Doing Business
Die Schweiz ist Spitze, dies zumindest lässt sich verschiedenen internationalen Wirtschaftsrankings entnehmen. Nur: Kein kleines Unternehmen überlebt das erste Jahr, wenn es seine Ressourcen nicht aufs Arbeiten, sondern aufs Ausfüllen von Datenblättern und Steuerunterlagen richten muss.
Eine wahre Geschichte, wie sie sich jedes Jahr hundertfach in der Schweiz zuträgt: Ein fleissiger, talentierter junger Handwerker, nennen wir ihn Sascha A., hat sich selbständig gemacht und ein kleines Unternehmen gegründet. Er stellt einen Mitarbeitenden ein, denn die Auftragsbücher füllen sich gut. Doch Sascha hat die Rechnung ohne den Staat gemacht. Den Verwaltungsaufwand kann Sascha ohne externe Hilfe schlicht nicht bewältigen. Die Kosten, welche die Anstellung eines Mitarbeitenden und die bürokratischen Vorgaben verursachen, erweisen sich bald als untragbar. Der Mitarbeitende muss entlassen werden – und geht jetzt stempeln.
Kaum hat Sascha A. sein kleines Unternehmen gegründet, schicken die Behörden ihre Kontrolleure los, die natürlich genau wissen, wo sie suchen müssen. Ihrem Informationsvorsprung, ihren Ressourcen und ihrer Definitionsmacht kann ein Ein-Mann-Betrieb nichts entgegensetzen. Prompt setzt es für Sascha eine Strafe ab, unter anderem wegen Lücken bei der Arbeitszeiterfassung. Auch die nach bestem Wissen und Gewissen erstellte Steuererklärung wird beanstandet. Jetzt überlegt Sascha, ob er sich das weiter antun soll: 60-Stunden-Wochen sind Alltag. Nach Steuern, anderen Zwangsabgaben, administrativen Kosten und dem bürokratischen Kleinkrieg mit den Behörden schaut nicht mehr viel raus. Im letzten Jahr zahlte sich Sascha einen Jahreslohn von 30 000 Franken aus. Als Sozialhilfeempfänger stünde er besser da. Sascha glaubte wie viele Schweizerinnen und Schweizer, in einem besonders unternehmerfreundlichen Land zu leben. Doch hätte Sascha geahnt, wie schwer ihm der Staat das Leben als Selbständiger macht, hätte er sein unternehmerisches Abenteuer wohl nie gestartet.
Wir sind durchaus zu Recht stolz auf die Spitzenplätze, welche die Schweiz in internationalen Rankings in Sachen Wirtschaftskraft, Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit, Lebensstandard, Bildungssystem oder internationale Vernetzung belegt. Das Erfolgsmodell Schweiz ist aber kein sich automatisch reproduzierender Selbstläufer. Der Ökonom Daron Acemoğlu sagt es so: «Die Welt dreht schnell. Ein Land, das heute top ist, kann schon in zehn Jahren nur mehr Durchschnitt sein».1
Zwar droht der Schweiz weder ein dramatischer Abstieg noch ein rasanter Niedergang. Sie steht im internationalen Vergleich noch immer gut da, in vielen Bereichen gewissermassen als Einäugige unter Blinden.2 Dass das Land sukzessive die Substanz aufbraucht, die es ausgezeichnet und stark gemacht hat, ist jedoch keine besonders gewagte These. Sogar die nicht als staatskritisch bekannte «SonntagsZeitung» titelte am 3. Januar 2016, die staatliche Regulierungswut nehme ständig zu und schränke die Freiheit weiter ein.
