Doch kein Angriff von «Querdenkern»
An einer Demonstration wird ein Kamerateam angegriffen. Wer die Täter sind, bleibt in der Berichterstattung unklar.
Am 1. Mai 2020 wurde in Berlin ein siebenköpfiges Kamerateam durch eine Gruppe vermummter Personen körperlich angegriffen. Vier der sieben mussten ins Krankenhaus gebracht werden, zwei davon mit schwereren Verletzungen. Sechs Vermummte konnten festgenommen werden.
Die Produktionsfirma TV United drehte an diesem Tag für die ZDF-«heute-show». Geschäftsführer Harald Ortmann sprach anschliessend in einem «Spiegel»-Interview von einem Angriff auf die Pressefreiheit. Doch was war das Motiv? Es sei nicht erkenntlich gewesen, dass das Kamerateam an diesem Tag für das ZDF arbeitete. Da die Journalisten an diesem Tag
auf einer Demonstration gegen Coronamassnahmen gedreht hatten, wurde bereits früh ein Zusammenhang vermutet.
Die «Tagesschau» berichtete zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall über gegenteilige Ermittlungsergebnisse des Berliner Landeskriminalamtes (LKA). Es könnte sich bei der Attacke um eine Verwechslung gehandelt haben: «Es wird vermutet, dass die Angreifer aus dem linksextremen Spektrum ursprünglich Rechtsextremisten und Personen aus der Querdenker-Szene angreifen wollten.»
Fast vier Jahre nach der Attacke wurden nun vier Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt. Das Amtsgericht Tiergarten (Berlin) schreibt in einer Pressemitteilung, dass zum Motiv der Angreifer keine Feststellung getroffen werden konnte. Die Angeklagten hätten beteuert, dass es sich um eine Verwechslung gehandelt habe. Diese Einlassung sei «nicht widerlegbar», so das Gericht. Polizeiliche Ermittlungen hätten keine neuen Erkenntnisse ergeben.1
Die «taz», die den Prozess vor Ort verfolgt hat, berichtete am 9. Januar 2024, dass die Attacke auf das ZDF-Team nicht von «Demo-Teilnehmern/-innen aus[ging], sondern von einer linksradikalen Gruppe». Dies stützt die Erkenntnisse der «Tagesschau», welche bereits im Vorjahr vorlagen.
Dem zuwiderlaufend veröffentlichte das SPD-nahe Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Tag der Urteilsverkündung einen Online-Artikel mit der Überschrift: «Bewährungsstrafe für Coronaleugner, die ZDF-Team attackieren». Dies entspricht offenkundig nicht der Wahrheit und ist damit eine Falschmeldung.
Viele weitere Medien berichteten ähnlich irreführend. Die «Stuttgarter Zeitung» schrieb unter der Kategorie «Querdenker-Demonstrationen» über den Angriff, ohne die nicht vorhandene Verbindung aufzulösen. Der «Spiegel» berichtete verkürzt, das Fernsehteam sei «am Rande einer Querdenker-Demo angegriffen» worden, ohne kenntlich zu machen, dass die Tat weder dem Demonstrationsgeschehen zuzuordnen ist noch seitens der Demonstranten erfolgte.
Auch die öffentlich-rechtliche Berichterstattung stellt den Sachverhalt auf den Kopf. In einer Bildunterschrift des Deutschlandfunks steht: «Das Amtsgericht Berlin hat drei Männer und eine Frau verurteilt, die ein ZDF-Team bei einer Coronademonstration angegriffen und verletzt haben.» Die «Tagesschau» formuliert ihre Überschrift über das Urteil mit «Drehtermin bei Querdenker-Demo» und vergibt den Artikeltag «Querdenker». Es erfolgte auch in diesem längeren Artikel keine Einordnung. Zitiert wird lediglich die Richterin, die bedauert, die Hintergründe für den Angriff liessen sich «nicht mehr klären».
Warum hat die «Tagesschau» ihre Erkenntnisse aus dem Vorjahr nicht in den Folgebericht einfliessen lassen? Und warum sind die Ermittlungen ins Leere gelaufen? Es wäre aufschlussreich gewesen, mehr über die Täter und ihre Beweggründe zu erfahren.
Die hier skizzierte irreführende – und teilweise falsche – Berichterstattung stellt beim Rezipienten einen Zusammenhang her, den es so nicht gibt; er erhält den Eindruck, dass es sich bei den Angreifern um Massnahmenkritiker gehandelt habe. In der Konsequenz wird damit eine regierungskritische Protestbewegung in ein schlechtes Licht gerückt und mutmasslich linksextreme Gewalt verschleiert.