Doch, die Jungen packen an!
Die junge Generation sei verwöhnt und arbeitsscheu, hört man immer wieder. Quatsch! Investieren Unternehmen in den Nachwuchs, engagiert sich dieser auch – zum Nutzen der ganzen Gesellschaft.
In unserer Elektroinstallationsfirma kommt es immer wieder vor, dass «gestrandete» Lernende aus anderen Betrieben ihre Lehrzeit bei uns beenden. Die Gründe für einen Lehrstellenwechsel sind sehr vielfältig und liegen in vielen Fällen auch nicht in mangelnden Leistungen des jungen Menschen. Häufig sind es zwischenmenschliche Differenzen im ehemaligen Betrieb oder Missstände in der Firma bis hin zu Konkursen. Gerade vor einem Jahr haben wir einen Lernenden im vierten Lehrjahr übernommen, dessen Lehrbetrieb in eine finanzielle Schieflage gekommen war.
Ich sehe es als unsere Pflicht als Lehrbetrieb, unsere Möglichkeiten für den eigenen Berufsnachwuchs zu nutzen und jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Das bedingt aber, dass wir die entsprechenden Ressourcen für die Ausbildung der Lernenden haben, etwa geeignete Praxisbildner oder Arbeiten, die Lernende bereits in unteren Lehrjahren selbständig umsetzen können und dürfen. Das ist eine ständige Herausforderung.
Hohe Anforderungen
Oft hört man heute, die Jungen seien nicht mehr bereit, anzupacken. Das deckt sich nicht mit meiner Erfahrung. Die meisten unserer Jungen, auch unsere Lernenden, sind sehr leistungsbereit und engagiert. Seit meiner Lehrzeit stark verändert hat sich aber die Gesellschaft. Heute steht die Sinnhaftigkeit der Arbeit stärker im Mittelpunkt. Auch die Haltung gegenüber dem Handwerk hat sich gewandelt: Viele sehen es als minderwertige Tätigkeit. Dabei vergessen sie oft, welche Hürden im Qualifikationsverfahren am Ende der Lehrzeit bewältigt werden müssen, um ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) zu erlangen.
Den Wert der Berufsbildung habe ich bereits schätzen gelernt, als ich selber die Lehre als Elektroinstallateur machte. Mit dieser Ausbildung konnte ich mich sehr rasch in die Welt der Erwachsenen integrieren. Die Lehre hat mich nicht nur fachtechnisch und handwerklich, sondern auch in Bezug auf Selbst- und Sozialkompetenz weitergebracht. Ich durfte sehr rasch selber Verantwortung übernehmen und wurde so Teil eines Ganzen – eines Unternehmens. Last but not least lernte ich, dass sich Leistung lohnt und honoriert wird.
Unser Schulsystem bereitet die grosse Masse der Schüler sehr gut auf die Zukunft vor. Natürlich kann es nicht auf jede individuelle Gegebenheit eingehen, doch gerade leistungsschwache und auch leistungsstarke Schüler werden gut unterstützt. Oft jedoch werden Angebote wie Lernateliers, Begabtenförderung sowie Frei- und Vertiefungsfächer zu wenig genutzt. In vielen Fällen stelle ich zudem fest, dass sich das Elternhaus der eigenen Aufgaben und Pflichten nicht bewusst ist. Die Erziehung von Kindern und Jugendlichen kann nicht einfach dem Staat oder dem Lehrbetrieb übertragen werden – eine grosse Herausforderung für die heutige, sehr vielfältige Gesellschaft.
«Oft hört man heute, die Jungen seien nicht mehr bereit, anzupacken. Das deckt sich nicht mit meiner Erfahrung.»
Die Leistung zählt
Die Unternehmen tragen die Verantwortung, unseren Berufsnachwuchs selber auszubilden und zu formen. Sie haben die Aufgabe, die Lernenden nicht nur auf die Berufstätigkeit vorzubereiten, sondern auch auf das Leben. Sie sollten die jungen Menschen nicht «nur» als Arbeitskräfte sehen, sondern eben als Menschen. Gefördert werden sollen nicht nur die Schwachen, sondern all jene, die wollen und bereit sind, das Beste aus ihren Voraussetzungen zu machen.
Trotz ihrer Vorzüge ist die Zukunft der Berufsbildung gefährdet. Es gibt Bestrebungen, die Anforderungen für einen erfolgreichen Abschluss zu senken. Das ist der falsche Weg. Die Hürden für ein Qualifikationsverfahren müssen sich an den sich stetig verändernden Anforderungen des Berufs orientieren. Wer sich zur Ausübung eines bestimmten Berufs qualifizieren will, von dem darf etwas erwartet werden.
«Die Unternehmen tragen die Verantwortung, unseren Berufsnachwuchs selber auszubilden und zu formen.»
Schon heute gibt es in vielen Berufen zahlreiche Möglichkeiten, einen EFZ-Abschluss zu erreichen. Diese Möglichkeiten sind individuell auf die Fähigkeiten der Schulabgänger zugeschnitten, was aber auch heisst, dass es oft nicht «raschrasch» geht, sondern auf den Leistungen und dem Willen aufzubauen ist. Gerade schwachen Schulabgängern bietet das eidgenössische Berufsattest (EBA) eine Möglichkeit, in die Berufswelt einzutreten – und oft folgt danach auch die Ausbildung mit einem EFZ-Abschluss.
Es drohen Verdrängung und Verwässerung
Das duale Berufsbildungssystem wird oft belächelt oder geringgeschätzt. Das ist gefährlich. Die Berufsbildung hat der Schweiz eine anhaltend tiefe Jugendarbeitslosigkeit und eine sehr breit ausgebildete Bevölkerung gebracht. Die Durchlässigkeit der Bildungswege in jeder Hinsicht stärkt unseren Standort. Es gibt viele verschiedene Wege nach der obligatorischen Schulzeit: Man kann eine Berufslehre oder das Gymnasium absolvieren; selbst mit einer EFZ-Ausbildung kann man später noch ein Studium machen – aber auch mit der Maturität noch einen Beruf erlernen.
Wenn die Berufsbildung durch die zunehmende Akademisierung verdrängt wird, geht viel verloren. Der Stellenwert dieses weltweit einzigartigen Systems mit seiner sehr fundierten theoretischen, aber auch praktischen Ausbildung darf in keiner Weise verwässert werden.