Auf dem 26. Rang
Eine Rangliste, in der die Schweiz für ihre Ansprüche schlecht abschneidet, ist das «Doing Business Ranking» der Weltbank: 2015 ist die Schweiz nur auf dem 26. Platz klassiert.3 Das Ranking gibt darüber Auskunft, wie einfach oder schwierig es ist, in einem Land unternehmerisch tätig zu werden bzw. zu sein. In Europa rangieren nicht weniger als sechzehn (!) Länder vor der Schweiz, u.a. Dänemark (3.), Grossbritannien (6.), Schweden (8.), Norwegen (9.), Finnland (10.), Deutschland (15.), Estland (16.), Irland (17.), Österreich (21.) und Polen (25.). Beunruhigend ist auch, dass die Schweiz noch vor zehn Jahren deutlich besser klassiert war (17.). Seit nun mehreren Jahren dümpelt sie um Rang 25 herum.
Machen wir uns auf die Suche nach den Gründen, werden wir in den Unterkategorien des Ranking fündig. Es ist im internationalen Vergleich schwierig, in der Schweiz ein Unternehmen zu gründen (69.). Baubewilligungen erhält man in der Schweiz nicht einfach (56.), bei der Kreditvergabe hapert es (59.), und selbst in bezug auf die Steuerpraxis ist die Schweiz weit von den Top-10 entfernt (19.). Um es auf den Punkt zu bringen: Die Schweiz im allgemeinen und die Schweizer KMU im besonderen leiden unter zunehmender Bürokratisierung und Regulierung sowie steigenden Steuern und anderen Zwangsabgaben.
Kritiker werden einwenden, das sei ja nur irgendein Ranking, irgendeine Statistik. Schön wär’s. Das «Doing Business Ranking» dient Regierungen weltweit als Benchmark, um die Rahmenbedingungen zu verbessern und sich international als interessante Standorte zu positionieren. Zudem – und das ist letztlich entscheidend – widerspielt sich der statistische Befund in den realen Sorgen und Nöten der Schweizer Wirtschaft. Die Kosten der Regulierungen auf allen staatlichen Ebenen für die Wirtschaft werden auf rund 50 Milliarden Franken jährlich geschätzt.4 Avenir Suisse stellt fest, in der Schweiz gebe es «eine Branche, die besonders schnell wächst und die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht: die Regulierungen».5
Hand in Hand mit der zunehmenden Regulierung geht die steigende Fiskalquote. Die Finanzverwaltung hat für 2014 eine Fiskalquote von 27,1 Prozent berechnet, womit die Schweiz im internationalen Vergleich noch immer sehr gut dastünde. Werden indes andere Zwangsabgaben miteinberechnet, ändert sich das Bild. Gemäss Berechnungen von Economiesuisse liegt die «erweiterte» Fiskalquote bei über 43 Prozent, gemäss Avenir Suisse sogar bei fast 50 Prozent.6 Die Praxis zeigt zudem, dass die Steuergesetze zunehmend restriktiv ausgelegt werden. Die Steuerbehörden treiben aggressiv Steuern ein. Bürgern und Unternehmern wird oft mit Misstrauen und Argwohn begegnet. Dies führt «zu einer Steuererhöhung auf kaltem Wege».7
Die Rezepte sind bekannt. Aber besteht der politische Wille?
Der Pulverdampf des Wahlkampfs von 2015 ist abgezogen. Die unergiebigen Diskussionen über unergiebige Wirtschaftsfreundlichkeitsrankings haben sich erledigt. Nun geht es um die tatsächliche politische Arbeit. Der Hydra der zunehmenden Regulierung, Steuerbelastung und fortgesetzten Erosion individueller und unternehmerischer Freiheiten sind in heraklischer Manier die Köpfe abzuschlagen. Nur so kann es sich wieder lohnen, Jung- oder Kleinunternehmer zu werden und zu bleiben. Vorschläge, wie dies zu tun wäre, gibt es mehr als genug. Entscheidend wird sein, ob sich die bürgerliche Wende auch in einer liberalen Wende niederschlägt oder ob die neue, liberal angehauchte Rhetorik in Bundesbern Schall und Rauch bleibt.
