«Wer anderen zuhört. Wer offen seine Meinung sagt. Wer hart arbeitet. Wer anderen freiwillig hilft. Wer früh aufsteht. Wer pünktlich seine Steuern zahlt. Das war der Bürger. Das ist heute der Bürger. Und das wird auch morgen der Bürger sein.» — Georges Bindschedler
Gibt es ihn noch, den Bürger? Dass es ihn in grosser Zahl gegeben hat, davon erzählen ältere Gebäude in jeder Schweizer Stadt. Über einen Bürgersteig ist jeder von uns schon einmal gelaufen, die Bürgerwehr kennen wir aus amerikanischen Filmen, und seine Bürgerrechte will auch niemand missen. Aber denken wir den «Bürger» dabei auch tatsächlich mit? […]
Das Angebot ist gross: Bildungsbürger, Wutbürger und Spassbürger. Kleinbürger, Grossbürger und Spiessbürger. Aber ist der letzte einfache Bürger nicht längst ausgestorben?
Von Tugenden ist immer dann die Rede, wenn man sie vermisst. Was sie wirklich ausmacht, wird oft unterschlagen. Wirtschaftshistorikerin Deirdre McCloskey lichtet den Begriffsnebel und weiss: Nur das Leben aller bürgerlichen Tugenden schafft dauerhaften Wohlstand.
Der Bourgeois trägt heute zerrissene Jeans und kauft bei Aldi ein. Jene, die ihn einst als Klassenfeind bekämpften, legen Wert auf Anzug und Krawatte. Die verkehrte Welt ist erklärbar. Und folgenschwer.
Ein neuer Bürger ist geboren. Er weiss nicht, was er will. Aber er weiss, was er nicht will. Er stellt die selbsternannten Eliten in Frage. Und er begehrt auf. Wem gehört die Zukunft: dem Wutbürger oder der Wut auf ihn?
Die bürgerlichen Parteien haben sich von ihren Idealen verabschiedet. Der Sozialdemokrat könnte sich angesichts der Selbstdemontage des politischen Gegners entspannt zurücklehnen. SP-Nationalrat Cédric Wermuth erklärt, warum das keine Option ist.