntesten ausmalen, was für Apps, Dienste, Überwachungsschutzschilde und Dienstleistungen entstehen würden, wenn die Daten, die momentan nur Google besitzt, für alle freigegeben würden!