Erstens gilt es das Problembewusstsein vor allem der Politik weiter zu schärfen. Dafür braucht es einerseits wieder mehr glaubwürdige und engagierte liberale Stimmen aus der Wirtschaft in der Politik. Andererseits ist denjenigen zu widersprechen, die bar jeder empirischen Grundlage über das «Totsparen» des Staates und die angebliche «neoliberale Deregulierung» schwadronieren, wider besseres Wissen Umverteilung mit Gerechtigkeit gleichsetzen und dem Neusprech von «Steuergeschenken» huldigen. Statt Harmonisierung brauchen wir mehr Wettbewerb.
Zweitens ist eine Senkung der Regulierungskosten zentral. Es wäre über eine Regulierungsbremse analog der Schuldenbremse nachzudenken: Eine neue Regulierung wird nur eingeführt, wenn eine Regulierung mit gleichen oder höheren Regulierungskosten abgebaut wird. Unternehmen, kleine wie grosse, junge wie traditionelle, dürfen nicht länger immer mehr belastet und drangsaliert werden. Gerade für Junge wie Sascha A. muss es sich wieder lohnen, ein Unternehmen zu gründen und in diesem Land Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen zu helfen.
Drittens braucht es eine Vereinfachung des Steuersystems, besonders auch der Mehrwertsteuer. Warum nicht die Idee einer Flat Tax vorantreiben? Steuersenkungen wären wünschenswert und richtig. Realistischer ist es wohl, wenigstens Steuererhöhungen zu verhindern.
Viertens wären sogenannte Sunset-Klauseln – also Verfallsdaten – insbesondere für Subventions- und Umverteilungsgesetze ernsthaft zu prüfen, auch wenn sie bekanntlich kein Allheilmittel sind. Bedenkenswert ist auch der Vorschlag von Reiner Eichenberger, dass der Bund und die Kantone bei Subventionsvorlagen «immer eine Alternative ausarbeiten» müssen, «die das gleiche Ziel statt durch Subventionen durch einen Abbau von bisherigen Behinderungen, Steuern und anderen Subventionen zu erreichen versucht».8
Die regulatorischen und steuerlichen Rahmenbedingungen sind wichtige Teilaspekte der Wettbewerbsfähigkeit. In beiden Bereichen gilt: Weniger ist mehr! Nur wenn es gelingt, die Regulierungskosten zu senken und die steuerliche Belastung für Unternehmen in Grenzen zu halten, wird die Wirtschaft auch in Zukunft Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen können.
René Scheu spricht mit Daron Acemoğlu: Kein Ende der Geschichte. In: Schweizer Monat 1029. September 2015. ↩
Diese Metapher habe ich von Gerhard Schwarz übernommen. Vgl. Gerhard Schwarz: Der Fluch des Erfolgs – ein Vorwort. In: Ideen für die Schweiz. 44 Chancen, die Zukunft zu gewinnen. Hrsg. von Gerhard Schwarz und Urs Meister. Zürich: Verlag NZZ, 2013. S. 9–17, hier S. 10. ↩
World Bank Group: Doing Business (2015): http://www.doingbusiness.org/rankings (Download vom 9.1.2016). ↩
Hans Ulrich Bigler: Messung der Regulierungskosten für die KMU. In: Die Volkswirtschaft 9-2011. S. 17–20 ↩
eter Buomberger: Auswege aus dem Regulierungsdickicht. Beunruhigende Fakten und erfolgversprechende Lösungsansätze für die Schweiz. Zürich: Avenir Suisse, 2014. ↩
Gerhard Schwarz und Marco Salvi: Wo bitte diktiert der Markt? In: Schweizer Monat 1027. Juni 2015. S. 50–54 ↩
Interview mit Wolfram Kuoni: «Schädlich für alle». In: Weltwoche (34/2015). ↩
Reiner Eichenberger: 10 fruchtbare Ideen. In: Schweizer Monat 1029. September 2015. S. 58-62 ↩