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Diesen Anblick, meine Kinder!

Die Schweiz-Reisen der Sophie von La Roche

Sophie von La Roche, die Grossmutter von Clemens Brentano und dessen Geschwistern und seit ihrer «Geschichte des Fräuleins von Sternheim» (1771) eine Grösse der deutschsprachigen Literatur, darf man getrost als eine zwar adlige, in ihrem Habitus aber doch recht bürgerliche Schwäbin des 18. Jahrhunderts bezeichnen. Wer Armin Strohmeyrs Biographie liest, der begegnet zuallererst einer grundsoliden, ehrenwerten und tüchtigen Frau – und bald auch einer herzensguten Mutter. Sophie von La Roche war aber zudem eine ehrgeizige, fleissige und mehr als nur talentierte Verfasserin von Prosaliteratur fast aller Art. Sie gab, durchaus aussergewöhnlich für ihre Zeit, die Zeitschrift «Pomona für Teutschlands Töchter» heraus, und sie war eine Briefstellerin von Format. Dennoch sind sie und ihre Schriften so gut wie vergessen in einer Gegenwart, die schon mit dem Namen ihres Jugendfreundes Wieland oft nichts mehr zu verbinden weiss. Dass sich das mit dem 200. Todestag plötzlich ändert – sie starb am 18. Februar 1807 –, ist trotz allen verlegerischen Bemühungen nicht sehr wahrscheinlich. Liest man jedoch in ihren anschaulichen, anekdotenreichen und elegant formulierten «Reisetagebüchern», wird man zugeben müssen: Diese Schriftstellerin hat mehr verdient als einen Gnadenplatz in den Kellern der Literaturgeschichte.

Das Reisen war zu ihrer Zeit beschwerlicher und anstrengender als heute. Und kostete schon damals viel Geld. Man reiste nicht zur Erholung, sondern um seine Persönlichkeit zu bilden, um Land und Leute kennenzulernen, um in der Fremde lebende Freunde oder manche im europäischen Geistesleben bekannte Figur aufzusuchen. Die Autorin musste 54 Jahre alt werden, ehe sie am 25. Juni 1784 mit ihrem 16jährigen Sohn Franz aus Speyer abreisen und wenige Tage danach bei Schaffhausen Schweizer Boden betreten konnte. Gleich hinab zum Rheinfall! Überwältigt schreibt die empfindsame Rousseau- und Haller-Leserin in ihr an die daheimgebliebenen Sprösslinge gerichtetes Tagebuch: «Diesen Anblick, meine Kinder! kan man nicht beschreiben; aber ein vorher nie bekanntes Gefühl von der Macht und Schönheit der Natur durchdringt hier die Seele.» Zürich schätzt sie aus einem anderen Grund – dort leben «Männer, welche alle Sprachen und Wissenschaften besitzen, und Patrioten, welche für ihr Vaterland alles thun». Sie hat freundschaftlichen Umgang mit den Familien der Gessner, Usteri, Hirzel oder Füssli. «Wir betrachteten auch das vom Hause Escher erbaute Wasserrad.» Luzern und sein See erwecken ihre Ehrfurcht, und in Sursee nimmt die Reisende sogar an einem «Patriotenfest» teil.

«Nun sind wir an dem Ort unserer Bestimung», beginnt der Eintrag vom 17. Juli, in dem Lausanne ebenso prägnant beschrieben wird wie bald darauf Genf. Der Besuch in Ferney gibt Gelegenheit, ihren durchaus ambivalenten Eindruck von Voltaire näher darzulegen. Auf nach Savoyen! Schlafen wird sie in «Chaumoni» nur wenige Stunden – starke Männer tragen Sophie hinauf zum Gletscher des Montblanc: «Man lernt an Allmacht glauben, wenn man hier steht, und die Felsen sieht. Wie klein, wie niedrig scheint aller Stolz der Welt, alles, wovon wir eine grose Idee hatten». Dramatisch verstärkt wird das beinahe zu einer Art mystischer Gotteserfahrung geratende Naturerlebnis durch ein kräftiges Gewitter, bei dem der mutigen Reisenden dann doch «ein wenig schauerte». Doch bald ist man wieder in der «herrlichen Landschaft» rund um den Genfersee, und über Bern gelangt Sophie nach Basel, wo Jacob Sarasin sie beherbergt. «Alle Vormittage besuchten wir Merkwürdigkeiten der Stadt, und des Nachmittags führten die freundlich edlen Sarazins uns in der schönen Nachbarschaft umher, nach Wendek zu Merians und zu Herrn Battier auf dem Schlosse Mönchenstern». Danach aber wird Sohn Franz der «Lehre und Sorge» von Gottlieb Konrad Pfeffel und seiner Militärschule in Colmar überlassen.

Die Schriftstellerin hat die Schweiz noch zweimal besucht. Über ihre Reise im Jahr 1789 hat sie kein Tagebuch geführt, wohl aber über ihre dritte, vom Tod ihres Franz überschattete Reise, auf der die 61jährige mit den Folgen der Revolution in Frankreich konfrontiert wird und darüber intensiv nachdenkt. Längere Zeit ist sie Gast bei Carl von Bonstetten und Charlotte von Wattenwyl: «Wie viel ist Lausanne und Nyon für mich geworden, indem ich meine Menschenkenntnis und Geistesruhe vermehrte und befestigte!» Die «Erinnerungen aus meiner dritten Schweizerreise» (1793) bieten mehr philosophische Betrachtungen als konkrete Schilderungen von Land und Leuten – und sie illu­strieren das Ende ihrer Aufklärungszuversicht. Wie Sophie von La Roche dann über Neuenburg, Aarau und Zürich eilig zurückreist und bald wieder am Rheinfall sitzt, nun aber einsam, nachdenklich und melancholisch, liest man nicht ohne Rührung. Alt war sie geworden – die Zeit nach 1789 wurde die ihre nicht mehr.

Sophie von La Roche: «Reisetagebücher. Aufzeichnungen zur Schweiz, zu Frankreich, Holland, England und Deutschland (Bibliotheca Suevica 21)». Eggingen: Edition Isele, 2006.

Sophie von La Roche: «Lesebuch». Königstein im Taunus: Ulrike Helmer Verlag, 2005.

Armin Strohmeyr: «Sophie von La Roche. Eine Biographie». Leipzig: Reclam, 2006.

Klaus Hübner, geboren 1953, promovierte in Germanistik und lebt als Publizist und Redaktor der Zeitschrift «Fachdienst Germanistik» in München.

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